Leitsatz
Aufwendungen einer Ruhestandsbeamtin im Zusammenhang mit ihrer ehrenamtlichen Gewerkschaftstätigkeit sind als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbezügen zu berücksichtigen (Anschluss an das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 28.11.1980 – VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368).
Normenkette
§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2, § 9 EStG
Sachverhalt
Die Klägerin bezieht als pensionierte Landesbeamtin Versorgungsbezüge. Bis zum Eintritt in den Ruhestand war sie hauptamtlich für eine Gewerkschaft im Deutschen Gewerkschaftsbund tätig und hierfür von ihrem Dienstherrn freigestellt. Seit dem Eintritt in den Ruhestand ist die Klägerin für verschiedene Gremien dieser Gewerkschaft ehrenamtlich tätig. Mit ihrer ESt-Erklärung für das Streitjahr (2016) machte sie Aufwendungen für diese Tätigkeit als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbezügen geltend. Dem folgte das FA nicht. Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage gab das FG statt. (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 3.8.2021, 12 K 12186/19).
Entscheidung
Die Revision des FA hat der BFH als unbegründet zurückgewiesen. Das FG habe zu Recht entschieden, dass die streitigen Aufwendungen der Klägerin als Werbungskosten bei ihren Versorgungsbezügen zu berücksichtigen seien.
Hinweis
1. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG). Sie liegen vor, wenn die Aufwendungen beruflich veranlasst sind (z.B. BFH, Urteil vom 6.5.2010, VI R 25/09, BFH/NV 2010, 1718 und BFH, Urteil vom 14.1.2021, VI R 15/19, BFH/NV 2021, 721, jeweils m.w.N.).
2. Ob sich der streitige Aufwand konkret auf die Höhe des Arbeitslohns auswirkt, ist dabei ohne Belang. Stehen Aufwendungen in einem objektiven Zusammenhang mit dem Beruf, so ist es für den Begriff der Werbungskosten überdies nicht von Bedeutung, ob die Vorstellungen des Steuerpflichtigen, den Beruf zu fördern, der Wirklichkeit entsprechen, das heißt geeignet sind, dieses Ziel zu erreichen. Die Rechtsprechung hat daher die Anerkennung von Werbungskosten und Betriebsausgaben grundsätzlich nicht davon abhängig gemacht, ob der mit den Aufwendungen erstrebte Erfolg eingetreten ist und ob die Aufwendungen nach objektiven Gesichtspunkten üblich, notwendig oder zweckmäßig waren (BFH, Urteil vom 6.5.2010, VI R 25/09, BFH/NV 2010, 1718).
3. Vielmehr hat der Steuerpflichtige einen Ermessensspielraum, ob und welche Aufwendungen er zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung seiner Einnahmen tätigt. Der Werbungskostenbegriff erfordert zudem keinen unmittelbaren Zusammenhang zwischen den Aufwendungen und der Förderung der Berufstätigkeit. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die Aufwendungen bei wertender Betrachtung in einem steuerrechtlich anzuerkennenden wirtschaftlichen Zusammenhang mit einer Einkunftsart stehen (so bereits BFH, Urteil vom 28.11.1980, VI R 193/77, Haufe-Index 413507, BStBl II 1981, 368, m.w.N.).
4. Nach diesen Grundsätzen ist auch der Abzug von Werbungskosten bei den Versorgungsbezügen zu beurteilen (vgl. z.B. BFH, Urteil vom 8.3.2006, IX R 78/01, BFH/NV 2006, 1013; BFH, Urteil vom 24.3.2011, VI R 59/10, BFH/NV 2011, 1130 und BFH, Urteil vom 17.6.2010, VI R 33/08, BFH/NV 2010, 2051).
5. Deshalb ist die Würdigung des FG, die streitigen Aufwendungen der Klägerin stünden in einem hinreichenden Veranlassungszusammenhang mit ihren Versorgungsbezügen und seien daher als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 2 EStG zu berücksichtigen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn Gewerkschaften vertreten nicht nur die beruflichen Interessen der berufstätigen Arbeitnehmer und Beamten, sondern auch die Erwerbsinteressen von Pensionären. Sie streben regelmäßig an, die Ergebnisse einer Tarifrunde im öffentlichen Dienst zeitgleich und systemgerecht beziehungsweise wirkungsgleich auf den Bereich Besoldung und Versorgung zu übertragen (s. auch BFH, Urteil vom 28.11.1980, VI R 193/77, Haufe-Index 413507, BStBl II 1981, 368 zum Werbungskostenabzug eines aktiven Beschäftigten im Zusammenhang mit seiner ehrenamtlichen Gewerkschaftstätigkeit).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 28.6.2023 – VI R 17/21