Was ist Biodiversität?
Biodiversität beschreibt die Vielfalt an Arten und Lebensräumen auf der Erde. Auch als biologische Vielfalt bezeichnet, umfasst der Begriff alle lebenden Organismen jeglicher Herkunft, wie Tiere, Pflanzen, Mikroorganismen sowie die Ökosysteme, zu denen sie gehören. Biodiversität beinhaltet
- die genetische Vielfalt als die Variationen von Genen innerhalb der verschiedenen Arten,
- die Artenvielfalt als die Anzahl und Vielfalt der verschiedenen Arten in einem Gebiet und
- die Vielfalt der Ökosysteme als die Vielfalt der auf der Erde existierenden Lebensräume und Ökosysteme, wie Wiesen, Wälder und Gewässer.
Die biologische Vielfalt bietet zudem verschiedene Ökosystemdienstleistungen: Insekten bestäuben Pflanzen, natürliche Ökosysteme wie Feuchtgebiete und Wälder reinigen Wasser und zudem wird das Klima reguliert.
Warum ist Biodiversität für Unternehmen relevant?
Die biologische Vielfalt ist unsere Lebensgrundlage und ein Wirtschaftsfaktor: Sie garantiert zahlreichen Unternehmen, dass ihnen die Rohstoffe für ihre Produkte zu Verfügung stehen. Das betrifft vor allem die Bereiche Landwirtschaft, Forstwirtschaft, Lebensmittel, Kosmetik und Pharmazie.
So brauchen beispielsweise Unternehmen der Lebensmittelindustrie eine Bandbreite an Pflanzen- und Tierarten, um verschiedene Produkte herzustellen. Auch Unternehmen im Tourismusbereich und der Freizeitbranche sind auf intakte Ökosysteme angewiesen: attraktive Landschaften, Naturschutzgebiete sowie eine vielfältige Pflanzen- und Tierwelt sind wichtige Anziehungspunkte für Tourist:innen. Die biologische Vielfalt in Wäldern und Feuchtgebieten beeinflusst deren Fähigkeit zum Speichern und Reinigen von Wasser. Der Verlust der Biodiversität birgt damit Risiken für Unternehmen, die auf eine zuverlässige Versorgung mit Wasser angewiesen sind.
Insgesamt ist laut PwC mehr als die Hälfte des weltweiten Bruttoinlandsproduktes (55 Prozent) auf die Verfügbarkeit von Naturkapital angewiesen. In jedem der 163 von PwC untersuchten Wirtschaftssektoren enthält die Wertschöpfungskette einen Abschnitt, der stark von der Natur abhängt.
Biodiversitätsverlust zählt zu den größten Risiken für Unternehmen
Gleichzeitig nimmt die Biodiversität ab, weltweit und in Deutschland. Menschliche Aktivitäten, wie Infrastrukturmaßnahmen, Abholzung, Überfischung sowie die industrielle, intensive Landwirtschaft zerstören zunehmend die Lebensräume. Zudem bedrohen Klimawandel und sich schnell ändernde Umweltbedingungen die Biodiversität. So sind seit 1970 die Populationen der im WWF Living Planet Report beobachteten Arten um durchschnittlich 69 Prozent zurückgegangen. Allein in Deutschland sind 33 Prozent der Wirbeltiere und 31 Prozent der Pflanzenarten bedroht.
Der Verlust der biologischen Vielfalt und der Zusammenbruch der Ökosysteme wird als das drittgrößte globale Risiko in den nächsten zehn Jahren gesehen. Das ist ein Ergebnis des Global Risk Reports 2024, einer Befragung von 1.400 globalen Risikoexpert:innen und führenden Persönlichkeiten aus Politik und Wirtschaft im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums.
Die konkreten Risiken für Unternehmen sind
- physisch-operativ: Inwiefern sind pflanzliche und tierische Rohstoffe sowie Betriebsmittel (zum Beispiel sauberes Wasser) verfügbar und welche Kosten fallen dafür an? Und auch: Welchen ästhetischen Wert hat die Natur?
- regulatorisch und rechtlich: Hierzu zählen Auflagen, um die Entnahme tierischer Rohstoffe (zum Beispiel Fangquoten) oder die Nutzung von verschiedenen Elementen der natürlichen Umwelt durch menschliche Gesellschaften (Umweltmedien, zum Beispiel Grenzwerte für Emissionen) zu regulieren. Auch die „Schädigung“ von Arten und natürlichen Lebensräumen im Sinne des Umweltschadensgesetzes ( Umweltschadenshaftung) zählt dazu.
- den Markt betreffend: Verbraucher:innen ändern beispielsweise ihr Einkaufsverhalten, indem sie Aspekte der Biodiversität stärker berücksichtigen.
