CSRD: Ein praxisorientierter Blick auf die ersten Berichte

Mindestens 20 Unternehmen haben bereits freiwillig eine Nachhaltigkeitserklärung („CSRD-Bericht“) veröffentlicht. Diese können systematisch verglichen werden, um erste Best Practices abzuleiten. Damit eröffnet sich erstmals die Möglichkeit, die neuen gesetzlichen Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung aus einer praktischen Perspektive zu beleuchten.

In weniger als einem Jahr müssen die ersten Nachhaltigkeitsberichte nach der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und den dazugehörigen European Sustainability Reporting Standards (ESRS) veröffentlicht werden.

Die meisten Unternehmen, die Anfang 2025 ihren ersten konformen Bericht veröffentlichen müssen, stecken bereits mitten in den Vorbereitungen. Eine der größten Herausforderungen bisher: Es gibt keine Referenzen. Schließlich handelt es sich um ein völlig neues Rahmenwerk, dessen Anforderungen die meisten bisherigen freiwilligen Berichtsstandards wie GRI bei weitem übertreffen. Die ESRS umfassen 284 Seiten mit Paragrafen und Definitionen, Praxisbeispiele enthalten sie kaum ( Delegierte Verordnung (EU) 2023/2772 der Kommission vom 31.7.2023).

Allerdings eröffnet sich nun die Möglichkeit, sich den ESRS aus einer praxisorientierten Richtung zu nähern und Referenzen als Inspirationsquelle zu nutzen. Dank einiger ambitionierter Unternehmen, die die neuen europäischen Nachhaltigkeitsstandards bereits freiwillig anwenden, können erste Erkenntnisse aus der tatsächlichen praktischen Umsetzung gewonnen werden. 20 solcher „First Mover“-Berichte können bereits verglichen werden, sodass sowohl Best Practices abgeleitet werden können, als auch deutlich wird, welche Ansätze nicht so gut funktionieren.

Wesentlichkeitsanalyse

Die Wesentlichkeitsanalyse ist der Ausgangspunkt und das Herzstück der CSRD. Sie entscheidet darüber, zu welchen Themen ein Unternehmen Informationen offenzulegen hat.

Auch wenn die Wesentlichkeitsanalyse immer individuell vom berichtenden Unternehmen durchgeführt wird, wünschen sich viele eine gewisse Orientierung. Ein Blick auf die „First Mover“-Berichte zeigt, dass im Durchschnitt sieben von zehn ESRS-Themen (basierend auf den zehn Themenstandards) als wesentlich identifiziert und somit in den Berichten behandelt werden. Die Varianz ist jedoch hoch. Während zwei Unternehmen nur über drei Themen berichten, haben drei andere sogar alle zehn ESRS-Themen als wesentlich identifiziert.

Bei der Einordnung sollte berücksichtigt werden, dass die „First Mover“, die bereits ein Jahr vor der Berichtspflicht freiwillig nach dem neuen gesetzlichen Rahmen berichten, tendenziell ambitionierte Nachhaltigkeitspraktiken verfolgen. Daher ist davon auszugehen, dass sich die durchschnittliche Anzahl wesentlicher Themen mit den Pflichtberichten 2025 reduzieren wird.

Der Vergleich der 20 Berichte zeigt, dass vier wesentliche Themen eine Art „realistisches Minimum“ darstellen. Bei den Unternehmen mit nur drei Themen, entsteht schnell der Eindruck, dass etwas fehlt (zum Beispiel, wenn gar nicht über die eigene Belegschaft berichtet wird, obwohl ein Unternehmen über 200.000 Angestellte hat).

Impacts, Risks & Opportunities (IROs)

Die ESRS haben mit ihrer Einführung den Prozess der Wesentlichkeitsanalyse standardisiert. Anders als bisher, wo die Wesentlichkeit häufig auf Themenebene bewertet wurde, fordert das europäische Rahmenwerk die konkreten nachhaltigkeitsbezogenen Auswirkungen (Impacts), Risiken (Risks) und Chancen (Opportunities) – kurz IROs – zu ermitteln und zu bewerten. Ein Schritt, mit dem sich viele Unternehmen in der Praxis schwertun. Schließlich sind die Themen im Standard klar benannt, für die IROs gibt es jedoch keine definierte Liste.

Nur etwa die Hälfte der 20 Berichte legt die wesentlichen IROs transparent und gut erkennbar offen, wie es der Standard fordert (ESRS 2 SBM-3). Einige Unternehmen tun dies im Fließtext der Berichte. Das dürfte zwar den Anforderungen der ESRS genügen, erschwert aber den Adressaten einen Überblick über die IROs. Eine IRO-Übersicht in Listen-, Tabellen oder auch gestalteter Form zu Beginn eines Themenkapitels eignet sich gut, um den Adressaten darauf vorzubereiten, welche Inhalte ihn im entsprechenden Kapitel erwarten. Solche Lösungen finden sich beispielsweise in den Berichten von Ørsted, Arla, H+H, Ottobock, Metsä oder der SGL Group (eine Übersicht der untersuchten Nachhaltigkeitsberichte findet sich in der Tabelle am Ende dieses Beitrags).

