Im zu entscheidenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hatte die Antragstellerin geltend gemacht, dass die Frage der Verfassungskonformität der Höhe der Aussetzungszinsen noch nicht höchstrichterlich geklärt sei. Das Finanzamt habe nicht berücksichtigt, dass der VIII. Senat des BFH erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Höhe des Zinssatzes für die Aussetzungszinsen i.H.v. 6 Prozent p.a. formuliert habe (vgl. BFH v. 3.9.2018 – VIII B 15/18, AO-StB 2019, 10 = BFH/NV 2018, 1279; v. 4.7.2019 – VIII B 128/18, AO-StB 2019, 276 = BFH/NV 2019, 1060)
In dem Verfahren hat das FG München die Aussetzung des Bescheides über die Aussetzungszinsen angeordnet. Zur Begründung führte es aus: Verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Aussetzungszinsen nach § 237 AO ergäben sich zunächst daraus, dass der Gesetzgeber im Zusammenhang mit den einzelnen Verzinsungstatbeständen nach §§ 233 ff. AO vom Regelungskonzept einer einheitlichen und typisierten Ermittlung eines Zinsvorteils ausgehe und nicht darauf abziele, einen individuellen Liquiditätsausgleich vorzunehmen. Es solle der potentielle, in typisierter Weise ermittelte Liquiditätsvorteil und nicht der tatsächliche abgeschöpft werden. Das Prinzip des typisierten Vorteilsausgleichs sei damit als den Verzinsungsregelungen nach §§ 233 ff. AO wesensimmanent anzusehen. Dies lege es nahe, dass die Folgerungen aus der Feststellung des BVerfG, wonach sich ab 2008 ein strukturelles Niedrigzinsniveau entwickelt habe, das nicht mehr Ausdruck üblicher Zinsschwankungen war, grundsätzlich nicht nur auf die Verzinsung nach § 233a AO begrenzt bleiben könnten. Soweit sich der typisierte Zinssatz von 6 Prozent p.a. mehr und mehr von dem typisiert ermittelten potentiellen Liquiditätsvorteil entferne und dadurch überschießende Wirkung entfalte, scheine das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte Gebot der Folgerichtigkeit in maßgeblicher Weise betroffen.
Denn die typisierende Festlegung des Zinssatzes sei trotz grundsätzlicher Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers dann nicht mehr zu rechtfertigen, wenn dieser Zinssatz unter veränderten tatsächlichen Bedingungen oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage weder durch die maßstabsbildend zugrunde gelegten noch durch sonstige geeignete Kriterien getragen sei. Ein solcher Zinssatz bewirke vielmehr, dass nur noch Steuerpflichtige eine Aussetzung der Vollziehung anstrebten, die den streitigen Steuerbetrag nur über einen über § 238 Abs. 1 S. 1 AO liegenden Zinssatz finanzieren können. Gerade liquiditätsschwache Steuerpflichtige würden damit faktisch aus dem Anwendungsbereich der Aussetzung der Vollziehung ausgeschlossen. Auch sei ein deutlich über dem allgemeinen Zinsniveau liegender Zinssatz nicht mehr mit dem Verhältnismäßigkeitsgebot Grundsatz zu vereinbaren.
Vor diesem Hintergrund könne auch der Umstand, dass eine Verzinsung nach § 237 AO regelmäßig auf einen Antrag des Steuerpflichtigen zurückgeht, eine über das allgemeine Zinsniveau hinausgehende Verzinsung in Aussetzungsfällen verfassungsrechtlich nicht ohne weiteres legitimieren (a.A. FG Münster v. 8.3.2023 – 6 K 2094/22 E, EFG 2023, 737; Vorlage an das BVerfG durch BFH v. 8.5.2024 – VIII R 9/23, AO-StB 2024, 291, Az. BVerfG: 1 BvL 8/24.). Gleiches gelte für einen Verweis auf den Zweck unnötige Prozesse vermeiden zu wollen. Letztlich sei der Verweis auf die Möglichkeit des Steuerpflichtigen zur Vermeidung einer Zinspflicht die streitige vorher Steuerfestsetzung aus Eigenmitteln zu tilgen nicht vereinbar mit dem Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz
FG München v. 24.6.2024 – 7 V 11/24, Beschwerde BFH: III B 67/24 (AdV)