Leitsatz
1. Ist am finanzgerichtlichen Klageverfahren zwischen dem Zessionar und dem Anspruchsgegner der Zedent nicht beteiligt, liegt – auch außerhalb des Anwendungsbereichs des § 406 des Bürgerlichen Gesetzbuchs – mangels Rechtskrafterstreckung keine Ermessensreduzierung auf null dahingehend vor, dass das Finanzgericht (FG) das Klageverfahren aussetzen müsste. Das Bestehen der rechtswegfremden Gegenforderung ist dann lediglich eine Vorfrage zur Aufrechnung und von der Entscheidungsbefugnis des FG gemäß § 17 Abs. 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes umfasst.
2. Umsatzsteuerrechtlicher Leistungsempfänger im Sinne des § 27 Abs. 19 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes ist bei bestehender Organschaft auch dann der Organträger, wenn zivilrechtlich die Organgesellschaft Vertragspartnerin des bauleistenden Unternehmers ist.
Normenkette
§ 2 Abs. 2 Nr. 2, § 27 Abs. 19 UStG, § 218 Abs. 2, § 226 Abs. 1 und 3 AO, § 74 FGO, § 406 BGB, § 17 Abs. 2 GVG
Sachverhalt
Die Klägerin, eine Bauunternehmerin und Bauträgerin, war in den Jahren 2006 und 2007 Organgesellschaft des Herrn U und seit 2008 Organgesellschaft der U-GmbH & Co. KG (U-KG).
Die Klägerin bezog Eingangsleistungen, auf die die bauleistenden Unternehmer und die Klägerin bzw. ihre Organträger (in Übereinstimmung mit der damaligen Verwaltungsauffassung) die Umkehr der Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen (§ 13b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 UStG a.F.) anwendeten.
Nach Ergehen des BFH-Urteils vom 22.8.2013, V R 37/10, BFH/NV 2014, 130, BStBl II 2014, 128, beantragten U und die U-KG die Erstattung der von ihnen als Organträger abgeführten USt. Dem Erstattungsantrag kam das FA vollumfänglich nach.
Im November 2016 teilte das FA der Klägerin mit, dass mehrere bauleistende Unternehmer ihre zivilrechtlichen USt-Nachforderungsansprüche gegen die Klägerin an das FA abgetreten hätten. Mit diesen Forderungen rechnete das FA gemäß § 226 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB gegen ein Guthaben der Klägerin wegen KSt und SolZ auf. Der verbleibende Erstattungsbetrag wurde überwiesen.
Das FA verfügt über Abtretungsverträge, in denen der jeweilige Zedent der Forderung, d.h. der bauleistende Unternehmer, hinsichtlich der ihm gegen die Klägerin zivilrechtlich zustehenden Forderung auf Nachzahlung der USt die vollständige Abtretung an das FA bestätigt und das FA die Abtretung annimmt. Den Abtretungsverträgen sind berichtigte Rechnungen der bauleistenden Unternehmer an die Klägerin mit offenem Steuerausweis beigefügt.
Mit dem auf Antrag der Klägerin erteilten Abrechnungsbescheid vom 14.2.2017 stellte das FA u.a. fest, dass der Anspruch auf Erstattung von KSt und SolZ durch die Aufrechnungen mit den abgetretenen zivilrechtlichen Forderungen der bauleistenden Unternehmer gegen die Klägerin in Höhe der abgetretenen Forderungen erloschen ist. Der Einspruch blieb erfolglos.
Die Vorinstanz (FG Münster, Urteil vom 17.6.2020, 15 K 3839/17 AO, Haufe-Index 14058282, EFG 2020, 1288) wies die Klage ab. Die vom FA erklärten Aufrechnungen seien wirksam. Das Verfahren sei weder auszusetzen, noch sei dem FA eine Frist zu setzen, um die abgetretenen Forderungen auf dem Zivilrechtsweg feststellen zu lassen.
Entscheidung
Der BFH wies die Revision als unbegründet zurück.
Hinweis
Die Abarbeitung der "Bauträger-Fälle", die als Folge des BFH-Urteils vom 22.8.2013, V R 37/10, BFH/NV 2014, 130, BStBl II 2014, 128, entstanden sind, schreitet voran. Mit dem Besprechungsurteil wurden zwei Fragen geklärt:
1. In materiell-rechtlicher Hinsicht hat der BFH geklärt, dass die Finanzverwaltung in Fällen der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft die Aufrechnung gegen Steuervergütungsansprüche der Organgesellschaft auch dann erklären darf, wenn sie sich zivilrechtliche Ansprüche der bauleistenden Unternehmer gegen die Organgesellschaft hat abtreten lassen, die nur dadurch entstanden sind, dass der Organträger eine "Erstattung" der von ihm entrichteten USt gemäß § 13b UStGbeantragt hat.
a) Der Umstand, dass die Aufrechnung nicht gegenüber dem Organträger erklärt werden kann, sondern gegenüber der Organgesellschaft erklärt werden muss, beruht auf dem Umstand, dass die Organschaft die zivilrechtliche Selbstständigkeit der Organgesellschaft unberührt lässt. Die bauleistenden Unternehmer erwerben den zivilrechtlichen Anspruch auf Nachzahlung von USt gegen die Organgesellschaft als zivilrechtliche Leistungsempfängerin (Vertragspartnerin), während der Organträger als umsatzsteuerrechtlicher Leistungsempfänger (Steuerpflichtiger) die von ihm angemeldete, an das FA abgeführte USt zurückerhält.
b) Die zutreffende Lastenverteilung im Organkreis sichert der interne Gesamtschuldnerausgleich zwischen Organträger und Organgesellschaft analog § 426 BGB. Durch ihn kann geklärt werden, wer intern die nicht als Vorsteuer abziehbare USt tragen muss.
2. In verfahrensrechtlicher Hinsicht hat der BFH geklärt, dass in dem Fall, dass die Organgesellschaft die zivilrechtlichen Forderungen der bauleistenden Unternehmer, die an das FA abgetreten worden sind, bestreitet, das FG das Verfahren nac...