Da die IROs unternehmensspezifisch sind, lässt sich ihre Qualität nur schwer bewerten. Was ein Blick in die Berichte allerdings verrät: Manchmal werden Maßnahmen als IRO missverstanden. So wird beispielsweise ein „sicheres Arbeitsumfeld durch Arbeitssicherheitsschulungen“ als positiver Impact berichtet. Es stellt sich die Frage, ob die Arbeitssicherheitstrainings nicht eigentlich eine zu berichtende Maßnahme in Bezug auf einen negativen Impact (arbeitsbedingte Verletzungen/Erkrankungen) sind.

Umfang der Berichte

Noch bevor die ersten Sätze der Nachhaltigkeitserklärung getippt sind, oft sogar noch bevor die ersten Daten erhoben wurden, stellen sich die Verantwortlichen in den Unternehmen häufig die Frage, wie umfangreich der Bericht eigentlich wird. Bisher ließ sich diese Frage nur aus einem Bauchgefühl heraus beantworten: lang. Ein umfangreicher Berichtsrahmen führt in der logischen Konsequenz zu umfangreichen Berichten.

Im Durchschnitt der 20 verglichenen Berichte werden die Nachhaltigkeitsinformationen auf 88 Seiten abgebildet. Wie schon bei den wesentlichen Themen ist auch hier die Spannweite groß. Der kürzeste Bericht kommt auf 28 Seiten, der längste auf 211 Seiten. Zur korrekten Interpretation dieser Zahlen ist es wichtig zu erwähnen, dass keiner der „First Mover“-Berichte die ESRS-Anforderungen zu 100 Prozent erfüllt. Die Unternehmen haben sich im freiwilligen Jahr teilweise gewisse Freiheiten genommen und ganze Anforderungen ausgelassen. Wurde eine Prüfung durchgeführt, so bezog sich diese nur auf den Inhalt, nicht aber auf die korrekte Anwendung der ESRS. Ein 28-seitiger Bericht ist daher für die Pflichtberichterstattung ab 2025 kaum realistisch.

Betrachtet man die Lageberichte der First Mover, so lässt sich eine grobe Daumenregel ableiten: Häufig ist die Nachhaltigkeitserklärung etwa so lang wie der restliche Lagebericht – in der Tendenz sogar etwas länger.

Struktur

Die ESRS sind ein Katalog voller Anforderungen. Deshalb ist es schon fast auffällig, dass die Strukturierung der Nachhaltigkeitserklärungen kaum reglementiert ist. Die Unternehmen haben ihren Bericht in vier Bereiche zu gliedern: Allgemeine Informationen, Umweltinformationen, Soziale Informationen und Governance-Informationen. Innerhalb dieser ESG-Gliederung kann die Struktur allerdings den individuellen Bedürfnissen angepasst werden. Die EFRAG begründet diese Freiheit damit, dass die Berichte ohnehin digital getaggt werden müssen (Stichwort: ESEF, XBRL-Tagging). Allerdings wird dabei außer Acht gelassen, dass die meisten Menschen Berichte nicht im XBRL-Format lesen oder auswerten – sondern klassisch als PDF oder in gedruckter Form.

Die Struktur der Berichte spielt genau deshalb trotzdem eine wesentliche Rolle. Eine grundlegende Erkenntnis aus den „First Mover“-Berichten vorweg: Wenn die Nachhaltigkeitserklärung eine vollständig individualisierte Kapitelstruktur aufweist, ist die Lesbarkeit enorm eingeschränkt. In der Praxis zeigt sich, dass bei solchen individuellen Ansätzen vor allem die Vergleichbarkeit und Auffindbarkeit von Informationen stark eingeschränkt ist.

Umso angenehmer ist, dass sich durchaus schon ein gut geeigneter Ansatz bei einigen „First Mover“-Berichten erkennen lässt. Diese haben sich nah an der Struktur der ESRS orientiert, ohne dabei blind die Reihenfolge der ESRS-Paragrafen zu befolgen (was grundsätzlich nicht zu empfehlen ist).

Die einzelnen Themenkapitel sind hauptsächlich nach Richtlinien, Maßnahmen und Ziele gegliedert. Man kann auch von einer „PAT-Struktur“ sprechen, wobei PAT für Policies, Actions und Targets steht. Die PAT-Struktur hilft den Adressaten dabei, schnell über die Überschriften aufzuzeigen, wo welche Informationen zu finden sind.

