Häusliches Arbeitszimmer muss für die Tätigkeit nicht erforderlich sein
Die Entscheidung wurde nachträglich zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt; sie war seit dem 25.07.2019 als NV-Entscheidung abrufbar, BFH/NV 2019, 903.
Hintergrund: Häusliches Arbeitszimmer mit nur geringfügiger Nutzung
S ist in Vollzeit als Stewardess (Flugbegleiterin) tätig. Sie und ihr Ehemann sind Eigentümer eines Einfamilienhauses.
S machte für 2013 Aufwendungen von 1.250 EUR für ein Arbeitszimmer (13,5 qm) als Werbungskosten geltend. Dort bereitete sie sich auf die anstehenden Flüge vor. Für diese Arbeiten stand ihr unstreitig kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung. S legte dar, sie habe in den Flugzeugen keine Möglichkeit, sich auf die Flüge vorzubereiten, und nach der Ankunft am Flughafen fehle die Zeit, sich um die Vorbereitungen zu kümmern. Sie müsse sich vor jedem Flug in das Informationssystem der Fluggesellschaft einwählen, um wichtige Informationen zu erhalten (Dienstpläne, Zollbestimmungen, Routenverlauf, Sicherheitsvorkehrungen usw.). Im Streitjahr habe sie 134 Flugtage absolviert.
Das FA und ihm folgend das FG lehnten den Werbungskostenabzug ab. Wegen des sehr geringen Anteils dieser Arbeiten im Verhältnis zur Gesamtarbeitszeit der S sei das Vorhalten des Arbeitszimmers nicht erforderlich. S könne diese Arbeiten (rund 50 Stunden im Jahr) ebenso an einem Tisch in einem anderen Raum des Hauses (z. B. am Küchentisch) erledigen.
Entscheidung: Das häusliche Arbeitszimmer muss für die Tätigkeit nicht erforderlich sein
Der BFH hob das FG-Urteil auf und verwies den Fall an das FG zurück. Das FG hat noch festzustellen, ob der Raum tatsächlich (nahezu) ausschließlich zur Einkünfteerzielung genutzt wurde.
Begriff des häuslichen Arbeitszimmers
Häusliches Arbeitszimmer i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG ist ein Raum, der seiner Ausstattung nach der Erzielung von Einnahmen dient und ausschließlich oder nahezu ausschließlich zur Erzielung von Einkünften genutzt wird. Ein häusliches Arbeitszimmer dient vorwiegend der Erledigung gedanklicher oder schriftlicher Arbeiten. Der Raum ist typischerweise mit Büromöbeln eingerichtet und muss (nahezu) ausschließlich zur Erzielung von Einkünften genutzt werden. Aufwendungen für in die häusliche Sphäre eingebundene und gemischt (sowohl beruflich als auch privat) genutzte Räume, sind dagegen insgesamt nicht abziehbar (BFH v. 27.7.2015, GrS 1/14, BStBl 2016 II S. 265). Im Streitfall entsprach der fragliche Raum unstreitig dem Typus eines häuslichen Arbeitszimmers. Er war räumlich abgeschlossen und mit den üblichen Büromöbeln eingerichtet.
Die Erforderlichkeit des Arbeitszimmers ist nicht Abzugsvoraussetzung
Die Voraussetzungen und die Höhe der abziehbaren Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind in § § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG abschließend bestimmt. Damit ist die Erforderlichkeit kein Merkmal des Abzugstatbestands (BFH v. 8.3.2017, IX R 52/14, BFH/NV 2017 S. 1017, Rz 13). Der Gesetzgeber typisiert die Abzugsvoraussetzungen mit zwei Fallgruppen (kein anderer Arbeitsplatz, Mittelpunkt der Betätigung). Mit diesen Fallgruppen wird die Erforderlichkeit der beruflichen oder betrieblichen Nutzung typisiert, ohne den Begriff der Erforderlichkeit zu einem Tatbestandsmerkmal zu erheben (BFH v. 27.9.1996, VI R 47/96, BStBl 1997 II S. 68).
