Vinzenz Fundel, Joachim Müller
Rz. 1
Auf dem Kapitalmarkt liegen große Erwartungen, mit seinen Hebeln positiv auf die nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft einwirken zu können.
Die Zeit zur wirksamen Bekämpfung der Klimakrise läuft uns zunehmend davon und damit steigt der Handlungsdruck für die Menschheit. Dem Kapitalmarkt wird mit seinen Einflussmöglichkeiten auf die Realwirtschaft die Fähigkeit zugesprochen, als zentraler Gestalter der Transformation in Richtung nachhaltigen Wirtschaftens zu agieren. Die Rolle der Kapitalmarktteilnehmer entwickelt sich kontinuierlich zum Treiber von Nachhaltigkeit weiter. Nachhaltigkeitsthemen werden in die Unternehmensbewertung integriert und deren finanzieller Impact auf die Bilanzen anerkannt. Diese Entwicklung zeigt sich auch im Wording von Gesetzestexten, in denen künftig nicht mehr von "Non-Financial Reporting Directive", sondern von "Corporate Sustainability Reporting Directive" gesprochen wird (die Begrifflichkeit "nichtfinanziell" fällt also weg). Längst hat sich der Kapitalmarkt von einer reinen Umweltbetrachtung (Green Finance) auf einen ganzheitlichen Nachhaltigkeitsansatz (Sustainable Finance) emanzipiert. Auch das klassische Environmental-Social-Governance (ESG) Schubladendenken wird aufgrund der vielen Überschneidungen innerhalb dieser Cluster und Themenfelder zunehmend in eine ganzheitliche "Sustainability"-Betrachtung überführt.
Rz. 2
Unternehmen, welche die Transformation ihrer Geschäftsmodelle in Richtung nachhaltige Entwicklung nicht frühzeitig anstoßen, werden zunehmend als Teil des Problems verstanden und laufen Gefahr, die Stranded Assets von morgen zu werden. Der Kapitalmarkt fordert deshalb von kritischen Geschäftsmodellen ambitionierte Transformationsanstrengungen und setzt dafür zeitliche Grenzen.
1.1 Kapitalmarkt denkt bereits über das Thema Klima (Carbon) hinaus
Rz. 3
Die Natur ist nicht vom Menschen abhängig, zeitgleich entzieht die kontinuierliche Überschreitung der Belastungsgrenzen der Erde (planetare Grenzen) und die damit verbundene Gefährdung der Stabilität der Ökosysteme der Menschheit wie auch der Wirtschaft zunehmend die Lebens- bzw. Wirtschaftsgrundlage. Von der Pandemie kommend, über die durch den Ukraine-Krieg verstärkte Rezession mit Energie- und Materialkrise stellt aktuell die Klimakrise mit den damit verbundenen Auswirkungen das dominante Nachhaltigkeitsthema für den Kapitalmarkt dar. Immer größere Aufmerksamkeit für die Bewertung dieser Auswirkungen erfuhr bislang das Reporting nach der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD). Doch zeichnet sich längst die nächste große Herausforderung ab. Experten erwarten, dass die Auswirkungen der Biodiversitätskrise mit dem rasanten Artensterben (Biodiversitätsverlust) nicht nur schneller eintreten werden als die des Klimawandels, sondern dass diese für die Gesellschaft und die Wirtschaft auch deutlich gravierender ausfallen werden. Experten sprechen bildlich vom großen Bruder des Klimawandels und verweisen auf die untrennbar zusammenhängende Verflechtung dieser beiden Krisen. Die Klimakrise beschleunigt das Artensterben, zeitgleich zahlen Maßnahmen zur Vermeidung von CO2-Emissionen, wie der Umstieg auf erneuerbare Energien oder die Steigerung der Energieeffizienz in den Produktionsverfahren, aber nicht direkt auf das Thema Biodiversität ein. Der Kapitalmarkt fängt gerade erst an zu verstehen, was es für die Gesellschaft (Lebensraum und Resilienz) und die Wirtschaft (Standort und Ressourcenverfügbarkeit) bedeutet, wenn das Artensterben in der gleichen Geschwindigkeit wie bisher voranschreitet. Die Kausalität von "no Planet, no Business, no Banking" sollte auch jenen Unternehmen die eigene Betroffenheit aufzeigen, welche das Thema aktuell in der Materialität noch weit von sich weisen.
Rz. 4
Ein "Weiter wie bisher" (business as usual) bedeutet deshalb zunehmend die Zerstörung unserer eigenen Lebens- und Wirtschaftsgrundlage. Da die Natur nicht als ein eigener Stakeholder mit am Verhandlungstisch sitzen kann, nimmt die Politik den Kapitalmarkt mit seinen Instrumenten für eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft zunehmend in die Pflicht. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Banken künftig "Impacts/Pressure" auf Ökosysteme und "Dependencies" von Rohstoffen auf Wertschöpfungsketten verstärkt in das eigene Risikomanagement für die Bewertung von Unternehmen (z. B. Abhängigkeiten von Rohstoffen) aufnehmen werden. Unternehmen sollten sich deshalb frühzeitig mit regulatorischen Anforderungen und Initiativen wie der Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD; § 8 Rz 229 ff.) auseinandersetzen.
1.2 Verantwortung des Kapitalmarkts
Rz. 5
Die Rolle des Kapitalmarkts bei der Transformation der Wirtschaft in Ri...