Herzstück der steuerpolitischen Gesetzgebung: Das Wachstumschancengesetz bildete das Herzstück der steuerpolitischen Gesetzgebung des FDP-geführten Bundesministerium der Finanzen (BMF) im Jahr 2023. Das Gesetzgebungsverfahren verlief bereits zu Beginn alles andere als reibungslos. Bundesfamilienministerin Paus verhinderte Mitte August kurzfristig einen Kabinettsbeschluss, da bis dato die Finanzierung der Kindergrundsicherung noch nicht verhandelt war. Sodann äußerte der Bundesrat große Bedenken, insbesondere auf Grund der mit dem Gesetz verbundenen Steuermindereinnahmen für Länder und Kommunen, und schlug daneben zahlreiche Änderungen im Detail vor. Da die Vorschläge nach Auffassung des Bundesrates im weiteren Verfahren "allenfalls punktuell übernommen" wurden, verlangte er die Einberufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel einer grundlegenden Überarbeitung des Gesetzes. Der Vermittlungsausschuss konnte seine Arbeit vor dem Jahreswechsel jedoch nicht mehr aufnehmen, so dass sich die weiteren Verhandlungen und eine etwaige Verabschiedung des Gesetzes bis ins neue Jahr hinziehen. Die vorgesehenen Änderungsvorschläge werden nachfolgend besprochen.
1. Steuerbefreiungen
Erweiterung der Steuerbefreiungen: Mit der Erweiterung zweier Umsatzsteuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten möchte der Gesetzgeber seine Defizite bei der Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL aufholen.
a) Verfahrenspfleger – § 4 Nr. 16 Buchst. m UStG-E
Verfahrenspfleger i.S.d. §§ 276, 297, 298, 317 und 419 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) sollen über einen neuen Buchstaben m in § 4 Nr. 16 UStG als Einrichtung mit sozialem Charakter umsatzsteuerlich anerkannt werden. Die bisher in diesem Buchstaben anerkannten Pflege- und Betreuungseinrichtungen sollen in § 4 Nr. 16 Buchst. n UStG-E verschoben werden. Der Gesetzgeber beabsichtigt mit dieser Erweiterung des § 4 Nr. 16 UStG das BFH, Urt. v. 25.11.2021 zu einem nach §§ 276, 317 FamFG gerichtlich bestellten Verfahrenspfleger in Betreuungs- und Unterbringungssachen umzusetzen. Die Steuerbefreiung sollte zum 1.1.2024 in Kraft treten. Derweil können sich Verfahrenspfleger nach dem BFH-Urteil unmittelbar auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen.
b) Verfahrensbeistände – § 4 Nr. 25 Satz 3 Buchst. d UStG-E
Die Aufgabe eines Verfahrensbeistandes besteht darin, das Interesse des Betroffenen festzustellen und im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zu Geltung zu bringen. Bereits mit dem Jahressteuergesetz 2020 wurde § 4 Nr. 25 Satz 3 UStG um den Buchstaben d erweitert. Hiernach erbringen Verfahrensbeistände in Kindschaftssachen (§ 158 FamFG), Abstammungssachen (§ 174 FamFG) und Adoptionssachen (§ 191 FamFG) unter den Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 1 Buchst. c MwStSystRL von der Umsatzsteuer befreite Leistungen. Die Ergänzung der Steuerbefreiung war erforderlich geworden, nachdem der BFH mit Urteil vom 17.7.2019 die Leistungen eines Verfahrensbeistandes in Kindschaftssachen unter unmittelbarer Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL als steuerbefreit angesehen hat. Die Leistungen seien aufgrund der Schutzbedürftigkeit der Kinder eng mit der sozialen Sicherheit und der Sozialfürsorge verbunden. Die persönliche Anerkennung des Verfahrensbeistandes als Einrichtung mit sozialem Charakter folge aus der gesetzlichen Vorschrift des § 158 FamFG, dem mit der Tätigkeit verbundenen Gemeinwohlinteresse sowie dem Neutralitätsprinzip. Die Finanzverwaltung setzt das BFH-Urteil mit BMF-Schr. v. 28.4.2023 um, fasst Abschn. 4.25.2 Abs. 9 UStAE neu und trifft eine Nichtbeanstandungsregelung für Umsätze, die vor dem 1.1.2021 ausgeführt wurden.
Mit dem Wachstumschancengesetz sollen nunmehr auch Verfahrensbeistände in Unterbringungssachen und bei freiheitsentziehenden Maßnahmen i.S.d. § 167 FamFG als begünstigte Einrichtungen i.S.d. § 4 Nr. 25 UStG anerkannt werden. § 167 FamFG war im Rahmen des Jahressteuergesetz 2020 wohl nur "übersehen" worden, so dass unter unmittelbarer Berufung auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL bereits für zurückliegende Besteuerungszeiträume eine Steuerbefreiung in Betracht kommt.