Vinzenz Fundel, Joachim Müller
Rz. 3
Die Natur ist nicht vom Menschen abhängig, zeitgleich entzieht die kontinuierliche Überschreitung der Belastungsgrenzen der Erde (planetare Grenzen) und die damit verbundene Gefährdung der Stabilität der Ökosysteme der Menschheit wie auch der Wirtschaft zunehmend die Lebens- bzw. Wirtschaftsgrundlage. Von der Pandemie kommend, über die durch den Ukraine-Krieg verstärkte Rezession mit Energie- und Materialkrise stellt aktuell die Klimakrise mit den damit verbundenen Auswirkungen das dominante Nachhaltigkeitsthema für den Kapitalmarkt dar. Immer größere Aufmerksamkeit für die Bewertung dieser Auswirkungen erfuhr bislang das Reporting nach der Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD). Doch zeichnet sich längst die nächste große Herausforderung ab. Experten erwarten, dass die Auswirkungen der Biodiversitätskrise mit dem rasanten Artensterben (Biodiversitätsverlust) nicht nur schneller eintreten werden als die des Klimawandels, sondern dass diese für die Gesellschaft und die Wirtschaft auch deutlich gravierender ausfallen werden. Experten sprechen bildlich vom großen Bruder des Klimawandels und verweisen auf die untrennbar zusammenhängende Verflechtung dieser beiden Krisen. Die Klimakrise beschleunigt das Artensterben, zeitgleich zahlen Maßnahmen zur Vermeidung von CO2-Emissionen, wie der Umstieg auf erneuerbare Energien oder die Steigerung der Energieeffizienz in den Produktionsverfahren, aber nicht direkt auf das Thema Biodiversität ein. Der Kapitalmarkt fängt gerade erst an zu verstehen, was es für die Gesellschaft (Lebensraum und Resilienz) und die Wirtschaft (Standort und Ressourcenverfügbarkeit) bedeutet, wenn das Artensterben in der gleichen Geschwindigkeit wie bisher voranschreitet. Die Kausalität von "no Planet, no Business, no Banking" sollte auch jenen Unternehmen die eigene Betroffenheit aufzeigen, welche das Thema aktuell in der Materialität noch weit von sich weisen.
Rz. 4
Ein "Weiter wie bisher" (business as usual) bedeutet deshalb zunehmend die Zerstörung unserer eigenen Lebens- und Wirtschaftsgrundlage. Da die Natur nicht als ein eigener Stakeholder mit am Verhandlungstisch sitzen kann, nimmt die Politik den Kapitalmarkt mit seinen Instrumenten für eine nachhaltige Entwicklung der Wirtschaft zunehmend in die Pflicht. Es ist deshalb davon auszugehen, dass Banken künftig "Impacts/Pressure" auf Ökosysteme und "Dependencies" von Rohstoffen auf Wertschöpfungsketten verstärkt in das eigene Risikomanagement für die Bewertung von Unternehmen (z. B. Abhängigkeiten von Rohstoffen) aufnehmen werden. Unternehmen sollten sich deshalb frühzeitig mit regulatorischen Anforderungen und Initiativen wie der Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD; § 8 Rz 229 ff.) auseinandersetzen.