- die Reputation betreffend: Unternehmen oder ganze Branchen laufen Gefahr, wegen negativer Auswirkungen auf die biologische Vielfalt stigmatisiert zu werden.
- die Finanzierung betreffend: Kreditbedingungen können beispielsweise an Natur- und Biodiversitätskriterien angepasst werden, wie die Höhe der Zinsen.
Biodiversität im Unternehmen: Reporting und gesetzliche Anforderungen
Auch die Politik beschäftigt sich zunehmend mit dem Thema Biodiversität und nimmt Unternehmen stärker in die Pflicht: Auf nationaler und EU-Ebene wird die Gesetzgebung immer mehr auf den Schutz der biologischen Vielfalt ausgerichtet.
UN-Übereinkommen Global Diversity Framework (GBF)
Die 15. Biodiversitätskonferenz (COP15) in Montreal im Dezember 2022 vereinbarte erstmals globale Ziele zur nachhaltigen Nutzung und zum Schutz der biologischen Vielfalt bis 2030. Die dort beschlossenen Mechanismen für die Umsetzung, Kontrolle und Finanzierung fließen zunehmend in die EU- und nationalen Gesetzgebungen ein. Das als Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework bekannte globale Abkommen enthält Ziele wie
- 30 Prozent der globalen Land- und Meeresflächen bis 2030 unter Schutz zu stellen,
- den Pestizideinsatz bis 2030 zu halbieren sowie
- die Rate des Artensterbens bis 2050 auf ein Zehntel zu reduzieren.
Task Force on Nature-Related Disclosures (TFND)
Die Taskforce on Nature-related Financial Disclosures (TNFD) entwickelt einen marktgesteuerten, integrierten globalen Rahmen. Dieser ermöglicht es Unternehmen, über Naturauswirkungen und -abhängigkeiten sowie die damit verbundenen Risiken und Chancen zu berichten. Das dient als Grundlage, um den globalen Kapitalfluss zu verlagern und die Weltwirtschaft auf naturverträgliche Ergebnisse umzustellen.
Unternehmen und Finanzinstitutionen weltweit sollen unterstützt werden, naturbezogene Angaben in ihre Finanzberichte zu integrieren. Ziel ist es unter anderem, Regierungen, Finanzmärkten, Gemeinschaftsgruppen und Bürger:innen bessere Informationen für Entscheidungen zu nachhaltigem Wohlstand zur Verfügung zu stellen.
EU-Biodiversitätstrategie für 2030
Ziel der im Mai 2020 von der Europäischen Kommission vorgelegten Biodiversitätsstrategie für 2030 ist es, die biologische Vielfalt in Europa bis 2030 auf den Weg der Erholung zu bringen. Sie beinhaltet den Beitrag Europas, um bis 2050 alle Ökosysteme der Welt wiederherzustellen, widerstandsfähig zu machen und angemessen zu schützen. Die dafür festgelegten Einzelziele umfassen zum Beispiel die Punkte:
- mindestens je 30 Prozent der Landfläche und Meeresgebiete der EU gesetzlich zu schützen
- den Pestizideinsatz um 50 Prozent zu reduzieren
- mindestens 25 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche ökologisch zu bewirtschaften
- mindestens 25.000 Flusskilometer in der EU als frei fließende Flüsse wiederherzustellen
Darüber hinaus bereitet die EU-Biodiversitätstrategie für 2030 die EU darauf vor, beim Schutz der biologischen Vielfalt international eine führende Rolle zu übernehmen.
Biodiversität in Nachhaltigkeitsberichten
Um dem Verlust der Biodiversität entgegenzuwirken, hat die Europäische Union das Ziel gefasst, die Zerstörung der Natur bis 2030 zu stoppen. Bis 2050 soll sich diese bestmöglich wieder erholt haben. In diesem Zusammenhang stehen unter anderem die in der Corporate Sustainability Responsibility Directive (CSRD) dargelegten ausgeweiteten Nachhaltigkeitsberichtspflichten für Unternehmen. Um die Nachhaltigkeitsberichte möglichst einheitlich zu gestalten, wurden die European Sustainability Reporting Standards (ESRS) eingeführt.
Der ESRS-Baustein E4 betrifft Aspekte zu Biodiversität und Ökosystemen. Er fordert von Unternehmen biodiversitätsbezogene Ziele als Teil der Unternehmensstrategie und der Wesentlichkeitsanalyse sowie eine Strategie, um Biodiversitätsverluste zu vermeiden und die natürliche Umwelt wiederherzustellen.