Auch die EFRAG empfiehlt implizit eine solche Struktur. In den Ende Mai 2024 erschienenen Q&As wurde die Frage nach der korrekten Struktur der Nachhaltigkeitserklärung damit beantwortet, dass eine Berücksichtigung der Reihenfolge des XBRL-Taggings ratsam ist und vor allem auch die Vergabe der digitalen Tags massiv erleichtert. Das XBRL-Tagging verfolgt ebenfalls die PAT-Struktur. Beispiele für PAT-Strukturen lassen sich in den Berichten von Ørsted, Ottobock, H+H, Metsä und der SGL Group finden.

Visuelle Gestaltung

Die Nachhaltigkeitserklärung gehört in den Lagebericht. Daran führt kein Weg vorbei. Bezüglich Optik und Design führt das zu einem Problem: Lageberichte sind nicht unbedingt bekannt dafür, mit ansprechenden Schaubildern und netten Farbgestaltungen einen Design-Award nach dem anderen abzuräumen. Das steht in gewisser Weise im Widerspruch zum Nachhaltigkeitsbericht, der häufig von Unternehmen auch als eine Art Marketingbroschüre aufwändig gestaltet wird. Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen?

Ein Blick auf die „First Mover“-Berichte verrät, dass die Unternehmen sehr unterschiedliche Ziele mit ihren Nachhaltigkeitserklärungen verfolgen. Während einige der Berichte in gewohnter Lageberichtsmanier daherkommen und hauptsächlich Text und Tabellen auf weißem Hintergrund präsentieren, haben sich andere First Mover mehr getraut. Arlas Nachhaltigkeitserklärung im Lagebericht erinnert beispielsweise sehr stark an einen üblichen „Nachhaltigkeitsbericht“ und kommt sehr verspielt daher: bunte Abbildung und viel Bildmaterial. Grundsätzlich gilt aber für den Lagebericht: nichtssagende Bilder von Pflanzen, Windrädern und sich umarmende Personen bieten dem Leser keinen wirklichen Mehrwert – im Zweifel widersprechen sie sogar dem Relevanzkriterium den qualitativen Merkmalen von Rechnungslegungsinformationen des ESRS 1.

Sind Bilder also ein No-Go? Auf keinen Fall! Eine sinnvolle Einbindung von Bildmaterial lässt sich in der Nachhaltigkeitserklärung von Norsk Hydro finden. Ein Bild, welches den heutigen Zustand eines hundert Jahre alten Metallabbaugebietes zeigt, macht dem Leser auf einen Blick deutlich, warum Norsk Hydro sich intensiv mit den Konsequenzen der Geschäftstätigkeiten beschäftigt, die über ein Jahrhundert in der Vergangenheit liegen.

In den „First Mover“-Berichten lassen sich zudem die Wertschöpfungskette und die IROs als Elemente identifizieren, die sich für schaubildartige oder tabellarische Darstellungen gut eignen.

Fazit und Blick nach vorn

Mindestens 20 First Mover sind nach vorne geeilt und wenden den neuen EU-Rahmen für die Nachhaltigkeitsberichterstattung bereits freiwillig an. Damit bieten sie anderen Unternehmen die Möglichkeit zur praktischen Orientierung.

Eine gute und vor allem präzise Darstellung der Impacts, Risks & Opportunities ist dabei eines der deutlichsten Qualitätsmerkmale. First Mover, die die Notwendigkeit dieser Hervorhebung erkannt haben, punkten häufig auch in anderen Kriterien mit ihren Berichten.

Noch nicht alle Industrien haben einen First Mover hervorgebracht, aber dennoch ist ein breites Spektrum an Sektoren vertreten. Das bietet die Chance, einen Einblick zu gewinnen, wie andere Unternehmen im selben Sektor mit den neuen gesetzlichen Anforderungen umgehen. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass keiner der Berichte das ESRS-Rahmenwerk vollständig erfüllt. Daher sollte keiner der „First Mover“-Berichte blind als Referenz genutzt werden.

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Die untersuchten Berichte und wesentlichen Themen im Überblick:

Unternehmen

E1

E2

E3

E4

E5

S1

S2

S3

S4

G1

#

Ørsted

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6

Philips

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5

NorskHydro

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10

AkzoNobel

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4

H+H

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3

Arla

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7

Santander

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3

Royal BAM

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6

Netcompany

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5

SGL Group

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6

Lamor

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9

Lundbeck

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4

Trelleborg

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7

ABN Amro

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7

Skoda

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9

Metsä

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10

Ottobock

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6

Position Green

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4

Vilsa

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5

Haspa

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10

Schlagworte zum Thema:  CSRD, ESRS, Nachhaltigkeitsberichterstattung