Nachhaltigkeitshemen werden in der Firma Jean Müller schon lange großgeschrieben. Wie bei vielen Mittelständlern wurden sie bisher jedoch von Mitarbeitenden zusätzlich zu ihrem eigentlichen Tagesgeschäft vorangetrieben. Mit der nahenden Berichtspflicht im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) beschloss das Unternehmen daher, eine neue Position eines Nachhaltigkeitsmanagers zu schaffen. Seit Anfang 2024 ist Leo Stein nun für die Steuerung der Nachhaltigkeitsthemen bei Jean Müller verantwortlich.
Das Unternehmen ist mit der Wesentlichkeitsanalyse den ersten Schritt in Richtung CSRD-Umsetzung gegangen. „Unsere aktuelle Wesentlichkeitsanalyse ist Bestandteil eines internen Testlaufs“, sagt Nachhaltigkeitsmanager Stein. Erst im Jahr 2026 muss das mittelständische Unternehmen offiziell berichten. Doch man möchte vorbereitet sein, um die herausfordernden CSRD-Anforderungen reibungslos umzusetzen. Daher berichtet das Unternehmen intern bereits 2025 für 2024. Mit der aktuellen Analyse konnte das B2B-Unternehmen nun wertvolle Erkenntnisse sammeln, die den weiteren Nachhaltigkeitsbestrebungen zugutekommen.
Prozess und Umsetzung: So ist Jean Müller vorgegangen
Um die Wesentlichkeitsanalyse durchzuführen, wurde zunächst eine Kernarbeitsgruppe ins Leben gerufen. Einer der beiden Geschäftsführer, der Verantwortliche für das Energie- und Umweltmanagement sowie der Nachhaltigkeitsmanager Stein tauschten sich in dieser Arbeitsgruppe regelmäßig aus. Anlassbezogen wurde Input von weiteren Kolleg:innen aus anderen Abteilungen hinzugezogen, beispielsweise für soziale Themen aus dem Personalbereich oder aus dem Controlling, wenn Zahlen gefragt waren.
Die Dreier-Kernarbeitsgruppe koordinierte unter anderem die Stakeholder-Analyse, die der eigentlichen Wesentlichkeitsanalyse vorausging. Zusätzlich unterstützte eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft das Unternehmen. „Der Austausch mit anderen Nachhaltigkeitsmanagern war für uns ebenfalls wichtig“, sagt Stein, der sich ein Netzwerk aufgebaut hat, (unter anderem auch über den D-A-CH Verband CSR Manager:innen e.V.) in dem sich die Nachhaltigkeitsmanager:innen unterschiedlicher Unternehmen über Anforderungen, Berichtspflichten und Umsetzungen austauschen. Die Umsetzung der Berichtspflichten ist für alle nämlich Neuland.
Dokumentieren, dokumentieren, dokumentieren
Das korrekte Vorgehen für eine Wesentlichkeitsanalyse gibt der Gesetzgeber im Rahmen der „European Sustainability Reporting Standards“ (ESRS) vor – von Klima über Ressourceneffizienz bis hin zu sozialen Themen gilt es, das eigene Wirken darzulegen. „Der Dokumentationsaufwand ist immens und nicht vergleichbar mit bisherigen Themen“, sagt Stein. Herausfordernd war für das Team, dass selbst ein Mittelständler sehr tief in seine Wertschöpfungskette blicken muss.