EU-Entwaldungsverordnung
Die EU-Verordnung über entwaldungsfreie Lieferketten (Entwaldungsverordnung) verpflichtet bestimmte Unternehmen zu zusätzlichen Sorgfaltspflichten, die über das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) hinausgehen. Betroffene Rohstoffe wie Soja, Rind, Palmöl, Holz, Kakao, Kaffee und Kautschuk dürfen nur in den EU-Markt eingeführt, ausgeführt oder bereitgestellt werden, wenn sie nicht mit Entwaldung oder Waldschädigung verbunden sind. Unternehmen sind demnach verpflichtet,
- Informationen zu sammeln, um sicherzustellen, dass diese Rohstoffe nicht auf Flächen erzeugt wurden, die nach dem 31. Dezember 2020 entwaldet wurden. Außerdem müssen diese Rohstoffe den Gesetzen des Ursprungslands sowie den in der Verordnung festgelegten Menschenrechten entsprechen.
- entsprechend ihrer Sorgfaltspflicht die Risiken in ihrer Lieferkette zu analysieren und zu bewerten.
- Risikominderungsmaßnahmen zu ergreifen, die geeignet und verhältnismäßig sind. Dazu zählt beispielsweise die Verwendung von Satellitenüberwachungsinstrumenten, Vor-Ort-Prüfungen, Kapazitätsaufbau bei Lieferant:innen oder die Überprüfung der Herkunft des Produkts durch Isotopenuntersuchung.
Die Verordnung gilt ab dem 30. Dezember 2024, mit längeren Fristen für kleine und mittlere Unternehmen.
Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt (NBS)
Als zentrale Naturschutzstrategie der Bundesregierung legt die Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt (NBS) seit 2007 Ziele für den Erhalt und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt in Deutschland fest. Gleichzeitig ist sie ein zentrales Instrument, um internationale Vereinbarungen zum Schutz der Biodiversität in Deutschland umzusetzen. So wird die NBS 2030 an die globalen Ziele des Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) angepasst. Neue Ziele und Mechanismen sollen den Verlust der Biodiversität wirksam adressieren und die EU-Biodiversitätstrategie bis 2030 unterstützen.
Unternehmerisches Engagement für Biodiversität
Viele Unternehmen engagieren sich bereits für den Schutz der Lebensräume und Ökosysteme, indem sie
- sich beispielsweise mit dem Erhalt der Biodiversität auf ihrem Unternehmensgelände oder
- in ihrer Lieferkette beschäftigen oder
- in entsprechende Forschung und Entwicklung investieren.
Im Folgenden finden Sie zwei Beispiele:
Lidl ist „auf dem Weg nach Morgen“
Unter dem Motto „Auf dem Weg nach morgen“ fasst der Discounter-Konzern seine Initiativen zusammen. Lidl setzt zum einen mit dem Artenschutzprojekt „Lidl-Lebensräume" seit 2018 auf die Anlage von naturnahen Blühflächen, die besonders Wildbienen und anderen Nützlingen zugutekommen. In dieser Initiative sind bereits 175.000 Quadratmeter Blühflächen an 30 Logistikzentren und 4,6 Millionen Quadratmeter bei Lidl-Lieferanten sowie auf Lidl-Grundstücken entstanden.
Mit der Förderung der Bioland Stiftung treibt Lidl durch innovative Projekte wie „BODEN.KLIMA" und „BODEN.BILDUNG" den Humusaufbau und die nachhaltige Landwirtschaft voran. Darüber hinaus hat das Unternehmen in Zusammenarbeit mit GLOBALG.A.P. und weiteren Partner:innen einen branchenweiten Biodiversitätsstandard im konventionellen Obst- und Gemüseanbau eingeführt. Schließlich setzt sich das Unternehmen für entwaldungsfreie Lieferketten bis 2025 ein.
Tchibo fördert Biodiversität in Ursprungs- und Produktionsländern
Dabei konzentriert sich das Unternehmen auf den nachhaltigeren Anbau von Kaffee und Baumwolle als zwei seiner wichtigsten landwirtschaftlichen Rohstoffe. Durch die Kooperation mit der Global Coffee Platform in Projekten in Brasilien und Vietnam fördert Tchibo umweltfreundlichere Anbaupraktiken, die Reduktion von Pflanzenschutzmitteln und den Schutz natürlicher Vegetation.
Darüber hinaus setzt sich Tchibo für den Schutz von Wäldern ein, indem es illegale Rodungen ausschließt, auf Zertifizierung nach dem Forest Stewardship Council (FSC) oder regionale Waldwirtschaft mit strengen Umweltstandards setzt. Der Einsatz sicherer Textilverarbeitungsmethoden soll verhindern, dass schädlichen Chemikalien in die Umwelt gelangen.