Rechtswidrige Verwaltungsakte können nach Abs. 1 des § 130 AO mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit (also rückwirkend) ganz oder teilweise zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt ist rechtswidrig, wenn er im Zeitpunkt seines Erlasses ganz oder teilweise gegen zwingende gesetzliche Vorschriften verstößt, ermessensfehlerhaft ist oder eine Rechtsgrundlage überhaupt fehlt. Eine nachträgliche Änderung der Sach- oder Rechtslage hingegen macht einen ursprünglich rechtmäßigen Verwaltungsakt grundsätzlich nicht rechtswidrig, es sei denn, es läge ein Fall steuerrechtlicher Rückwirkung vor, welche den Verwaltungsakt erfasst. Zu unterscheiden ist zwischen belastenden und begünstigenden Verwaltungsakten.
1.1.1 Rücknahme belastender Verwaltungsakte
Rechtswidrige belastende Verwaltungsakte können, auch wenn sie mit dem Einspruch wegen Fristablaufs nicht mehr anfechtbar sind, ohne besonders gesetzlich geregelte Voraussetzungen zurückgenommen werden. "Können" bedeutet ein Ermessen der Finanzbehörden i. S. d. § 5 AO. Hat z. B. ein Steuerpflichtiger die Einspruchsfrist gegen einen Verspätungszuschlagsbescheid versäumt, kann er einen Antrag auf dessen Rücknahme stellen. Die Finanzbehörde muss prüfen, ob der Bescheid rechtswidrig ist und wenn ja, ob seine Rücknahme oder Teilrücknahme (Herabsetzung) geboten ist. Sie darf den Antrag auf Rücknahme eines belastenden Verwaltungsakts nicht allein deshalb ablehnen, weil der Steuerpflichtige einen Einspruch hätte einlegen können. Allerdings muss dieser näher begründen, warum er den Verwaltungsakt für rechtswidrig hält. Im Allgemeinen handelt das Finanzamt im Fall einer ablehnenden Entscheidung ermessensfehlerfrei, wenn der Betroffene zur Begründung nur solche Umstände vorträgt, die er schon bei fristgerechter Einlegung des Einspruchs hätte vorbringen können. Andernfalls würde dies zu einer Aushöhlung der Einspruchsfrist führen. Die Rücknahme kommt daher grundsätzlich nur in Betracht, wenn eine neue Sach- oder Rechtslage, neue Beweismittel oder ein Wiederaufnahmegrund i. S. d. § 580 ZPO gegeben sind.
1.1.2 Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte
Rechtswidrige begünstigende Verwaltungsakte, z. B. Stundung oder Erlass, dürfen nach Abs. 2 des § 130 AO nur unter bestimmten Voraussetzungen zurückgenommen werden. Die in der Praxis wichtigste Fallgruppe ist, dass der Steuerpflichtige den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig sind. So kann eine Stundung oder ein Erlass von Steuern zurückgenommen werden, wenn der Steuerpflichtige seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse unzutreffend dargestellt hat. Da Rücknahmen auch für die Vergangenheit möglich sind, lebt die durch den Erlass erloschene Steuerschuld wieder auf. Dadurch entstehen auch rückwirkend Säumniszuschläge. Von dieser Möglichkeit wird das Finanzamt insbesondere Gebrauch machen, wenn die falschen Angaben des Steuerpflichtigen auf unlauteren Mitteln beruhen.
Auch die Rücknahme eines begünstigenden Verwaltungsakts ist eine Ermessensentscheidung. Sie ist nach § 130 Abs. 3 AO nur innerhalb einer bestimmten Zeit zulässig. Gegen sie kann Einspruch eingelegt werden.
Fraglich ist, ob § 130 Abs. 2 und auch Abs. 1 AO auch bei fehlerhaften Anrechnungsverfügungen, z. B. hinsichtlich LSt, KapESt und Vorauszahlungen, Anwendung findet. Diese Frage war bisher durchaus praxisrelevant, insbesondere im Fall der Einzelveranlagung von Ehegatten, wenn dabei das Finanzamt die Regeln der Aufteilung eines Erstattungsbetrags nicht beachtet. Die Antwort hängt vom Rechtscharakter der Anrechnungsverfügung ab. Nach Auffassung des VII. Senats des BFH – und mit ihm die Verwaltung – ist sie ein eigenständiger Verwaltungsakt. Die Anrechnungsverfügung entfaltet gegenüber einem späteren Abrechnungsbescheid i. S. d. § 218 Abs. 2 AO Bindungswirkung. Im Rahmen eines Abrechnungsbescheids kann die Steueranrechnung daher nur dann geändert werden, wenn die Vorschriften der §§ 129 bis 131 AO dies zulassen.
Beantragt ein Ehegatte (oder Lebenspartner) die Korrektur einer Anrechnungsverfügung (oder eines Abrechnungsbescheids) zu seinen Gunsten, ermöglicht § 218 Abs. 3 AO dem Finanzamt, eine danach sich ergebende widerstreitende Entscheidung in anderen Anrechnungsverfügungen (oder Abrechnungsbescheiden) in entsprechender Anwendung der für Steuerbescheide geltenden Regelung in § 174 Abs. 4 und 5 AO aufzulösen.
Unstrittig ist, dass eine fehlerhafte Anrechnungsverfügung nach Ablauf der durch sie in Lauf gesetzten 5-jährigen Zahlungsverjährungsfrist nicht mehr korrigierbar ist.
Keine Korrektur fehlerhafter Anrechnungsverfügung wegen Zahlungsverjährung
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