a) Allgemeine Grundsätze
Krankheitskosten erwachsen dem Steuerpflichtigen ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die
- zum Zweck der Heilung einer Krankheit (z.B. Medikamente, Operation) oder
- mit dem Ziel getätigt werden, die Krankheit erträglicher zu machen, z.B. Aufwendungen für einen Rollstuhl.
Typisierende Behandlung von Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung: Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als agB berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 S. 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit dem Grunde und der Höhe nach bedarf. Eine derart typisierende Behandlung von Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten. Beachten Sie: Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden – also medizinisch indiziert sind.
Vorherige Vorlage eines Gutachtens in bestimmten Fällen: In bestimmten – in § 64 Abs. 1 Nr. 2 EStDV geregelten – Fällen hat der Steuerpflichtige jedoch den Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen
- durch ein vor Beginn der Heilmaßnahme oder dem Erwerb des medizinischen Hilfsmittels ausgestelltes amtsärztliches Gutachten oder
- durch eine vorherige ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V)
zu führen (§ 64 Abs. 1 Nr. 2 S. 2 EStDV).
b) Aufwendungen für Liposuktion
Aufwendungen für eine Liposuktion wurden in der früheren Rechtsprechung des BFH nicht als agB anerkannt.
Als agB zu berücksichtigen ohne vorheriges Gutachten: Nun hat der BFH jedoch entschieden, dass derartige Aufwendungen – jedenfalls ab dem Jahr 2016 – ohne vorherige Vorlage eines vor den Operationen erstellten amtsärztlichen Gutachtens oder einer ärztlichen Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung als agB zu berücksichtigen sind. Er stellte heraus, dass seit 2016 über die Wirksamkeit und Zweckmäßigkeit der Liposuktion bei einem Lipödem unter den Medizinern kein nennenswerter Streit mehr besteht. Zudem benennt § 64 EStDV beispielhaft die Frisch- und Trockenzellenbehandlung sowie die Sauerstoff-, Chelat- und Eigenbluttherapie als wissenschaftlich nicht anerkannte Behandlungsmethoden, womit die Liposuktion zur Behandlung eines Lipödems nicht vergleichbar ist.
Dagegen hat das FG Nürnberg entschieden, dass ein unschöner Übergang im Bereich des Mons pubis (Schamhügel) ohne weitere funktionelle Störung im Regelfall keine Erkrankung darstellt, der die Zwangsläufigkeit der Kosten in tatsächlicher Hinsicht i.S.d. § 33 Abs. 2 S. 1 EStG begründet.
c) Besuchsfahrten
Aufwendungen für Besuche zwischen nahen Angehörigen zwecks Kinderbetreuung sind in der Regel
- nicht als außergewöhnlich i.S.d. § 33 EStG,
- sondern typisierend als durch allgemeine Freibeträge (Grundfreibetrag, kindbedingte Freibeträge) und andere steuerliche Ermäßigungen abgegolten
anzusehen – es sei denn, die Fahrten werden ausschließlich zum Zwecke der Heilung oder Linderung einer Krankheit unternommen.
d) Behinderungsbedingte Aufwendungen
Gartenumbau: Aufwendungen für einen behindertengerechten Umbau des zum selbstgenutzten Einfamilienhaus gehörenden Gartens sind keine agB.
Im entschiedenen Streitfall war die Umbaumaßnahme zwar eine Folge der Verschlechterung des Gesundheitszustands der Steuerpflichtigen, die jedoch nicht aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen verpflichtet war, derartige Konsumaufwendungen zu tragen. Denn die Aufwendungen waren
- nicht vornehmlich der Krankheit oder Behinderung geschuldet,
- sondern – anders als die krankheits- oder behindertengerechte Ausgestaltung des individuellen (existenznotwendigen) Wohnumfelds – in erster Linie Folge eines frei gewählten Freizeit-/Konsumverhaltens.
Liegefahrrad/Kastenwagen zu dessen Transport: Anschaffungskosten
- eines Liegefahrrads und
- eines zu dessen Transport in das Umland benötigten Kastenwagens
durch einen außergewöhnlich Gehbehinderten sind nicht als agB abziehbar.
Im Streitfall fehlte hinsichtlich der Anschaffungskosten für ein Liegerad der vom FG geforderte qualifizierte Nachweis i.S.d. § 64 Abs. 1 EStDV.
Die Anschaffung eines Kastenwagens, auf den ein außergewöhnlich Gehbehinderter angewiesen ist, um sein Liegefahrrad in das Umland zu transportieren, da er in der Stadt nicht mehr fahren kann, führt nicht zu agB. Denn Kfz-Aufwendungen von Gehbehind...