Prof. Dr. Franceska Werth
Leitsatz
Die Bewertungsvorschriften der §§ 218ff. des Bewertungsgesetzes i.d.F. des Grundsteuer-Reformgesetzes vom 26.11.2019 (BGBl I 2019, 1794) sind bei der im Aussetzungsverfahren gemäß § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung gebotenen summarischen Prüfung verfassungskonform dahin auszulegen, dass auf der Ebene der Grundsteuerwertfeststellung im Einzelfall der Nachweis eines niedrigeren (gemeinen) Werts erfolgen kann. Hierfür ist regelmäßig der Nachweis erforderlich, dass der Wert der wirtschaftlichen Einheit den festgestellten Grundsteuerwert derart unterschreitet, dass sich der festgestellte Wert als erheblich über das normale Maß hinausgehend erweist.
Normenkette
§§ 218 ff., §§ 252 ff., § 266 Abs. 1 BewG, § 36 Abs. 1 GrStG, § 181 Abs. 1 Satz 1, § 182 Abs. 1 Satz 1 AO, § 33 Abs. 1 Nr. 1, § 69 Abs. 2 und 3 FGO
Sachverhalt
Die Antragstellerin war Eigentümerin eines mit einem Einfamilienhaus bebauten 351 qm großen Grundstücks, dessen Bodenrichtwert zum 1.1.2022 125 EUR pro qm betrug. In ihrer Erklärung zur Feststellung des GrSt-Werts gab sie als Art des Grundstücks "Einfamilienhaus" an, das erstmals vor 1949 bezugsfertig gewesen sei und über eine Wohnung mit einer Wohnfläche von 72 qm verfügte.
Das FA stellte den GrSt-Wert der wirtschaftlichen Einheit zum 1.1.2022 auf 91.600 EUR fest. Diesen Betrag ermittelte es gemäß § 250 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1, § 252 Satz 1, § 230 BewG aus der Summe des kapitalisierten Reinertrags des Grundstücks und des abgezinsten Bodenwerts.
Bei der Bestimmung des kapitalisierten Reinertrags des Grundstücks nach § 253 Abs. 1 BewG setzte es als monatliche Nettokaltmiete gemäß Anlage 39 zum BewG den für Einfamilienhäuser mit Baujahr bis 1948 und einer Wohnfläche von 60 qm bis unter 100 qm geltenden Wert von 6,23 EUR pro qm an und nahm hiervon gemäß § 254 BewG i.V.m. Anlage 39 zum BewG einen Abschlag i.H.v. 10 % aufgrund der Mietniveaustufe 2 vor. Da die Restnutzungsdauer des vor dem Jahr 1949 bezugsfertigen Gebäudes gemäß Anlage 38 zum BewG weniger als sieben Jahre betrug, ging das FA von einer gemäß § 253 Abs. 2 Satz 5 BewG i.V.m. Anlage 38 zum BewG fingierten Restnutzungsdauer des Gebäudes von 24 Jahren (30 % von 80 Jahren) aus. Hieraus ergab sich ein Reinertrag des Grundstücks gemäß den §§ 253, 254 BewG i.V.m. Anlage 39 zum BewG i.H.v. 3.635,28 EUR (= 5,61 EUR pro qm × 72 qm × 12 abzüglich Bewirtschaftungskosten i.H.v. 25 %) und ein kapitalisierter Reinertrag des Grundstücks gemäß § 253 BewG i.V.m. Anlage 37 zum BewG i.H.v. 64.998,81 EUR (= 3.635,28 EUR × 17,88).
Bei der Bestimmung des Bodenwerts legte das FA gemäß § 257 Abs. 1 Satz 1, § 247 BewG den erklärten Bodenrichtwert sowie gemäß § 257 Abs. 1 Satz 2 BewG i.V.m. Anlage 36 zum BewG einen Umrechnungskoeffizienten i.H.v. 1,10 für Grundstücke mit einer Größe von größer gleich 350 qm zugrunde. Ausgehend von einem Liegenschaftszins von 2,5 % für Einfamilienhäuser gemäß § 256 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BewG ermittelte es den abgezinsten Bodenwert mit 26.684,34 EUR, indem es gemäß § 257 Abs. 2 BewG den Bodenwert i.H.v. 48.262,50 EUR (= 351 qm × 125 EUR pro qm × 1,10) mit dem Abzinsungsfaktor gemäß Anlage 41 zum BewG i.H.v. 0,5529 multiplizierte.
Gegen den Bescheid vom 28.12.2022 legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte die AdV. Den Antrag auf AdV lehnte das FA ab. Den gegen die Ablehnung der AdV eingelegten Einspruch wies es als unbegründet zurück, da der festgestellte GrSt-Wert und der GrSt-Messbetrag zutreffend nach den gesetzlichen Regelungen ermittelt worden seien. Bei der Bewertung für GrSt-Zwecke handle es sich um eine typisierte Bewertung, die keine individuelle Verkehrswertermittlung in Bezug auf das Objekt darstelle.
Die Antragstellerin stellte daraufhin einen Antrag auf AdV beim FG, den sie im Wesentlichen damit begründete, dass seit dem Baujahr des Einfamilienhauses im Jahr 1880 keine wesentlichen Renovierungen vorgenommen worden seien. Der festgestellte GrSt-Wert sei daher gemessen am Wert des Hauses zu hoch. Das FG hat die Vollziehung des GrSt-Wertbescheids ausgesetzt, da es Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der Bewertungsregeln hatte, und die Beschwerde zugelassen (FG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.11.2023, 4 V 1295/23, Haufe-Index 16096192).
Entscheidung
Der BFH hat die hiergegen erhobene Beschwerde des FA als unbegründet zurückgewiesen. Nach seiner Auffassung hat das FG zu Recht den angefochtenen Feststellungsbescheid über den GrSt-Wert von der Vollziehung ausgesetzt. Der BFH hatte jedoch lediglich einfachrechtliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides. Die Frage der Verfassungswidrigkeit der Regelung hat der Senat ausdrücklich offengelassen.
Hinweis
1. Der Antrag auf AdV des Wertfeststellungsbescheids war zulässig. Denn Einwendungen gegen den GrSt-Wert können nur durch einen Rechtsbehelf gegen den GrSt-Wertbescheid geltend gemacht werden. Dies ergibt sich daraus, dass für das Feststellungsverfahren nach § 219 Abs. 1 BewG die Vorschriften über die Durchführung der Besteuerung sinngemäß gelten (§ 181 Abs. 1 Sat...