Prof. Dr. Dieter Thomaschewski, Prof. Dr. Rainer Völker
Häufig wird angemahnt, dass eine umfassende Transformation in Richtung Agilität nicht anzuraten sei. Es wird die Notwendigkeit postuliert, bestehende, wenig dynamische Geschäfte "effizient" in klar definierten Prozessen und mit althergebrachten Abteilungen abzuwickeln; neue Geschäfte und/oder dynamische Märkte würden durchaus Agilität verlangen. "Effiziente" und "agile" Organisationen werden dort in gewisser Weise als konträr erachtet, nichtsdestotrotz sei beides nach Bedarf vorzuhalten bzw. einzusetzen: Ambidextrie, was so viel wie Beidhändigkeit bedeutet, ist gefordert. Auch wenn der Ursprung der Ambidextrieforschung bereits in den 1990ern zu finden ist, wird das Konstrukt der organisationalen Ambidextrie in aktueller Praxisliteratur verarbeitet.
Andere Autoren (Grabmeier, Aghina) sehen den Gegensatz zwischen Effizienz und Agilität weniger. Es sei durchaus wichtig, je nach Situation und Bedarf Agilität zu zeigen, allerdings benötige Agilität letztlich immer stabile Strukturen. Stabile Kernelemente einer Organisation gepaart mit Agilität führen ebenfalls zu Effizienz.
Solche Debatten sind u. a. Konsequenzen unscharfer Begrifflichkeiten und im Grunde für die Praxis wenig hilfreich. Wie wir bereits erläutert haben, geht es zunächst immer darum zu fragen, wo und wie mehr Agilität sinnvoll ist. Ob und in welcher Form agile Methoden, Organisationsmuster o. ä. gewählt werden, ist dann eine Frage von Aufwand und Ertrag. Wenn z. B. die Einführung eines agilen Organisationsmodells und einer Scrum-Methodik hilft, die Time-to-Market der Entwicklung so signifikant zu verbessern, dass der Aufwand der Transformation klar durch den Ertrag übertroffen wird, dann lohnt eben diese Veränderung.
Als Kern der Ambidextriedebatte lassen sich schlicht 2 Feststellungen treffen:
- Ohne Zweifel ist eine komplette "Agilisierung" eines Unternehmens in vielen Fällen nicht sinnvoll bzw. notwendig. Wenn z. B. die Ergebnisse unternehmerischer Aufgaben – Produkte und Dienstleistungen – klar definiert sind und ebenso die operativen Prozesse dazu, dann bieten sequentielle Abläufe auch in hierarchischen Strukturen wohl nach wie vor die effizientere Organisationsform.
- Welche agilen Organisationsformen, Führungsprinzipien oder Methoden wann wie Sinn ergeben, muss im Zweifel untersucht werden. Der Nettowert der agilen Transformation muss schlichtweg positiv sein.
Der Vorteil der Ambidextriedebatte ist, dass Unternehmen sensibilisiert werden, das Wann und Wo agiler Konzepte zu hinterfragen. In diesem Kontext wird die Debatte weitestgehend dazu führen, dass Praxis und Wissenschaft noch genauer ausloten müssen, wie das Konzept Agilität weiter konkretisiert werden kann.