Leitsatz
1. Die Auszahlung einer einheitlichen Abfindung in zwei Teilbeträgen steht der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes ausnahmsweise nicht entgegen, wenn sich die Teilzahlungen im Verhältnis zueinander eindeutig als Haupt- und Nebenleistung darstellen und wenn die Nebenleistung geringfügig ist.
2. Eine Nebenleistung kann unter Berücksichtigung der konkreten individuellen Steuerbelastung als geringfügig anzusehen sein, wenn sie niedriger ist als die tarifliche Steuerbegünstigung der Hauptleistung.
Normenkette
§ 34 Abs. 1 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Der Kläger erhielt für den Verlust seines Arbeitsplatzes eine betriebliche Abfindung von 104.800 EUR und eine Tarifabfindung von 10.200 EUR, die ihm in aufeinanderfolgenden Veranlagungszeiträumen zuflossen. Für die betriebliche Abfindung beantragte der Kläger die ermäßigte Besteuerung. Das FA lehnte dies ab, weil eine schädliche Teilauszahlung (von mehr als 5 % der Hauptleistung) vorliege. Das FG hat der Klage stattgegeben (FG Baden-Württemberg, Urteil vom 3.11.2014, 10 K 2655/13, Haufe-Index 7593703).
Entscheidung
Der BFH hat die Revision des FA zurückgewiesen und das Urteil des FG im Ergebnis, jedoch mit anderer Begründung – wie dargestellt – gehalten.
Hinweis
Wer den Verlust des Arbeitsplatzes hinnehmen muss, hat schon genug Ärger, sollte man denken. Erhebt das FA dann auch noch Anspruch auf ungeminderte Besteuerung der Abfindung, entlädt sich der ganze Ärger verständlicherweise bei Gericht. Probleme bereiten dabei immer wieder Fälle, in denen es, häufig ohne dass der Steuerpflichtige Einfluss darauf hat, zu zwei nach der Rechtsprechung grundsätzlich "schädlichen" Teilauszahlungen kommt. Die Liste der Entscheidungen zu solchen Fällen ist lang. Die Besprechungsentscheidung fügt ihr einen weiteren Eintrag hinzu mit einem etwas neuen Dreh:
1. Herkömmlich wird § 34 Abs. 1 EStG so ausgelegt, dass er das ungeschriebene Merkmal der Zusammenballung voraussetzt. Dieses Merkmal ist jedoch seinerseits so unbestimmt, dass es eine rechtssichere Einschränkung des Anwendungsbereichs der Norm nicht gewährleisten kann. In der Besprechungsentscheidung kommt der Begriff nicht vor.
2. Der Zweck der Norm, außergewöhnliche Progressionsverläufe abzumildern, gebietet andererseits eine Einschränkung ihres durch den unbestimmten Begriff der außerordentlichen Einkünfte viel zu weit geratenen Wortlauts. Der mit dem hergebrachten Begriff der Zusammenballung nur unzureichend beschriebene Zusammenhang ist in der Rechtsprechung längst dahin konkretisiert, dass es sich um Einkünfte handeln muss, die grundsätzlich in einem Veranlagungszeitraum zufließen und geeignet sind, zu einer außergewöhnlichen Progressionssteigerung zu führen. Letzteres hängt von den Einkommensverhältnissen in den umliegenden Veranlagungszeiträumen ab, die zum Vergleich heranzuziehen sind. Darum ging es im Besprechungsfall jedoch nicht.
a) Grundsätzlich ist bereits die Auszahlung in zwei verschiedenen Veranlagungszeiträumen (nicht im selben Veranlagungszeitraum) schädlich, denn jede Teilauszahlung bewirkt dann bereits (irgend)eine Abmilderung der Progression. In welchem Verhältnis die durch die Teilauszahlung bewirkte Milderung der Progression zu der alternativ von § 34 EStG vorgesehenen Entlastung im Einzelfall steht, hat die ältere Rechtsprechung lange Zeit für unbeachtlich erklärt. Das war mit dem Zweck der Norm nicht vereinbar und im Ergebnis auch nicht immer verhältnismäßig. Zu Recht hat die neuere Rechtsprechung diese harte Linie deshalb verlassen und erachtet Teilauszahlungen nun unter bestimmten Voraussetzungen als unschädlich. Der Preis dafür: Die Rechtsanwendung ist komplizierter und sicher auch streitanfälliger geworden.
b) Fehlt es an steuerlich beachtlichen Gründen für die Teilauszahlung, kommt es für die Unschädlichkeit einer Teilzahlung allein auf deren Höhe an. Hierzu hat die Rechtsprechung das Begriffspaar Haupt- und Nebenleistung herangezogen. Eine Nebenleistung ist nur unschädlich, wenn sie darüber hinaus geringfügig ist. Aber was heißt das?
c) Denkbar wäre eine starre Prozentgrenze im Vergleich zur Hauptleistung. Naheliegend wäre wohl eine Grenze von 10 %. Die Finanzverwaltung hält dagegen eine Grenze von 5 % für angemessen. Eine starre Grenze lässt sich zwar aus dem Gesetz nicht ableiten, sie allein bietet aber Gewähr für eine rechtssichere und einheitliche Handhabung der Tarifbegünstigung. In anderen Zusammenhängen scheut die Rechtsprechung trotz methodischer Bedenken nicht davor zurück, solche typisierenden Grenzen festzulegen, zuletzt z.B. für die Nichtanwendung der sog. Abfärberegelung (§ 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG) in Bagatellfällen (vgl. BFH, Urteile vom 27.8.2014, VIII R 16/11, BFHE 247, 499, BFH/NV 2015, 592; VIII R 41/11, BFHE 247, 506, BFH/NV 2015, 595; VIII R 6/12, BFHE 247, 513, BFH/NV 2015, 597).
d) Der IX. Senat des BFH lehnt indes im vorliegenden Zusammenhang eine starre Grenze ab und fordert stattdessen, dass eine Ausnahmesituation in der individuellen Steuerbelastung des einzelnen Steuerpflichtigen f...