Nachhaltigkeitsmanagement – das war doch die Zukunftsbranche schlechthin! Oder etwa nicht? Noch vor einem Jahr wollten viele Nachhaltigkeitsmanager:innen freiwillig kündigen, weil sie frustriert waren: Die Transformation der Wirtschaft ging nicht schnell genug voran, zu viele Blockaden, zu wenig echte Wirkung. Jetzt scheint sich das Blatt gewendet zu haben – allerdings in eine bedrohlichere Richtung. Die Welt verändert sich rasant in eine negative Richtung und wartet nicht auf uns Nachhaltigkeitsverantwortliche.
In den letzten Wochen habe ich unzählige Telefonate mit Nachhaltigkeitsmanager:innen, ESG-Berater:innen und Softwareanbietern geführt – und die Stimmung ist düster. Diesmal sind es nicht Idealismus oder Frustration, die über eine berufliche Neuorientierung nachdenken lassen. Es ist zum Teil nackte Existenzangst. Hunderte von Arbeitsplätzen im Nachhaltigkeitsbereich stehen in den nächsten Monaten auf der Kippe.
Der Grund: Ein einziger Gesetzesentwurf – der „Omnibus Act“ der EU – bringt alles ins Wanken. Die geplanten Änderungen bei der Nachhaltigkeitsberichterstattung könnten dazu führen, dass Unternehmen plötzlich weit weniger Offenlegungspflichten haben, als bisher geplant war. Und das bedeutet: weniger Nachfrage nach ESG-Software, weniger externe Beratung – und für viele Nachhaltigkeitsabteilungen scheinbar schlicht kein Existenzberechtigung mehr. Alles war und ist auf Reporting ausgelegt, nicht auf Transformation. Dieses Gerüst wackelt nun.
In eigener Sache: Umfrage „Sustainability People Report 2025“ Wie verändert sich der Stellenwert des Nachhaltigkeitsmanagements? Wie ist die Stimmungslage und wie steht es um die Transformationsbereitschaft? Mit der zweiten Auflage des „Sustainability People Report“ schaffen die sustainability people company, EY und Haufe einen Pulsmesser des Nachhaltigkeitsmanagements. |
Wenn Nachhaltigkeit nicht nachhaltig ist
Es ist schon ironisch: Unternehmen betonen bei jeder Gelegenheit, wie „nachhaltig“ sie aufgestellt sind. Ich muss immer noch kichern, wenn jemand sagt: „Das liegt in unserer DNA“. Doch die Nachhaltigkeitsmanager:innen in genau solchen Unternehmen hängen am seidenen Faden. Ein gravierender regulatorischer Richtungswechsel, und schon stehen ganze Abteilungen zur Disposition.
Wir haben letzte Woche alle führenden Nachhaltigkeitsberatungen nach der wirtschaftlichen Lage gefragt. Die Aussichten für das kommende Jahr? Schlechter bis sehr schlecht. Viele berichten von gestrichenen Budgets, abgelehnten Projekten und Kunden, die plötzlich sagen: „Lassen Sie uns das Thema mal vertagen.“
Während also CFOs beginnen, ihre Excel-Tabellen nach Einsparpotenzialen zu durchforsten, sitzen Nachhaltigkeitsexpert:innen in Krisenmeetings und fragen sich, ob sie sich nicht besser gleich auf LinkedIn als „offen für neue Herausforderungen“ markieren sollten. Dies vor allem in Organisationen mit weniger als 500-750 Mitarbeitenden.
Vom Hype zur ESG-Realität
Dass der ESG-Boom irgendwann eine Delle bekommen würde, war eine Befürchtung. Doch das Tempo, mit dem der Markt gerade einknickt, überrascht selbst langjährige Branchenkenner:innen. Im vergangenen Jahr sah es noch so aus, als könnten Nachhaltigkeitsverantwortliche frustriert, aber sicher auf ihren Stühlen sitzen. Jetzt rutschen sie gleich mit dem ganzen Stuhl weg.
Ein Unternehmen nach dem anderen überlegt, ob es seine Nachhaltigkeitsabteilung nicht einfach „verschlanken“ kann. Projekte, die als „nice to have“ eingestuft werden, verschwinden aus den Prioritätenlisten. Und in der Beratungsbranche mehren sich die Absagen: „Danke für das Angebot, aber aktuell haben wir kein Budget für externe Unterstützung.“
Für ESG-Softwareanbieter, die sich auf die Anforderungen der CSRD und anderer Regularien spezialisiert haben, bedeutet das Unsicherheit. Wenn Unternehmen die Berichtspflichten nicht mehr so ernst nehmen (müssen), warum dann noch eine teure Softwarelizenz verlängern?
Was jetzt? Jetzt erst recht!
Droht jetzt das Ende des Nachhaltigkeitsmanagements, wie wir es kennen? Möglicherweise. Vielleicht waren wir alle zu optimistisch und haben geglaubt, ESG würde sich aus sich selbst heraus als Unternehmensfunktion etablieren. Doch die Realität zeigt: Ohne politischen Rückenwind und die Überzeugung des Top-Managements wird Nachhaltigkeit in vielen Unternehmen als reiner Kostenfaktor wahrgenommen - ein Faktor, der in wirtschaftlich unsicheren Zeiten schnell gestrichen wird.
Was bleibt, ist die harte Wahrheit: Wer Nachhaltigkeit bisher als reines Compliance-Thema betrachtet hat, wird es schwer haben. Wem es aber gelingt, ESG als echten Werttreiber für das Unternehmen zu positionieren – als etwas, das Innovation, Resilienz und Wettbewerbsfähigkeit sichert – der könnte die kommenden Monate nicht nur überstehen, sondern sogar gestärkt aus ihnen hervorgehen.
Ein Telefongespräch in der vergangenen Woche gab mir Hoffnung. Mein Weggefährte sagte mir „Alex, nenne mir die Branche, ich nenne dir zehn Argumente, warum genau diese Branche weitermachen sollte”. Bei Rückfragen vernetze ich gerne, bis dahin bleibt der Kollege anonym und meine Geheimwaffe.
Euer
Alex Kraemer