[Ohne Titel]
Dipl.-Finw. (FH) Christian Anemüller
1. Einführung
Die steuerliche Behandlung von Kapitalmaßnahmen im System der Abgeltungsteuer besitzt erhebliche praktische Bedeutung. Im Laufe der vergangenen Jahre haben sich zahlreiche Entwicklungen und Zweifelsfragen ergeben, auf die sowohl die Rspr. als auch die Finanzverwaltung reagiert haben. Der folgende Beitrag zeigt die aktuellen und wichtigsten Entwicklungen aus der Sicht der Rspr. des BFH auf und gibt Hinweise zu den Schlussfolgerungen. Im Fokus dieses Beitrags stehen Fragestellungen um Abspaltungen ("Spin-Off") im Ausland ansässiger Gesellschaften.
Die durch das JStG 2009 (BGBl. I 2008, 2794) in § 20 Abs. 4a EStG eingefügten Regelungen zur steuerlichen Behandlung bestimmter Kapitalmaßnahmen haben das Ziel der Vereinfachung und der möglichst praktikablen Umsetzung für den Steuerpflichtigen (Stpfl.) und die zum Steuerabzug verpflichteten Personen. Bei den in § 20 Abs. 4a EStG aufgeführten Tatbeständen (in den Entscheidungsfällen: qualifizierter Anteilstausch, Abspaltungen und Freianteile) fließen die Erträge i.d.R. nicht als Geldzahlung, sondern v.a. in Form von Anteilen an Kapitalgesellschaften zu. Eine abgeltende Besteuerung i.R.d. Steuerabzugsverfahrens ist in derartigen Fällen nicht praktikabel, da die Steuerabzugsverpflichteten die Steuerbeträge zunächst von den Stpfl. anfordern müssten, vgl. § 44 Abs. 1 Satz 7 ff. EStG.
Die Veräußerungstatbestände und die Gewinnermittlung gem. § 20 Abs. 2, 4 EStG werden bei den Vereinfachungsmaßnahmen für Kapitalmaßnahmen modifiziert. Die Vereinfachungsregelungen gelten nicht ausschließlich für das Steuerabzugsverfahren, sondern entfalten darüber hinaus auch materiell-rechtliche Wirkung für das Veranlagungsverfahren. Die Regelungen zu den Kapitalmaßnahmen i.S.d. § 20 Abs. 4a EStG sind auf die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die im Privatvermögen erzielt werden, beschränkt (Subsidiaritätsprinzip gem. § 20 Abs. 8 Satz 2 EStG).
2. Kapitalmaßnahmen der Hewlett-Packard Company in 2015
Steuerpflichtige Sachausschüttung oder steuerbegünstigte Abspaltung: Der BFH hat im Urteil v. 1.7.2021 entschieden, dass für den Fall, dass eine US-amerikanische Kapitalgesellschaft inländischen Anteilseignern im Wege eines sog. "Spin-Off" Aktien ihrer US-amerikanischen Tochtergesellschaft zuteilt, grundsätzlich Kapitaleinkünfte i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG vorliegen, soweit es sich nicht um eine Abspaltung i.S.d. § 20 Abs. 4a Satz 7 EStG handelt (BFH v. 1.7.2021 – VIII R 9/19, FR 2021, 1136). Die Aktienzuteilung i.R. eines US-amerikanischen "Spin-Off" ist nach § 20 Abs. 4a Satz 7 EStG steuerneutral, wenn die "wesentlichen Strukturmerkmale" einer Abspaltung i.S.d. § 123 Abs. 2 UmwG erfüllt sind. Die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art. 63 AEUV gebietet eine Erstreckung des § 20 Abs. 4a Satz 7 EStG auch auf ausländische Vorgänge. Der Begriff der "Abspaltung" i.S.d. § 20 Abs. 4a Satz 7 EStG ist typusorientiert auszulegen. Danach ist in Drittstaatenfällen ein gesetzlicher Vermögensübergang durch partielle Gesamtrechtsnachfolge nicht erforderlich. Entscheidend ist bei einer "Abspaltung" i.S.d. § 20 Abs. 4a Satz 7 EStG, dass die Übertragung der Vermögenswerte in einem einheitlichen "zeitlichen und sachlichen Zusammenhang" mit der und gegen die Übertragung von Anteilen an der übernehmenden Gesellschaft erfolgt.
Problem: Die zusammen zur Einkommensteuer veranlagten Kläger und Revisionsbeklagten (Kl.) hielten in 2015 (Streitjahr) über ihre Depotbank Aktien der Hewlett-Packard Company (HPC), einer Kapitalgesellschaft nach dem Recht des US-Bundesstaats Delaware. Nachdem die HPC in Hewlett-Packard Inc. (HPI) umbenannt worden war, übertrug die HPI das Unternehmenskundengeschäft auf die Hewlett-Packard Enterprise Company (HPE), eine Tochtergesellschaft und ebenfalls Kapitalgesellschaft nach dem Recht des US-Bundesstaats Delaware. Die Aktionäre erhielten sodann für eine alte Aktie der HPC eine Aktie der umbenannten HPI. Zusätzlich teilte ihnen die HPI ihre bereits an der HPE gehaltenen Anteile zu, so dass die Aktionäre fortan im selben Verhältnis an den beiden Gesellschaften – der HPI und der HPE – beteiligt waren. Die Depotbank wies in der Jahressteuerbescheinigung für das Streitjahr die zugeteilten HPE-Aktien als Kapitalertrag aus. Das FA behandelte die zugeteilten HPE-Aktien als steuerpflichtigen Kapitalertrag, allerdings hatte die hiergegen erhobene Klage Erfolg (vgl. Urteil des FG Düsseldorf v. 12.3.2019 – 13 K 1762/17 E, EFG 2019, 1117).
Steuerpflichtige Sachausschüttung: Die Zuteilung der HPE-Aktien von der HPI an die Kl. führt bei isolierter Betrachtung zu einem Kapitalertrag i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG, für den Deutschland das Besteuerungsrecht zusteht. Nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG gehören zu den Einkünften aus Kapitalvermögen u.a. Gewinnanteile, Ausbeuten und sonstige Bezüge aus Aktien. Unerheblich ist es insofern, ob es sich bei der ausschüttenden Gesellschaft um ei...