„Die ökologische Transformation ist nicht ohne die digitale möglich“
Frau Herlitschka, Elektronikchips sollen künftig so gebaut sein, dass sie weniger Energie verbrauchen – wie viel Energie lässt sich konkret einsparen?
Traditionell geht von der Energiegewinnung über die Übertragung bis zur Nutzung rund 70 Prozent der Energie verloren. In der Kopplung von intelligenten Technologien und erneuerbaren Energiequellen können hingegen 70 Prozent der Energie genutzt werden. Das Potenzial der Energieeffizienz ist enorm. Mikroelektronik ist dabei Schlüsseltechnologie. Dabei geht es um völlig neue Halbleitermaterialien wie Galliumnitrid und Siliziumkarbid.
Werden die Chips dann viel teurer als bisher und was heißt das für den Absatzmarkt?
Der globale Halbleitermarkt ist extrem kompetitiv. Im Kern geht es immer um Innovation und Kosten. Wir sind kein Hersteller billiger Massenchips. Unsere Stärke liegt im Know-how in innovativen Spitzentechnologien. Wir müssen nicht nur qualitativ, sondern auch preislich gegen Asien und die USA bestehen. Dafür braucht es für europäische Unternehmen auch politisch die richtigen Rahmenbedingungen. Heute stammen nur mehr drei der Top 20 Halbleiter-Unternehmen aus Europa.
Inwiefern haben Sie gegenüber der internationalen Konkurrenz die Nase vorne?
Erst kürzlich haben wir als Infineon zwei Weltneuheiten und technologische Meilensteine vorgestellt, beide mit signifikanten Entwicklungsbeitrag aus Österreich. Einerseits haben wir als erstes Unternehmen den Sprung auf 300mm Galliumnitrid-Wafer (Anm. d. Red.: eine Scheibe aus Halbleitermaterial, wie Silizium, das als Grundlage für die Herstellung von integrierten Schaltkreisen dient) geschafft. Der größere Wafer-Durchmesser ermöglicht die 2,3-fache Menge an Chips pro Wafer und steigert die Kosteneffizienz. Der zweite Durchbruch: Wir produzieren jetzt in Villach mit 20 Mikrometer den dünnsten 300-mm-Silizium-Leistungshalbleiter. Er sorgt für eine noch effizientere Energiewandlung und bringt rund 15 Prozent weniger Leistungsverluste mit sich.
Von der „Twin Transformation“ zur „Triple Transformation“
Innovationen in der Halbleitertechnologie spielen eine zentrale Rolle in der Digitalisierung und Energiewende. Wie schafft es Infineon, gleichzeitig in umweltfreundliche Technologien und digitale Innovationen zu investieren, ohne dass die eine Transformation die andere behindert?
Die ökologische und die digitale Transformation sind kein Gegensatz – sie bedingen und verstärken einander. Das eine ist ohne das andere gar nicht möglich. Unsere Leistungselektroniklösungen unterstützen Kunden und Branchen dabei, energieeffiziente digitale Produkte zu entwickeln. Denken Sie an die modernste Solar- und Windenergie, E-Autos, Smart Homes und Smart Buildings oder das Internet der Dinge. Wir können zum Beispiel mit den rund neun Milliarden Chips, die wir im letzten Geschäftsjahr gefertigt haben, rund sieben Millionen Tonnen CO2-Äquivalente in den Anwendungen einsparen helfen. Das ist in etwa die Hälfte der jährlichen Pkw-Emissionen in Österreich.
Die Twin Transformation von Digitalisierung und Nachhaltigkeit erfordert ein hohes Maß an organisatorischem Wandel und die Bereitschaft zur Veränderung auf allen Ebenen. Wie integrieren Sie sowohl die digitale als auch die nachhaltige Transformation in die Unternehmenskultur?
Die „Twin Transformation“ wird immer mehr zu einer „Triple Transformation“. Die Weiterentwicklung unserer Gesellschaften steht als weitere Transformationsaufgabe neben der Nachhaltigkeit und der Digitalisierung. Für Infineon sind die Dekarbonisierung und Digitalisierung zentrale Kernelemente unserer Vision. Wir haben etwa bereits 2004 den UN Global Compact der Vereinten Nationen unterzeichnet, die Sustainable Development Goals (SDGs) sind in unserer Strategie verankert.
