Schutz der Biodiversität: Im ureigenen ökonomischen Interesse
„Neben dem Klimawandel mit Extremwetter, Überflutungen und Dürren entwickelt sich der Biodiversitätsverlust zum fundamentalen Risiko für die Wirtschaft und das Leben vieler Menschen“, wird Christof Schenk, Geschäftsführer der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt, im Handelsblatt zitiert. Anlass des Artikels ist die Studie Nachhaltigkeit: Auf dem Weg zur Wirtschaftlichkeit von der Unternehmensberatung Bain & Company und dem Future Institute for Sustainable Transformation. Darin geht es um den Stellenwert von Nachhaltigkeit in Unternehmen. Der ist, in aller Kürze zusammengefasst, sehr hoch. Auch die Bedeutung der Biodiversität ist in vielen Führungsetagen mittlerweile bekannt. Laut Studie plädieren die Befragten aus dem Top-Management für branchenübergreifende, messbare Ziele. Aus gutem Grund: Ökonomen schätzen, dass etwa die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung von intakten Ökosystemen abhängt.
Die entscheidende Frage ist: Was können Unternehmen tun, um die Biodiversität zu schützen? Antworten darauf liefert die Initiative Biodiversity in Good Company (BiGC) in Berlin. Sie wurde ursprünglich von einigen Unternehmen und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit 2008 gegründet. Seit August 2011 ist Biodiversity in Good Company ein eingetragener, gemeinnütziger Verein, der von seinen Mitgliedsunternehmen getragen wird. Erklärtes Ziel: gemeinsam und in Partnerschaft mit Politik und Gesellschaft für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt einzutreten. Außerdem will der Verein seinen Mitgliedern dabei helfen, Biodiversität in ihre Nachhaltigkeitsstrategie zu integrieren und dafür sorgen, dass sich biodiversitätsförderndes Verhalten auch wirtschaftlich lohnt.
Der Bedarf an Informationen zur Biodiversität steigt stetig
BiGC setzt auf Wissenstransfer, Networking, Öffentlichkeitsarbeit und Unterstützung für praxisorientierte Maßnahmen aller Art. So bieten zum Beispiel Fachgruppen zum Arten- und Biotopmanagement konkrete Hilfeleistungen bei der Gestaltung von biodiversitätsfreundlichen Flächen an. Kostenfreie Tools und Leitfäden oder Bildungsformate mit Fachwissen unterstützen Unternehmen beim Einstieg in den Schutz der Biodiversität. „Wir helfen gerne!“, sagt Geschäftsführerin Veronica Veneziano.
Mit ihrem Angebot liegt BiGC offenbar genau richtig, denn die Nachfrage nach Informationen, Best Cases und fachlichem Austausch steigt stetig. „Allerdings sind unsere Mitglieder nach wie vor die Ausnahme“, räumt die Geschäftsführerin ein. Es gebe in Deutschland 90.000 Unternehmen mit mehr als 50 Beschäftigten, bei denen einfache erste biodiversitätsfördernde Maßnahmen möglich wären. „Aber nur die wenigsten Unternehmen machen wirklich etwas für die Biodiversität.“ Das liege zum einen daran, dass viele Unternehmen den Stellenwert von Biodiversität noch nicht erkannt haben. Zum anderen an den nötigen Investitionen. „Es fehlt das Bewusstsein, dass Unternehmen, die sich aktiv für den Erhalt der biologischen Vielfalt einsetzen, nicht nur für die Umwelt, sondern auch im eigenen Interesse handeln.“ Gutes Biodiversitäts-Management helfe zum Beispiel, Risiken in der Lieferkette besser zu kontrollieren.
