Weil sich das Vorurteil angesichts der kostspieligen Nachhaltigkeitsaktivitäten der Badischen Staatsbrauerei Rothaus AG, kurz Rothaus, einfach sehr schnell aufdrängt, räumt es Vorstandsreferentin Ann-Kristin Lickert gleich mal aus: Nein, die Brauerei wird nicht von ihrem Anteilseigner, dem Land Baden-Württemberg, bevorzugt, bezuschusst oder sonstwie gesponsert. Sie gehört zwar zu 100 Prozent dem Land, unterliegt aber wie jede andere deutsche Aktiengesellschaft auch den strengen Regeln des Aktiengesetzes; entsprechend wirtschaftet sie unabhängig. Rothaus ist seit vielen Jahren ein profitables Unternehmen.
Von Vorteil ist sicherlich, dass die für ihre Marke „Tannenzäpfle“ weit über ihre Heimat im Hochschwarzwald hinaus beliebte Brauerei nicht von erratischen oder Dividenden-versessenen Investoren abhängig ist. Sie kann deshalb langfristig, planungssicher und nachhaltig agieren.
Rothaus zählt zu den Unterzeichnern der WIN-Charta (seit 2024: „KLIMAWIN“), in der sich baden-württembergische Unternehmen freiwillig zu Nachhaltigkeit, zur Region und zu ihrer ökonomischen, ökologischen und sozialen Verantwortung bekennen. Im 2022er-Bericht formulierte das Unternehmen seine Schwerpunkte in der Nachhaltigkeit wie folgt:
„Wir steigern die Ressourceneffizienz, erhöhen die Rohstoffproduktivität und verringern die Inanspruchnahme von natürlichen Ressourcen.“ Und: „Wir setzen erneuerbare Energien ein, steigern die Energieeffizienz und senken Treibhausgas-Emissionen zielkonform oder kompensieren sie klimaneutral.“
Was bedeutet „klimapositiv“ für Rothaus eigentlich?
Die Aussagen im Bericht sind kein Lippenbekenntnis: Die Brauerei weicht auch angesichts der konjunkturellen Gesamtlage – in der viele Unternehmen ihr Engagement in puncto Nachhaltigkeit leise, still und heimlich unter den Tisch fallen lassen – keinen Millimeter von ihrem ehrgeizigen Ziel ab: Laut Alleinvorstand Christian Rasch will Rothaus bis zum Jahr 2030 klimapositiv sein, und zwar, so erklärt es Rasch in einem Unternehmensfilm, „cradle-to-gate“ – vom Ursprung bis zur Abholung am Brauereitor.
Klimapositiv? Das heißt, Rothaus muss es in den kommenden fünf Jahren gelingen, nicht nur keine zusätzlichen Treibhausgas-Emissionen zu produzieren, sondern aktiv dafür sorgen, die bereits vorhandene Menge an Treibhausgasen zu senken. Nun ist die Herstellung von Bier energieintensiv. Wie also soll das funktionieren?
Salopp formuliert: mit sehr viel Geld, sehr viel Innovationskraft und sehr viel gutem Willen. Seit dem Jahr 2013 und noch bis 2030 fließen insgesamt mindestens 40 Millionen Euro, um Rothaus klimapositiv zu machen. Für den Unternehmens-Chef gibt es zwei wichtige Gründe für diese Kraftanstrengung: „Erstens: Tannenzäpfle ist ein reines Naturprodukt. Unsere Inhaltsstoffe kommen hier aus der Region. Wenn der Klimawandel in dieser Geschwindigkeit voranschreitet, besteht die Gefahr, dass wir in dieser Qualität unser Tannenzäpfle nicht mehr brauen können. Der zweite Punkt: Meine Generation hat den Klimawandel mit verursacht. Ich werde mit meinen Mitarbeitenden noch innerhalb meiner aktiven Berufszeit meinen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise leisten.“
Meine Generation hat den Klimawandel mit verursacht. Ich werde mit meinen Mitarbeitenden noch innerhalb meiner aktiven Berufszeit meinen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise leisten.
- Christian Rasch
Die Schritte zur Klimapositivität
Christian Rasch kann sich an seinen Taten messen lassen: Seit er im Jahr 2010 den Vorstandsposten antrat, senkt das Unternehmen Schritt für Schritt die CO₂-Emissionen. Dabei arbeitet Rothaus eng mit Landwirten und Mälzern zusammen, um die vorgelagerten Lieferketten klimaneutral zu bekommen. Auch die hauseigenen Ingenieure haben alle Hände voll zu tun:
Schritt 1: 2014 installierte Rothaus eine eigene Sortieranlage. Die Mehrwegflaschen werden bis zu 40-mal befüllt, ehe sie als Altglas in den Materialkreislauf zurückgehen. Allein dank dieser Anlage reduzierte sich der CO₂-Ausstoß von Rothaus um 50 Prozent, ist auf der Website rothaus.de/klimapositiv2030 nachzulesen. Diese Investition erweist sich auch wirtschaftlich als Segen: Die Herstellung von Glas ist energieintensiv und deshalb seit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine sehr teuer geworden. Mehrwegflaschen entwickelten sich in den vergangenen Jahren zu einem ebenso knappen wie begehrten Gut. Rothaus hat dank der eigenen Sortieranlage Zugriff auf die wichtige Ressource. In der Anlage werden auch die umstrittenen Aluminiumkapseln der „Zäpfle“-Flaschen recycelt. Die Brauerei hält an diesen sogenannten Faltakapseln fest, weil sie dafür sorgen, dass die Flaschenhälse sauber und staubfrei bleiben. Die unternehmenseigenen Ingenieure entwickelten eine spezielle Maschine, die das Aluminium von den Flaschen abzieht, presst und sortenrein recycelt. (Kleiner Praxistipp: Deshalb sollte man sie nicht von den Flaschenhälsen abknibbeln.)