Welche Personalmaßnahmen wie etwa Schulungsprogramme, Anreizsysteme oder Vergütung im Top-Management zahlen darauf ein?
Es gibt Sustainability Dialoge, Energieeffizienzprogramme, Auszeichnungen für nachhaltige Ideen zu den Themen Gesundheit, Umwelt, Energie oder Arbeitssicherheit, Schulungsangebote und Angebote zur Teilnahme an Biodiversitäts- und Naturschutzaktionen.
Soziale Nachhaltigkeit in Zeiten von Sparprogrammen
Sie haben steigende Lohnkosten und ein strukturelles Sparprogramm zur langfristigen Kostensenkung aufgesetzt. Wo wollen sie konkret kürzen?
Die Maßnahmen betreffen die Fertigungsproduktivität, Portfoliomanagement, Preisqualität und Betriebskosten-Optimierung. Kompetenzen und Know-how werden stärker gebündelt. Daher werden in einigen Bereichen Positionen wegfallen oder in andere Länder verlegt. Das betrifft in den nächsten zwei Jahren etwa 380 der rund 6.000 Stellen in Österreich.
Wie gewährleisten Sie, dass solche Maßnahmen nicht zu Lasten der Innovationskraft oder der Mitarbeiterzufriedenheit gehen?
Kündigungen wollen wir vermeiden. Wir setzen das mit Instrumenten wie Altersteilzeit, natürliche Fluktuation, Angebote zur freiwilligen und einvernehmlichen Auflösung von Dienstverhältnissen oder zum Wechsel an andere Standorte so sozial verträglich als möglich um. Und wir sparen nicht an der Zukunft. Das Vorantreiben von Innovationen bleibt hochrelevant und Infineon wird weiterhin in seine Innovationskraft investieren. Für mich ist es wichtig, Veränderungsprozesse selbst in der Hand zu haben.
„Green Deal muss ohne ideologische Scheuklappen umgesetzt werden“
Mit dem EU-Chips-Act stehen beträchtliche Mittel bereit, um die europäische Chipproduktion massiv auszubauen – nämlich 43 Milliarden Euro. Ist es nicht eine unternehmerische Aufgabe, den Markt in Europa voranzutreiben? Der Chips Act könnte schließlich auch zu einer Abhängigkeit von Subventionen führen.
Der European Chips Act ist ein wichtiger Schritt, um in Europa ein Halbleiterökosystem auf globalem Spitzenniveau zu etablieren und einseitige Abhängigkeiten abzubauen. Chips sind nicht irgendein Markt. Circa 50 Prozent der globalen Wertschöpfung brauchen an irgendeiner Stelle Chips. Das ist ein Wohlstandsschlüssel. In einer globalen Industrie ist es notwendig, dass gleiche und faire Bedingungen herrschen. Das ist leider nicht mehr der Fall.
Wir haben immer betont, dass nicht allein die Produktion in Europa ausschlaggebend ist. Forschung, Chipdesign, Software und nicht zuletzt die Stärkung der europäischen Märkte sowie Lieferketten und die Halbleiternachfrage sind ebenso wichtig. Nicht zuletzt brauchen wir die nötigen Fachkräfte und müssen aus Fehlern der Vergangenheit lernen, nämlich unnötigen Verwaltungsaufwand und langwierige Entscheidungsverfahren vermeiden. Wie erfolgreich der EU Chips Act bis 2030 sein wird, hängt auch stark davon ab, ob es gelingt, private Investitionen von Unternehmen und öffentliche Investitionen der Mitgliedstaaten anzureizen. Auch Programme wie der Green Deal Industrial Plan spielen hier eine Rolle.
Sie fordern eine intelligentere Regulatorik. Was meinen Sie damit konkret?