Jean Müller ist international aufgestellt; inklusive der Vertriebsniederlassungen ist man in 65 Ländern aktiv. Für die Produktion in manchen Ländern, zum Beispiel in Indien, galt es zu prüfen, ob Themen eventuell anders bewertet werden müssen, da dort andere Sozialstandards herrschen. Hinzu kommt: Ein Unternehmen wie Jean Müller kann zwar mit seinen direkten Lieferant:innen sprechen, aber als vergleichsweise kleiner Betrieb mit 600 Mitarbeitenden ist es für die Firma meist nur schwer möglich, noch tiefer in die Wertschöpfungskette zu schauen. „Wir halten schriftlich mit unseren Lieferanten fest, dass auch in ihren Lieferketten die Nachhaltigkeitsanforderungen erfüllt werden“, sagt Stein. Doch detailliert überprüfen lassen sich die Angaben in vielen Fällen nicht. In allen Produkt- und Werkstoffgruppen suchte die Firma das Gespräch mit den Zulieferern, um Antworten zu erhalten, beispielsweise auf die Frage, wo das für die Produktion benötigte Kupfer eingekauft wird.
Viele Meetings und die richtigen Fragen führten letztlich zum Ziel. Die Excel-Zellenanzahl, die im Rahmen der Wesentlichkeitsanalyse mit Informationen aufgefüllt wurde, bewegt sich in einem vierstelligen Bereich. „Spannend war es, die geforderten Punkte der Nachhaltigkeitsanalyse neben die eigenen Aktivitäten beziehungsweise den Status Quo zu legen“, sagt Stein. „Erfreulicherweise konnten wir bei vielen – auch wesentlichen Themen – schon viele positive Beiträge vorweisen.“ So sind beispielsweise ein Energie- und Umweltmanagement schon lange ein wichtiger Bestandteil der Firmen-Strategie. Große Lücken gab es laut Stein keine.
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Wesentlich, das sind auch die Mitarbeitenden
Ein wichtiger Punkt der gesamten Analyse war die doppelte Wesentlichkeit – also die Auswirkungen des Unternehmens auf Nachhaltigkeitsthemen wie Umwelt und Gesellschaft einerseits und die finanziellen Auswirkungen von Nachhaltigkeitsaspekten auf das Unternehmen andererseits. Für viele Aspekte kam dem Kernteam die jahrzehntelange Erfahrung des Geschäftsführers zugute.
Insgesamt konnten für die Firma Themen aus sechs ESRS-Standards als wesentlich identifiziert werden. Themen mit besonderer Relevanz sind: Die eigenen Mitarbeitenden, die Ressourcennutzung und Kreislaufwirtschaft sowie die Sicherheit für die Anwender der elektrotechnischen Produkte, die von der Firma hergestellt und vertrieben werden. Der gesamte Prozess der Wesentlichkeitsanalyse dauerte rund acht Monate und war aus Sicht von Stein eine sehr hilfreiche Vorbereitung auf die CSRD-Berichtspflicht, die für das Unternehmen ab 2026 greift.
Das Lieferkettengesetz freiwillig zu 80 Prozent umgesetzt
Heute kennt das Unternehmen Jean Müller seine wesentlichen Themen und kann darauf aufbauen. „Das ist die Basis, auf der wir unsere KPI-Liste erarbeiten werden“, sagt Stein. Die Key Performance Indicators (KPIs) spielen eine zentrale Rolle in der Berichterstattung gemäß der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Sie sind nötig, um die Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen zu messen und zu bewerten. Ebenso geben sie auf dem Weg zu den Nachhaltigkeitszielen Aufschluss über die erreichten Fortschritte. Stein rechnet mit rund 500 qualitativen und quantitativen KPIs, die diese Liste dann umfassen wird.
Aber nicht nur für die CSRD-Berichterstattung wurde mit der Wesentlichkeitsanalyse der Grundstein gelegt. Die Analyse selbst hat bereits einiges bewegt. „Um die Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse zu erhalten, waren neue Maßnahmen nötig“, sagt Stein. Beispielsweise, indem man detaillierter als bisher analysiert habe, wo Lieferant:innen ihre Rohstoffe einkaufen. Obwohl das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz für den Mittelständler nicht bindend ist, hat man es freiwillig zu 80 Prozent umgesetzt. Da das Unternehmen nur von wenigen hundert Firmen beliefert wird, kann es die Risiken in seiner Wertschöpfungskette vergleichsweise gut einschätzen und hat auch einen eigenen Code of Conduct, der nach und nach an relevante Lieferant:innen weitergegeben wird. „Wir sind dabei, dass Risikomanagement für Nachhaltigkeitsthemen in der Lieferkette stark hochzufahren“, sagt Stein.