Schritt 2: Seit 2016 nutzt Rothaus regionalen Ökostrom aus Wasserkraftanlagen am Hochrhein. Die Folge: rund 2.800 Tonnen weniger CO₂-Ausstoß pro Jahr.
Ein Jahr später – dies ist Schritt 3 – installierte Rothaus auf Hallendächern und Außenfassade knapp 1.000 Quadratmeter Kollektorfläche für die hauseigene Solarthermieanlage. Sie macht unter anderem Prozesswärme für die Flaschenwaschmaschinen der beiden Abfüllanlagen nutzbar. Reduktion der CO₂-Emissionen? Gut 80 Tonnen jährlich.
Schritt 4 – und dazu gibt es anlässlich der Einweihung dann doch auch mal ein offizielles Foto mit Ministerpräsident (und somit oberstem Vertreter des Hauptaktionärs) Winfried Kretschmann – folgte im Jahr 2020: die Inbetriebnahme der Photovoltaik-Anlage. Technische Eckpunkte: 9.000 Quadratmeter PV-Fläche, die 1.500 MWh generieren und damit 20 Prozent des Strombedarfs von Rothaus abdecken.
2023 folgte Schritt 5, die Erweiterung der eigenen Kläranlage um eine anaerobe Kläranlagenstufe. Knapp sechs Jahre tüftelten die Ingenieure an diesem Projekt. Es spart jährlich circa 100.000 Liter Heizöl und somit 270 Tonnen CO₂.
All die Maßnahmen zur Energieeinsparung zahlen sich nicht nur in der Öko-, sondern auch in der finanziellen Bilanz aus: „Energie, die Rothaus nicht verbraucht, kostet nichts“, sagt Christian Rasch. Am Beispiel von Rothaus zeigt sich einmal mehr, dass sich Nachhaltigkeit betriebswirtschaftlich rechnet.
Bisher erreicht: Emissionsreduktion um 71 Prozent
In Summe reduzierte Rothaus mit all den Maßnahmen seine CO₂-Emissionen in Scope 1 und 2 binnen zehn Jahren – von 2013 bis 2023 – um beachtliche 71 Prozent. Damit ist das Ziel der Klimapositivität aber noch nicht erreicht. Derzeit laufen 40 weitere Projekte. Seit 2024 liefern zum Beispiel fünf nigelnagelneue eActros 400 das Tannenzäpfle-Sortiment aus. „Bei diesem Projekt haben mit der Badischen Staatsbrauerei Rothaus AG und der Daimler Truck AG zwei Unternehmen ihre Kräfte gebündelt. Wir planen die Komplettumstellung unserer Flotte auf E-Mobilität, damit substituieren wir bereits heute 150.000 Liter Diesel pro Jahr“, erklärt Ann-Kristin Lickert.
Außerdem will Rothaus zwei Anlagen in einem Windenergiepark in der Nähe der Brauerei kaufen. Sie sollen bis 2023 in Betrieb gehen. Das Erfolgsrezept für die Nachhaltigkeitsaktivitäten von Rothaus? „Wir gehen oft neue Wege, entwickeln eigene Lösungen, sammeln Erfahrungen und setzen diese Erfahrungen um. Es geht beim Klimawandel auch um das Timing, es muss sich schnell etwas ändern. Unser Erfolgsrezept: Hohes Tempo gehen, nicht nachlassen und Mut zum Scheitern oder besser: Mut zum Lernen“, antwortet Ann-Kristin Lickert.
PS: Christian Rasch fordert zum Schluss des Imagefilms mit einem Lächeln „Trinkt Rothaus-Bier für ein besseres Klima!“. Da liegt es natürlich nahe, schnell nochmal nach der gesellschaftlichen Verantwortung zu fragen – immerhin produziert die Brauerei Alkohol und damit einen Stoff, der Menschen ins Unglück stürzt. Tatsächlich beteiligt sich Rothaus an allen einschlägigen Initiativen des Deutschen Brauer-Bundes, wie etwa Don’t Drink And Drive oder Drink responsibly. Außerdem wirbt die Brauerei verstärkt für ihre alkoholfreien Biere und, so heißt es im WIN-Charta Nachhaltigkeitsbericht, sie setzt sich „für eine weitere gesellschaftliche Anerkennung der alkoholfreien Varianten ein, auch indem wir keine Kosten und Mühen zum Erreichen des bestmöglichen Geschmacks bei deren Herstellung scheuen.“
Na dann: Wohl bekomm’s!