Der Green Deal der EU muss ohne ideologische Scheuklappen umgesetzt werden. Es braucht mehr Einheitlichkeit in den Reporting-Erfordernissen. Das „once only“ Prinzip ist wichtig, das heißt, dass Unternehmensdaten und Indikatoren nur einmal zu melden sind. Gerade im Nachhaltigkeitsreporting gibt es viel parallelen Aufwand. Und es braucht öffentlich einsichtige Datenregister, zum Beispiel bei Umsetzung des Lieferkettengesetzes.
Parallel sind positive Impulse wie steuerliche Anreize für Unternehmen sinnvoll, die in grüne Technologien investieren. Die USA zeigt hier mit dem Inflation Reduction Act, wie es gehen kann, etwa mit einfachen Steuermechanismen. Ein anderes Beispiel: Die Förderung von Forschung und Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien. Statt Unternehmen aufzuerlegen, bestimmte Prozentsätze ihres Energieverbrauchs aus erneuerbaren Quellen zu beziehen, könnten auf europäischer Ebene große Leuchtturmprojekte initiiert werden, die gezielt langfristig zu besseren und kostengünstigeren Lösungen führen.
Sie kritisieren Regulatorik, aber Subventionen nehmen Sie doch. Wie passt das zusammen?
Subventionen, wenn sie klug eingesetzt werden, sind ein Werkzeug, um Innovationen zu fördern und Marktverzerrungen zu vermeiden, gerade in der Anfangsphase. Der Staat spielt eine wichtige Rolle, indem er durch Regulatorik grüne Märkte aufbauen kann. Insbesondere in der Beschaffung hat ein Staat ein sehr wirksames Instrument in der Hand. Hier zeigen die USA seit langem, wie erfolgreich dieser Weg sein kann.
Klimaziel: CO2-neutral in Scope 1+2 bis 2030
Wie wollen Sie Ihre CO₂-Emissionen konkret reduzieren?
Wir schauen auf unsere internen Prozesse. Unser Ziel ist es, bis 2030 die CO2-Neutralität bei direkten und indirekten Emissionen (Scope 1 und 2) zu erreichen. Dabei kommen wir gut voran. Seit 2019 hat Infineon seine Emissionen mehr als halbiert und gleichzeitig seinen Umsatz zu verdoppelt. Mit der Teilnahme an der Science-based Targets Initiative und dem Bekenntnis zu einem wissenschaftsbasierten Klimaziel erweitert Infineon die Klimastrategie. Das bedeutet, dass wir auch unsere Lieferanten und indirekten Emissionen (Scope 3) in unsere Bemühungen einbeziehen.
Mit dem Product Carbon Footprint nach Produktgruppen erhalten Kunden Unterstützung, um ihre eigene Klimastrategie und CO2-Emissionsreduktionen voranzubringen. Und wir optimieren unseren Energie- und Ressourcenverbrauch, indem wir selbst intelligente Technologien und Künstliche Intelligenz aktiv nutzen. Wir verstärken die digitale Vernetzung von Anlagen und Prozessen, über die Abwärmenutzung, den Einsatz von PV-Anlagen, E-Ladestationen, IT-Upcycling und grünen Wasserstoff.
Sie möchten bis 2025 die Produktion deutlich hochfahren. Welche Risiken sehen Sie in der Expansion – etwa in Bezug auf externe Faktoren wie geopolitische Spannungen oder steigende Energiepreise?
Schwankende Zyklen sind für die Halbleiterindustrie nicht neu. Unsere langfristen Wachstumstreiber sind intakt, trotz der aktuellen Schwäche am Markt. Die neue vollautomatisierte Chipfabrik in Villach fahren wir weiter sukzessive hoch. Als Innovationsvorreiter spielt der Fertigungsstandort auch eine zentrale Rolle im globalen Verbund von Infineon. Als „One Virtual Fab“ sind wir eng mit Dresden und Kulim in Malaysien verbunden. Mit Dresden geht es um die virtuelle Vernetzung der automatisierten Fertigungsprozesse von 300-mm-Siliziumdünnwafern und mit Kulim arbeiten wir im Bereich Siliziumkarbid und Galliumnitrid-Leistungshalbleiter zusammen. Das ermöglicht flexible Anpassungen bei Kapazitäten, Technologien und Prozessen.
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