Zusammenfassung
Ein umfassendes Recht des Bürgers auf Einsicht in die Steuerakten des Finanzamts besteht nicht. Er hat allerdings einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung, ob ihm Akteneinsicht gewährt wird oder nicht. Auch im Rechtsbehelfsverfahren besteht nur ein Anspruch auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen. Erst im finanzgerichtlichen Klageverfahren hat der Gesetzgeber einen Anspruch auf Einsicht in die Akten des Finanzgerichts, die auch die Akten des Finanzamts umfassen, normiert. Auch für das Steuerstrafverfahren gibt es einen Anspruch auf Akteneinsicht. An dieser Rechtslage hat sich auch durch die Informationsfreiheitsgesetze, die in den letzten Jahren durch den Bund und die meisten Bundesländer geschaffen wurden, letztlich nur bedingt etwas geändert. Gleiches gilt aufgrund der Bestimmungen, die sich aus der Umsetzung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) in das deutsche Recht ergeben haben.
Aus § 91 AO, der den Anspruch auf rechtliches Gehör normiert, wird ein Anspruch des Bürgers auf eine ermessenfehlerfreie Entscheidung dahingehend abgeleitet, ob ihm Akteneinsicht gewährt wird oder nicht. Für das Rechtsbehelfsverfahren besteht nach § 364 AO ein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Mitteilung der Besteuerungsgrundlagen. Erst für das finanzgerichtliche Klageverfahren ist in § 78 FGO ein umfassendes Akteneinsichtsrecht normiert. Für den Bereich des Steuerstrafrechts ist § 147 StPO die entscheidende Bestimmung. Einschlägig sein können darüber hinaus im Einzelfall auch die Informationsschutzgesetze des Bundes oder einzelner Bundesländer sowie die DSGVO.
1 Akteneinsicht im steuerrechtlichen Verwaltungsverfahren
1.1 Festsetzungsverfahren
1.1.1 Allgemeines zur Akteneinsicht im Festsetzungsverfahren
Ein allgemeines Recht auf Einsicht in die Akten der Steuerverwaltung gibt es im Festsetzungsverfahren nach wie vor nicht. Diese auf den ersten Blick etwas erstaunliche Tatsache wurde bei der Schaffung der AO 1977 ausdrücklich damit begründet, dass es im Besteuerungsverfahren nicht angebracht sei, ein solches zu gewähren. Zudem sei es auch nicht praktikabel, da der Schutz Dritter im steuerlichen Festsetzungsverfahren gewährleistet sein müsse. Ob diese Auffassung so heute, da dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine besondere Bedeutung zugemessen wird, noch aufrecht zu erhalten wäre, kann durchaus in Zweifel gezogen werden, zumal es in verschiedenen Verwaltungsverfahrensgesetzen durchaus das Recht auf Akteneinsicht gibt. Zwar ist es zutreffend, dass im Steuerrecht in einem besonderen Umfang höchst persönliche Daten geführt werden. Allerdings gilt dies in gleichem Maße etwa für das Sozialrecht, und dort gilt nach § 25 SGB X grundsätzlich ein Recht auf Einsicht, das nur im Einzelfall verweigert oder eingeschränkt werden kann.
Nach der derzeitigen Rechtslage lassen sich andere Rechtsnormen aber nicht analog heranziehen, um für das Besteuerungsverfahren ein allgemeines Akteneinsichtsrecht zu begründen. § 29 VwVG der für das allgemeine Verwaltungsrecht angewendet wird, kommt deshalb nicht in Betracht, weil diese Bestimmung für den Bereich des steuerlichen Verwaltungsverfahrens aufgrund von spezielleren Rechtsnormen nicht gilt. Gleiches gilt für § 19 Abs. 1 BDSG, aus den Landesdatenschutzgesetzen der Länder lässt sich gleichfalls kein gebundenes Recht auf Einsicht herleiten. Ausdrücklich abgelehnt hat der BFH einen Anspruch auf Akteneinsicht aus der (alten) EU-Richtlinie 95/46/EG, die den Bereich des Datenschutzes regelte.
Für die Bundesfinanzverwaltung kann sich allerdings grundsätzlich ein Recht auf Akteneinsicht aus dem Informationsfreiheitsgesetz ergeben. Ob in den einzelnen Ländern aufgrund der Informationsfreiheitsgesetze der Länder dieses ebenso gilt, ist strittig. In jedem Fall wäre aber stets das Steuergeheimnis als Grenze des Einsichtsrechts zu beachten, so dass sich in letzter Konsequenz keine wesentlich andere Rechtslage als nach AO ergibt. Zudem ist Akteneinsicht nur gegen Kostenersatz zu gewähren. Aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben ergibt sich kein Einsichtsrecht oder Auskunftsrecht.
Die aktuelle Rechtslage hat allerdings nicht zur Folge, dass eine Akteneinsicht im Festsetzungsverfahren schlechthin als unzulässig anzusehen ist. Der Steuerpflichtige hat nämlich nach allgemeiner und zutreffender Ansicht durchaus einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung dahingehend, ob ihm im Einzelfall Akteneinsicht gewährt werden kann oder nicht. Abgeleitet wird dieser Anspruch aus § 91 AO, der im Festsetzungsverfahren grundsätzlich ein Recht auf Gehör des Betroffenen vor dem Erlass eines Verwaltungsakts normiert.
Da ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung besteht, kann die Entscheidung bei einer Ablehnung der Akteneinsicht mit einem Einspruch angefochten werden. Welche Klage anschließend beim Finanzgericht zu erheben ist, ist umstritten. Ein Teil der Literatur hält eine Verpflichtungsklage für zutreffend, ein anderer die sonstige Leistungsklage. In der Praxis sollte der Rechtsmittelbelehrung des Finanzamts in der ...