Ein zusätzliches (ungeschriebenes) Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit lässt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Gesetzesbegründung entnehmen (BFH v. 8.3.2017, IX R 52/14, BFH/NV 2017 S. 1017, Rz 13). Denn mit den beiden geregelten Fallgruppen sollen gerade Streitigkeiten über die Notwendigkeit eines Arbeitszimmers vermieden werden (BTDrucks 13/1686, S. 16, BRDrucks 171/2/95, S. 36). Dass S die Arbeiten, für die ihr kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand, am Küchentisch, im Esszimmer oder in einem anderen Raum hätte erledigen können, ist daher unerheblich.
Zurückverweisung an das FG
Das FG hat zwar den Umfang der Arbeiten festgestellt, für die der S kein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung stand. Es hat jedoch nicht aufgeklärt, ob der Raum im Streitjahr tatsächlich (nahezu) ausschließlich zur Einkünfteerzielung verwendet wurde oder ob (neben der einkünfterelevanten Nutzung) eine schädliche private (Mit-)Nutzung vorlag. Bei gemischter Nutzung wäre ein Abzug als Werbungskosten ausgeschlossen.
Hinweis: Fortführung der Rechtsprechung
Die Entscheidung schließt an das BFH-Urteil v. 8.3.2017, IX R 52/14, BFH/NV 2017 S. 1017, an. Bereits dort hat der BFH entschieden, dass der Werbungskostenabzug nicht die Notwendigkeit oder Erforderlichkeit eines häuslichen Arbeitszimmers voraussetzt. Den zwei Fallgruppen des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b Sätze 2 und 3 EStG liegt die Überlegung zugrunde, dass die Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer in diesen Fällen bereits aufgrund der Typisierung (d.h. ohne tatsächliche Feststellung) erforderlich sind. Das FG (Urteil v. 4.5.2017) konnte allerdings das Urteil des BFH IX R 52/14 wegen der Veröffentlichung erst am 7.6.2017 nicht berücksichtigen.
Begriff der Betriebsausgaben
Die Entscheidung bestätigt die allgemein für Betriebsausgaben und Werbungskosten geltenden Grundsätze. Danach kann der Steuerpflichtige grundsätzlich frei entscheiden, welche Aufwendungen er für seinen Betrieb tätigen will. Die Höhe, Notwendigkeit, Üblichkeit und Zweckmäßigkeit der Aufwendungen sind für die Anerkennung als Betriebsausgaben grundsätzlich ohne Bedeutung (BFH v. 28.11.1980, VI R 193/77, BStBl 1981 II S. 368). Das Fehlen der Üblichkeit, der Erforderlichkeit und der Zweckmäßigkeit kann allerdings ein Indiz dafür sein, dass die Aufwendungen aus außerbetrieblichen Erwägungen getätigt wurden (BFH v. 19.8.2015, X R 30/12, BFH/NV 2016 S. 203). Wegen der Angleichung des Werbungskosten- an den Betriebsausgabenbegriff gilt das ebenso für den Werbungskostenabzug (BFH v. 8.11.1980, VIII R 194/78, BStBl II 1981 S. 510).
Miteigentum der Eheleute
Da das Einfamilienhaus der Eheleute in deren Miteigentum steht, hätte sich im Streitfall auch die Frage stellen können, in welchem Umfang der S die grundstücksorientierten Aufwendungen (insbes. AfA, Schuldzinsen) hinsichtlich des Miteigentums des Ehmanns zusteht. Der BFH hat dies nicht angesprochen. Nach BFH v. 6.12.2017, VI R 41/15 (BStBl II 2018 S. 355) kann bei einem im Miteigentum der Ehegatten stehenden Wohnobjekt der das Arbeitszimmer nutzende Ehegatte die grundstücksorientierten Aufwendungen nur entsprechend seinem Miteigentumsanteil geltend machen, auch wenn er sie allein trägt. Dagegen sind die anteilig auf das Arbeitszimmer entfallenden nutzungsorientierten Aufwendungen (Energie-, Renovierungskosten) beim Nutzenden, soweit er sie getragen hat, voll abziehbar.
BFH Urteil vom 03.04.2019 - VI R 46/17 (veröffentlicht am 24.03.2022)
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