Interview mit Nuvia Maslo von VERSO

Viele Unternehmen wissen nicht, wie (wenig) nachhaltig sie wirklich sind, meint Nuvia Maslo, Chief Communications Officer von Verso. Über den Erfolg nachhaltiger Führung, den Wildwuchs im Nachhaltigkeitsmarkt und den Wert ehrlicher Kommunikation sprachen wir beim Impact Festival 2024.

Frau Maslo, beim Impact Talk im März 2024 haben Sie gesagt: „Es gibt Unternehmen, die gäbe es besser nicht, wenn man nach Nachhaltigkeitskriterien geht.“ Warum gibt es Verso?

Nuvia Maslo: Uns war es schon immer wichtig, für Konsumenten – die ja dauernd Kaufentscheidungen treffen – transparent zu machen, wie nachhaltig ein Unternehmen ist. Dann haben wir festgestellt: Unternehmen wissen das selbst nicht. So sind wir eigentlich zum heutigen Problem gekommen, das wir für Unternehmen lösen. Erst erheben wir ihre Nachhaltigkeitsdaten, erleichtern den Umgang damit, dann berichten wir und entwickeln diese Arbeit weiter. 

Von der Bubble zum Wildwuchs: Der Nachhaltigkeitsmarkt im Wandel

Seit 2012 ist Verso mit einer Nachhaltigkeitssoftware am Markt. Wie war die Situation damals? 

Die Gründer Florian Holl und Andreas Maslo haben sich zehn Jahre in einer Bubble von Menschen bewegt, die irgendwie Impact schaffen wollten. Damals konnte man die Zahl der Menschen, die sich für Nachhaltigkeit oder Nachhaltigkeitssoftware interessierten, an einer Hand abzählen. Von 2010 bis 2019 waren der Markt und das Verständnis also nicht wirklich da. Vielleicht war auch der gesellschaftliche Reifegrad noch nicht erreicht. Allerdings müssen wir zunächst Dinge messen und erfassen, um zu verstehen, was notwendig ist, und um etwas zu verändern.

Unternehmen unterliegen inzwischen einigen Pflichten und auch neue Angebote für Tools und Beratung sind dazugekommen. Wie nehmen Sie den Markt aktuell wahr?

Einige Beratungsangebote setzen dort an, wo es Unternehmen brauchen. Aber es gibt auch schwarze Schafe, die nur das schnelle Geld wittern, sobald eine Regulatorik kommt.

Einige Beratungsangebote setzen dort an, wo es Unternehmen brauchen. Aber es gibt auch schwarze Schafe, die nur das schnelle Geld wittern, sobald eine Regulatorik kommt. Manche Kunden weisen uns auf Angebote hin, die überhaupt nicht relevant sind. Sie haben dafür meist viel Geld bezahlt, aber letztlich ist nichts passiert. Das ist schade, weil es die Nachhaltigkeit bei Unternehmern in Verruf bringt. Der Markt für Software und Beratung im Bereich Nachhaltigkeit gleicht aktuell dem wilden Westen.

Viele Unternehmen ringen damit, langfristig und erfolgreich am Markt zu bleiben. Wie geht das?

EBIT geht nicht mehr ohne ESG. Das erleben wir überall, auch bei unseren Kunden, die den Druck von allen Seiten spüren: Fremdkapital wird teurer und es ist schwer, verantwortungsbewusste Mitarbeitende zu gewinnen und zu halten. Nachhaltige Führung und wirtschaftlicher Erfolg schließen sich nicht aus. Am Ende des Tages bedeuten Nachhaltigkeit und eine Nachhaltigkeitsstrategie: Zukunftsfähigkeit. Und der Nachhaltigkeitsbericht ist ein Spiegel der Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens.

Echte Diversität als Blind Spot im Unternehmen

Im Zuge der Nachhaltigkeit sind auch mehr Frauen in Führungspositionen zu sehen. Gibt es einen heimlichen Aufstieg weiblicher Führungskräfte mit dem Eintritt der Nachhaltigkeit in die C-Level?

Grundsätzlich gibt es noch keinen ausreichenden Aufstieg; gerade in entscheidenden Bereichen kommen wir gar nicht oder nur langsam voran. Werfen wir einen Blick in große sowie mittelständische Unternehmen: Dort gibt es zwar Frauen auf der Ebene von Team- oder Bereichsleitungen. In der Geschäftsführung oder im Vorstand sind es eher wenige. Viele Frauen sind viel zu leise mit Blick auf das, was sie leisten, gerade im Bereich Nachhaltigkeit. Zwar haben sie das Potenzial, durch Nachhaltigkeit als Strateginnen im Unternehmen sichtbar zu werden, aber sie werden durch das Thema kaum in die Geschäftsführung oder den Vorstand kommen. Auch wenn wir uns das alle wünschen.

Viele Frauen sind viel zu leise mit Blick auf das, was sie leisten, gerade im Bereich Nachhaltigkeit.