Berichtspflichten: Nicht lange ärgern, sondern frühzeitig anfangen
„Um eine Wesentlichkeitsanalyse erfolgreich durchzuführen, benötigt man ein inhaltlich gut aufgestelltes Team“, rät Stein. Auch eine interne Wissensvermittlung zu verschiedenen Nachhaltigkeitsthemen kann eine große Wirkung entfachen und die relevanten Stakeholder thematisch ins Boot holen. „Im besten Fall finden sich Kollegen, die schon lange im Unternehmen arbeiten, es sehr gut kennen und Lust auf das Thema haben“, sagt Stein. Kleineren Unternehmen rät er zu einer „ehrlichen 80/20“: Darunter versteht der Nachhaltigkeitsexperte, die wichtigsten Punkte anzupacken, aber auch Lücken zu dokumentieren, um diese dann in den Folgejahren aufzugreifen. Insbesondere kleinen und mittelständischen Unternehmen empfiehlt er, möglichst frühzeitig mit den Dokumentationen zu beginnen: „Man sollte sich nicht über die neuen Berichtspflichten ärgern, sondern sie als Chance sehen.“
Egal ob Konsumgüterhersteller, Marketing-Tech-Anbieter oder Maschinenbauer: In nahezu allen Branchen fragen Kund:innen zunehmend nach, wie es um das Thema Nachhaltigkeit steht. Und auch für Jean Müller geht die Nachhaltigkeitsreise laut Stein weiter: „Wir sind noch im Prozess des Lernens, wie wir die Anforderungen der Berichtspflichten umsetzen können, zum Beispiel die Taxonomie als Teil der CSRD, in der man unter anderem Umsätze, Investitionsausgaben und Betriebsausgaben danach klassifizieren muss, ob es sich um eine nachhaltige Wirtschaftsaktivität handelt oder nicht.“
Das Unternehmen hat mit der Wesentlichkeitsanalyse bereits wertvolle Erfahrungen gesammelt, auf die es bei der geforderten jährlichen CSRD-Berichterstattung, aber auch bei künftigen Projekten, zurückgreifen kann. Neben der zu erstellenden KPI-Liste und dem zugehörigen CSRD-Bericht soll im nächsten Schritt das Thema „Klima“ strategisch angegangen werden, um den CO2-Fußabdruck möglichst niedrig zu halten. Und auch eine Website zum Thema Nachhaltigkeit ist geplant, um das Thema weiter transparent zu kommunizieren.
Über die Jean Müller GmbH Elektrotechnische Fabrik Das 1897 in Eltville gegründete und seitdem privat geführte Unternehmen stellt Komponenten und Systeme für die Stromverteilung im Niederspannungsbereich her. Die Firmenzentrale und die Haupt-Produktionsstätte befinden sich seit 126 Jahren ununterbrochen am Gründungsort. In den letzten Jahren wuchs Jean Müller im zweistelligen Bereich und erwirtschaftete 2022 mit 600 Mitarbeitenden 140 Millionen Euro Umsatz. Nach eigenen Angaben leistet Jean Müller in Deutschland als Markt- und Technologieführer im Bereich Sicherungs-Lastschaltleisten einen zentralen Beitrag zur Energiewende. Die Elektronik-Lösungen schaffen die messtechnische Grundlage für die intelligenten Verteilnetze der Zukunft. Darüber hinaus bietet die Firma den Energieversorgern auch vielfältige und kostenoptimierte Optionen für Neuinstallationen und Nachrüstungen gleichermaßen. Speziell für Betreiber kommerzieller und industrieller Liegenschaften bietet das Unternehmen als einer von nur zwei Anbietern weltweit Lasttrennschalter mit Sicherungen und vollintegrierter Elektronik an. |