Anspruch auf rechtliches Gehör und ein faires Verfahren: Das Recht auf Akteneinsicht im Strafverfahren nach § 147 Abs. 1 StPO ist bei bestehender Verteidigung ausschließlich ein Recht des Strafverteidigers, also auch des in dieser Funktion agierenden Steuerberaters, Wirtschaftsprüfers oder vereidigten Buchprüfers. Der unverteidigte Beschuldigte hat durch die Neuregelung des § 147 Abs. 4 StPO in 2017 ein eigenes gesetzlich geregeltes Recht auf Akteneinsicht. Hinsichtlich eines Steuerstrafverfahrens wird die Vorschrift des § 147 StPO durch Nr. 35 der Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) ergänzt. Nach § 147 Abs. 1 StPO ist der Verteidiger befugt, die Akten, die dem Gericht vorliegen oder vorzulegen sind, einzusehen. Diese Norm soll den verfassungsrechtlich garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör und das Recht auf ein faires Verfahren einfachgesetzlich sichern. Beschränkt die Ermittlungsbehörde das Einsichtsrecht in unzulässiger Weise, wird der Beschuldigte in seinem Recht auf ein rechtstaatliches Verfahren verletzt (auch wenn das Recht auf Akteneinsicht durch den Strafverteidiger ausgeübt wird). Gerade im Steuerstrafverfahren hat die Akteneinsicht eine besonders große Bedeutung, da die Beweisführung meist mit Urkunden erfolgt.
Die Akteneinsicht dient auch dazu, das Handeln der Ermittlungsbehörden auf deren Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Nur auf diese Weise lassen sich evtl. bestehende Beweisverwertungsverbote erkennen. Ein solches strafrechtliche Beweisverwertungsverbot kann sich bspw. bei einem Verstoß gegen § 10 BpO ergeben, wenn der Betriebsprüfer trotz Vorliegens eines Anfangsverdachts seine Prüfung nicht unterbricht und die zuständige Stelle unverzüglich unterrichtet, sondern die Prüfung ohne entsprechende Belehrung nach § 393 Abs. 1 S. 4 AO fortsetzt. Da der Betriebsprüfer auf die umfassende Mitwirkung des Steuerpflichtigen angewiesen ist und dem Prüfer daher häufig an einem kooperativen Prüfungsklima gelegen ist, sind solche Verstöße in der Praxis keine Seltenheit. Daher ist der zeitliche Ablauf herauszuarbeiten und es sind die Prüfungshandlungen vor der Bekanntgabe daraufhin zu untersuchen, ob der Prüfer möglicherweise schon vor der Einleitung des Strafverfahrens einen Anfangsverdacht hatte. Zu den wichtigen Aufgaben des Verteidigers gehört auch die Prüfung der Akte auf Vollständigkeit. Damit die Vollständigkeit von Akten nachvollzogen werden kann, sind diese durchgehend zu paginieren.
Beraterhinweis Ein praktischer Umstand, der Misstrauen gegenüber der Vollständigkeit begründen kann, ist z.B. die fehlerhafte, lückenhafte oder sonst "wirre" Blattzahlnummerierung. Auch können Gedankensprünge innerhalb der Akte oder nicht näher begründete Besteuerungsgrundlagen Zweifel an der Vollständigkeit der Akte säen. Eine Prüfung, ob weitere Aktenbände existieren, ist nicht möglich, so dass ggf. die Ermittlungsbehörde aufzufordern ist, eine entsprechende Negativerklärung abzugeben, dass keine weiteren als die Genannten geführt werden.