Die BiGC-Mitgliedsunternehmen – darunter Audi, Coca-Cola, Commerzbank, Rewe und Ritter Sport – verpflichten sich unter anderem dazu, die Auswirkungen ihrer Unternehmensaktivitäten auf die biologische Vielfalt zu analysieren. Außerdem legen sie überprüfbare und realistische Ziele zum verbesserten Schutz der biologischen Vielfalt und ihrer nachhaltigen Nutzung fest, die alle zwei bis drei Jahre überprüft und angepasst werden. „Als Nachweis des fortdauernden Engagements wird der Initiative alle zwei Jahre ein Fortschrittsbericht vorgelegt“, heißt es auf der Website. Die Mitgliedschaft ist also durchaus mit Aufwand verbunden und dient keineswegs nur der prestigeträchtigen Imagepolitur.
Mehr Wissen – gezieltere Maßnahmen – reduzierter Impact
Max Schmiel ist beim Berliner Unternehmen Einhorn Products, das nachhaltige Periodenprodukte und vegane Kondome produziert, für das Thema Biodiversität verantwortlich. Was sich bei Einhorn dank der Mitgliedschaft in puncto Biodiversität verändert hat? Er antwortet: „Inspiriert vom Austausch in den Fachforen und Arbeitsgruppen von BiGC haben wir 2022 und 2023 ein Biodiversitäts-Assessment unserer Kondomlieferkette durchgeführt. Basierend auf der Biodiversity Increment Value Methode, die auch von anderen Unternehmen bei BiGC bereits eingesetzt wurde, haben wir damit eine bessere Grundlage für den Ressourceneinsatz entlang der Lieferkette geschaffen. Jetzt sind wir dazu in der Lage, gezieltere Maßnahmen zu ergreifen, um unseren Biodiversitätsimpact zu reduzieren.“
Auch Reckhaus ist Mitglied bei BiGC, was auf den ersten oberflächlichen Blick erstaunt, denn das Bielefelder Unternehmen stellt Biozide für den privaten Hausgebrauch her.
Georg Reckhaus, Leiter der Kommunikation der hauseigenen – und vielfach preisgekrönten – Initiative Insect-Respect, erklärt den Spagat zwischen der Produktion von Insektenbekämpfungsmitteln und dem Engagement für die Artenvielfalt so: „Als Biozidhersteller haben wir direkten Zugang zu den Endverbrauchern und damit den größten Hebel am Markt. Mit allen Warnhinweisen auf unseren Produkten, unseren Bewusstseinskampagnen und praktischen Präventionstipps möchten wir die Konsument:innen zu einem Umdenken anregen. Unser langfristiges Ziel ist es, die Nachfrage nach herkömmlichen Bioziden zu reduzieren. Einfach nur den Markt zu verlassen, würde hingegen keine Veränderungen bewirken.“ Da hat er zweifellos recht.
Für Georg Reckhaus ist der wertvollste Aspekt der BiCG-Mitgliedschaft die Vernetzung innerhalb des Netzwerks. So habe das Unternehmen beispielsweise einen Monitoring-Partner für seine insektenfreundlichen Flächen gefunden. Im Gegenzug möchten die Ostwestfalen ihrerseits andere Partner im Netzwerk dazu inspirieren, mehr für die Biodiversität zu tun und neue Ansätze in die Wirtschaft einzubringen.
Es gibt jede Menge Möglichkeiten, etwas zu tun
Nicht jedes Unternehmen muss gleich ein Assessment starten oder sein eigenes Geschäftsmodell umkrempeln, um die Biodiversität zu schützen. Laut Veronica Veneziano beginnen die ersten Schritte zu mehr Artenvielfalt oft auf dem Firmengelände, etwa durch das Anlegen von Wildwiesen und Biotopen oder durch Gebäudebegrünung. Max Schmiel von Einhorn empfiehlt, einen Blick auf die Rohstoffe zu werfen: Insbesondere für Rohstoffe landwirtschaftlichen Ursprungs gebe es bereits viele Initiativen, die sich biodiversitätsfreundlichen Lieferketten verschrieben haben, wie etwa die Regenerative Rubber Initiative. Was auch immer Unternehmen tun: Es gibt eine Vielfalt an Möglichkeiten, etwas für die Vielfalt der Arten zu tun.
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