Soweit Arbeitgeber und Arbeitnehmer als Gesamtschuldner für die LSt-Schuld des Arbeitnehmers einstehen müssen, steht dem Betriebsstätten-FA ein Auswahl- und Entschließungsermessen zu. Dabei betrifft das Entschließungsermessen die Frage, ob nicht einbehaltene und abgeführte Lohnsteuer geltend gemacht werden soll. Im Rahmen des Auswahlermessens ist zu entscheiden, wer von mehreren Personen, die nebeneinander dieselbe Leistung aus dem Steuerschuldverhältnis schulden oder für sie haften, in Anspruch genommen wird.
Im Rahmen des Entschließungsermessens hat das FA unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu prüfen, ob der Arbeitgeber überhaupt in Haftung genommen werden soll. Bei einer grob leichtfertigen oder gar vorsätzlichen LSt-Verkürzung durch den Arbeitgeber ist das Ermessen in der Weise vorgeprägt, dass es im Regelfall recht und billig erscheint, wenn ihn die Finanzbehörde für den Steuerschaden in Anspruch nimmt.
Steht im Falle namentlich bekannter Arbeitnehmer leicht überprüfbar und sicher fest, dass sie mit den Einkünften, hinsichtlich derer der LSt-Abzug unterblieben ist, vollständig und ordnungsgemäß – wenn auch i.R.d. unselbständigen Besteuerungsgrundlagen (§ 157 Abs. 2 AO) fälschlicherweise aufgrund von Einkünften aus Gewerbebetrieb – zur ESt veranlagt wurden, ist der Arbeitgeber, der die Lohnsteuer leichtfertig oder gar vorsätzlich verkürzt hat, zwar strafrechtlich zu belangen, nicht aber in Haftung zu nehmen.
Kann die LSt vom Betriebsstätten-FA bei den Arbeitnehmern als Steuerschuldnern noch erhoben werden und steht dem auch § 42d Abs. 3 S. 4 EStG nicht entgegen, ist der Arbeitgeber nachrangig heranzuziehen, wenn wenige namentlich feststehende Arbeitnehmer betroffen sind und deren Einkünfte wahrscheinlich unter der steuerpflichtigen Grenze liegen. Das gilt allerdings nur, wenn das Verhalten des Arbeitgebers bei der Versäumung des Steuerabzugs nicht grob leichtfertig oder gar vorsätzlich war (BFH v. 15.11.1974 – VI R 167/73, BStBl. II 1975, 297).
Ermessensfehlgebrauch: Sind von streitigen Schwarzlohnzahlungen 95 % an mit vollem Namen bekannte Arbeitnehmer erfolgt, so ist es ermessensfehlerhaft, wenn das FA keinen ernsthaften Versuch unternommen hat, festzustellen, ob diese Personen mit den haftungsgegenständlichen Lohneinkünften zur ESt veranlagt worden sind.
Sächs. FG v. 16.12.2021 – 8 K 623/21