Vinzenz Fundel, Joachim Müller
Rz. 11
ESG-Ratings und Credit-Ratings sind klar voneinander getrennt, wenngleich mittlerweile eigene Analysen zu den Nachhaltigkeitsrisiken eines Geschäftsmodells durchgeführt werden und in die Bonitätseinstufung von Credit-Ratings einfließen. Dies hatte sich bereits in den vergangenen Jahren durch den Einkauf von ESG Know-how bei Credit-Rating-Agenturen gezeigt (z. B.Vigeo Eiris durch Moody's in 2019 oder Robecco SAM bzw. Shades of Green durch S&P in 2020 bzw. 2022). ESG- sowie Credit-Ratings werden zukünftig einen noch wesentlicheren Teil zur Meinungsbildung bei Investoren hinsichtlich der Nachhaltigkeitsperformance von Unternehmen beitragen. Gestützt wird diese Erwartung nicht zuletzt durch die Ankündigung der EU, dass künftig ESG-Rating-Agenturen und deren Methodologien von der ESMA beaufsichtigt werden sollen, um Transparenz und Verlässlichkeit in ESG-Ratings sicherzustellen.
Aktuelle Entwicklungen und Gespräche mit Investoren zeigen klar, dass die eigene Fähigkeit zur Analyse der Nachhaltigkeitsleistung von Unternehmen bei der wichtigsten Kundengruppe von externen Ratings kontinuierlich weiter zunehmen wird.
2.2.1 Credit-Ratings
Rz. 12
Die integrierten ESG-Kriterien im aktuellen Credit-Rating-Prozess spiegeln weitestgehend die Überprüfung der Legal-Compliance-Anforderungen wider. I. d. R. sind die ESG-Kriterien ohne direkte Auswirkungen auf die Credit-Ratings. Es wird in der finanziellen Bewertung von Unternehmen aber zunehmend versucht, einen Sustainability Impact auf das Credit-Rating abzubilden. Primäres Ziel ist die Erhöhung der Transparenz. Aktuell können vereinzelt festgestellte Schwächen zumindest noch teilw. mit Stärken ausgeglichen werden. Die Anbieter der Credit-Ratings stellen eine laufende Erweiterung des bestehenden Ansatzes zur ESG-Integration sicher und haben aus unserer Sicht bei weiterer Standardisierung der Nachhaltigkeitsangaben (Sustainability Disclosures) durch die verschiedenen Offenlegungspflichten wie die CSRD und den Aufbau von maschinenlesbaren Datenbanken für die Berichte das Potenzial, den Markt der verschiedenen ESG-Rating-Anbieter mittelfristig zu konsolidieren.
2.2.2 ESG-Ratings
Rz. 13
Spezifische ESG-Rating-Anbieter bewerten die Nachhaltigkeitsleistung meist ganzheitlich, wenn auch mit unterschiedlichen Schwerpunkten (z. B. legt EcoVadis den Fokus auf die Risiken in der Lieferkette, MSCI betrachtet v. a. die Governance-Strukturen eines Unternehmens, ISS ESG & Sustainalytics haben eine ausgewogene und Impact-basierte "E-S-G"-Verteilung der Betrachtungsschwerpunkte).
Rz. 14
Adressaten der ESG-Ratings sind meist die Investoren, wobei ein EcoVadis-Rating z. B. auch für die Erfüllung von Kundenanforderungen eingesetzt werden kann. Teilw. können die ESG-Ratings nur von Investorenseite und nicht von den Unternehmen selbst beauftragt werden. Je nach Rating-Anbieter werden die Unternehmen durch die Bereitstellung oder Validierung von Informationen direkt in den Bewertungsprozess einbezogen, teilw. werden nur unabhängige Informationen, die nicht vom Unternehmen selbst bereitgestellt wurden, für die Bewertung herangezogen (z. B. Scope Group). Abhängig von den Risikoprofilen der Branche, der jeweiligen Größenklasse des Unternehmens und der entsprechenden Schwerpunktsetzung der Rating-Agentur werden verschiedene Messpunkte und Gewichtungen für die Analyse herangezogen.
Rz. 15
Die externe Verifizierung (external assurance) der Sustainability Disclosures wirkt sich i. d. R. positiv auf das jeweilige Rating-Ergebnis aus. Trotz unterschiedlicher und teilw. intransparenter Ansätze sind diverse Rating-Agenturen am Markt anerkannt, sowohl bei Equity- wie auch Fixed-Income-Investoren. Ein Marktführer konnte sich unter den ESG-Rating-Anbietern bisher nicht klar durchsetzen. Hier könnte in Zukunft ein gewisser Konzentrationsprozess erfolgen. Allerdings soll es innerhalb der EU künftig verstärkte Regeln für ESG-Ratings geben. Die neuen Vorschriften für die Rating-Agenturen sollen v. a. die Zuverlässigkeit, die Vergleichbarkeit und die Transparenz der Bewertungen stärken, sobald diese in Kraft getreten sind.
Rz. 16
Die Bewertung der Unternehmen baut normalerweise auf einer jährlichen Einschätzung durch die Rating-Agenturen auf. Zielsetzung der jeweiligen Bewertung ist die Erhöhung von Transparenz und die Vergleichbarkeit von Unternehmen. Schwächen können bei der Bewertung i. d. R. nicht mit Stärken kompensiert werden.
Rz. 17
Neben ganzheitlichen ESG-Ratings können die Analysefähigkeiten der meisten ESG-Rating-Agenturen auch für die Durchführung von Second Party Opinions (SPO) im Zuge der Anwendung von Sustainable-Finance-Instrumenten in Anspruch genommen werden.