FG- und BFH-Entscheidungen
[Ohne Titel]
Vors.RiLG Helmut Tormöhlen
Als Fortsetzung der Rechtsprechungsübersicht in AO-StB 5/2021 (Tormöhlen, AO-StB 2021, 165) werden wieder praxisrelevante FG- und BFH-Entscheidungen zum Thema Außenprüfung vorgestellt, die bisher noch nicht im AO-StB besprochen wurden
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I. Schätzung der Besteuerungsgrundlagen durch die Betriebsprüfung (§ 162 AO)
Wenn bei einer Betriebsprüfung festgestellt wird, dass ein Gastwirt Excel-Dokumente für den täglich durchzuführenden Kassensturz verwendet hat, dann hat er seine Kasseneinnahmen und -ausgaben nicht entsprechend einer ordnungsmäßigen Buchführung täglich festgehalten. Bei Einsatz einer elektronischen Registrierkasse kann ein Festhalten der Kasseneinnahmen und -ausgaben allerdings auch durch eine geordnete Ablage der Belege erfolgen. Vom Steuerpflichtigen darüber hinaus erstellte überobligatorische Kassenberichte in Form von Excel-Dokumenten stehen einer ordnungsmäßigen Buchführung nicht entgegen (zur Schätzung bei unzureichenden Aufzeichnungen des Steuerpflichtigen vgl. FG Hamburg v. 4.9.2019 – 6 K 14/19, EFG 2019, 1960; FG Münster v. 20.12.2019 – 4 K 541/16 E, G, U, F, EFG 2020, 325; BFH v. 8.8.2019 – X B 117/18, HFR 2020, 325; Teutemacher, AO-StB 2020, 123; zur revisionsgerichtlichen Überprüfung einer Schätzung vgl. BFH v. 16.12.2021 – IV R 1/18, www.bundesfinanzhof.de).
Wenn und soweit im Rahmen von Sonderveranstaltungen offene Ladenkassen eingesetzt und keine täglichen Kassenberichte auf der Grundlage eines tatsächlichen Auszählens der Bareinnahmen erstellt worden sind, liegt jedoch keine ordnungsmäßige Buchführung vor (vgl. FG Hamburg v. 28.2.2020 – 2 V 129/19, EFG 2020, 891).
FG Münster v. 29.4.2021 – 1 K 2214/17 E, G, U, F
II. Statthaftigkeit einer dritten Anschlussprüfung (§ 193 Abs. 1 AO)
Nach § 193 Abs. 1 AO ist eine Außenprüfung auch bei Steuerpflichtigen zulässig, die freiberuflich tätig sind. Weitere Anforderungen enthält § 193 Abs. 1 AO nicht. Es handelt sich um eine tatbestandlich voraussetzungslose Prüfungsermächtigung (vgl. Gosch in Gosch, AO/FGO, § 193 AO Rz. 1, 16 [September 2015]; Rüsken in Klein, AO, 15. Aufl. 2020, § 193 Rz. 15). In diesem Rahmen sind daher Außenprüfungen in den Grenzen des Verhältnismäßigkeitsprinzips und des Willkürverbots grundsätzlich unbeschränkt zulässig. Weder der AO noch der BpO 2000 ist zu entnehmen, dass Außenprüfungen nur in einem bestimmten Turnus oder mit zeitlichen Abständen erfolgen dürfen. Dies gilt nicht nur für Großbetriebe, sondern auch für Mittel- sowie Klein- und Kleinstbetriebe (vgl. hierzu Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 193 AO Rz. 101 ff. [Februar 2011]).
Ob und in welchem Umfang bei einem Steuerpflichtigen nach § 193 AO eine Außenprüfung angeordnet wird, ist eine Ermessensentscheidung, die vom Gericht nach § 102 FGO nur darauf zu überprüfen ist, ob die gesetzlichen Grenzen der Ermessensvorschrift eingehalten wurden und ob die Behörde das ihr eingeräumte Ermessen unter Beachtung des Gesetzeszweckes (§ 5 AO) fehlerfrei ausgeübt hat. Die Frage, ob die FinBeh. bei Anordnung einer zweiten oder auch dritten Anschlussprüfung ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat, ist anhand aller Umstände des Einzelfalls zu überprüfen (vgl. hierzu Harle / Kuhlemann in Papperitz/Keller, ABC Betriebsprüfung, Fach 3 Stichw. "Anschlussprüfung" Rz. 3 ff. [März 2016].
Daher lassen sich für den Erlass einer Prüfungsanordnung auch keine konkreten und allgemeingültigen Maßstäbe zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit und Beachtung des Willkür- und Schikaneverbots entwickeln (vgl. Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 193 AO Rz. 103 [Februar 2011]). Gleiches gilt für die Frage, ob das FA die Ausübung des Auswahlermessens konkreter hätte begründen müssen bzw. ob auf Grund der lückenlosen Anordnung von Anschlussprüfungen nach den Umständen des Streitfalls eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung i.S.d. Art. 3 Abs. 1 GG vorliegt.
BFH v. 15.10.2021 – VIII B 130/20
III. Beauftragung mit einer Außenprüfung (§ 195 AO)
1. Kenntnis des Finanzamts von einer steuerpflichtigen Schenkung
Wenn eine andere als die an sich zuständige FinBeh. mit einer Außenprüfung – hier hinsichtlich Schenkungsteuer – beauftragt wird, bedeutet dies nicht in jedem Fall, dass das Prüfungs-FA auch die daraufhin zu erfolgende Steuerfestsetzung vornimmt (zur sog. veranlagenden Betriebsprüfung vgl. Gosch in Gosch, AO/FGO, § 195 AO Rz. 59 ff..[September 2015]). Denn dass § 195 Satz 3 AO die Möglichkeit vorsieht, dass die Betriebsprüfung selbst die Veranlagung durchführt, bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Betriebsprüfung stets auch für die Veranlagung zuständig sein muss (a.A. Schallmoser in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 195 AO Rz. 36 [Februar 2011]; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 195 AO Rz. 16 [August 2019]). Dies ergibt sich schon aus dem Kompetenzgefüge des GG. Nach § 108 Abs. 1 und Abs. 2 GG dürfen durch Bundesgesetz nur der Aufbau der Landesfinanzbehörden und die Ausbildung der Beamten geregelt werden. Weder macht § 17 FVG Vorgaben für die innere Struktur der Landesfinanzbehörden, noch ...