Kann Diversität dem Unternehmen Vorteile bieten oder ist das zu viel erwartet?

Ich muss keine Feministin sein, um zu beobachten, dass gleichgeschlechtliche Teams – übrigens auch rein weibliche – eine gewisse Dynamik entwickeln, die nicht förderlich für den wirtschaftlichen Erfolg ist. Es gibt dann zu viel von einer Perspektive und das verzerrt die Realität. Zudem gibt es noch einige andere Dimensionen der Diversität, wie soziale Herkunft, Religion oder sexuelle Orientierung. Je weniger wir davon haben, desto weniger Realität bilden wir ab. Oft entstehen dadurch gefährliche Trugschlüsse darüber, was unsere Kunden wollen und was nicht. Wir sind blind auf einem Auge, das ist ein Problem.

Aus der Unternehmenskommunikation ist Diversity nicht wegzudenken. In der Praxis geht es bei vielen Unternehmen aber nur langsam voran. Wie entkommt man der „Kommunikationsfalle“?

Es ist wichtig, einen Anspruch zu setzen, um sich daran messen zu lassen. Wenn ich nicht mehr Diversität fordere, wird sich nur wenig im Unternehmen verändern. Wir dürfen auch nicht vergessen, welche Macht das Wort des obersten Unternehmensorgans hat. Das hat Einfluss und setzt Maßstäbe. Daher ist es umso bitterer, wenn man sich – auch im Nachhaltigkeitsbericht – immer wieder Ziele setzt und diese, etwa durch falsche Maßnahmen, nicht erreicht. Häufig braucht es dafür einen kulturellen Shift.

Nachhaltigkeit und Kommunikation: Nicht am Ziel, aber auf dem Weg

Was bedeutet es, ehrlich über die eigene Nachhaltigkeitsarbeit zu sprechen?

Kein Unternehmen ist zu 100 Prozent nachhaltig. Seien Sie einfach ehrlich über die Tatsache, dass Sie losgehen und noch nicht am Ziel sind. In der Kommunikation kann man auch viel aus Rückschlägen ziehen. Wenn ich so etwas intern oder extern thematisiere, erhalte ich Impulse: Warum hat etwas nicht funktioniert, was fehlt zum Erfolg? Das ist nicht einfach anzuhören, aber genau hier liegt der Hebel, den wir freilegen müssen. Kommunikation bedeutet heute, in den Dialog zu gehen, sei es im Intranet oder über andere Kanäle. Besonders wichtig ist daher eine gewisse Ambiguitätstoleranz: Man kann stolz auf Erfolge wie die Reduktion des Company Carbon Footprint sein und gleichzeitig darauf hinweisen, wo es noch nicht läuft – wenn zum Beispiel die Diversitätsquote gesunken ist. Natürlich kann man in Scham und Unzulänglichkeit versinken, aber dann tut man irgendwann gar nichts mehr für Nachhaltigkeit.

Kein Unternehmen ist zu 100 Prozent nachhaltig. Seien Sie einfach ehrlich über die Tatsache, dass Sie losgehen und noch nicht am Ziel sind. In der Kommunikation kann man auch viel aus Rückschlägen ziehen.

Zu den Werten von Verso zählt Reflexion. Worüber müssten Sie noch mehr sprechen?

Es gibt einige Themen, die wir bereits besprechen, aber noch nicht konkret festlegen. Erstens wollen wir ab 2025 stärker in Europa expandieren. Bislang sind wir in der gesamten Geschichte des Unternehmens noch nicht geflogen. Und nach Frankreich oder Spanien kommen wir sicherlich auch ohne Flugzeug, aber wie ist das mit anderen Ländern? Werden wir fliegen, um Verso größer zu machen und Unternehmen zu helfen? Oder bleiben wir beim Prinzip, treffen weniger Unternehmen und fahren mit der Bahn durch halb Europa? Wir wollen genau überlegen, was wirklich notwendig ist und wie wir unseren negativen Fußabdruck minimal halten können. Zweitens müssen wir immer wieder auf unsere eigene Diversität blicken. Zwar haben wir unheimlich viele Bewerbungen, aber auch wir können uns die Menschen nicht backen. Die Entwicklung unserer Diversität ist tendenziell nicht mehr so gut wie vor einem Jahr. 

Das bedeutet?

Es bewerben sich weniger Frauen für Jobs auf dem höheren Führungslevel, aktuell sind es nur noch zwischen fünf und zehn Prozent. Wir müssen uns aber weiter mit dem Thema befassen und überlegen, wie wir das weiterentwickeln können. Nicht zuletzt müssen wir offen und ehrlich bleiben und uns fragen, ob wir nicht selbst unterbewusst etwas leben, was abschreckend wirkt. Das sind unsere Hausaufgaben.

Hinweis: Das Interview wurde beim Impact Festival 2024 geführt.



Schlagworte zum Thema:  Software, Nachhaltigkeit, Leadership