Prof. Dr. Stefan Schneider
Leitsatz
1. § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 EStG verknüpft inhaltlich Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren. Daher kann auch die Anfechtung eines ESt-Bescheids mit dem Ziel der Anrechnung höherer LSt-Abzugsbeträge zulässig sein.
2. Die vom Arbeitgeber zu Unrecht angemeldeten und an das FA abgeführten LSt-Beträge sind als Arbeitslohn beim Arbeitnehmer jedenfalls dann steuerlich zu erfassen, wenn der LSt-Abzug nach § 41c Abs. 3 EStG nicht mehr geändert werden kann (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 24.11.1961, VI 88/61 U, Haufe-Index 410297, BStBl III 1962, 93).
Normenkette
§ 19 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 2, § 38, § 41c Abs. 3 EStG, § 40 Abs. 2 FGO
Sachverhalt
Der an der I-GmbH zu 40 % beteiligte Kläger erzielte als deren Geschäftsführer Lohneinkünfte. Er stundete "wegen vorübergehenden Liquiditätsschwierigkeiten" der GmbH seine Bezüge für März bis Dezember 2001 und beließ die "Nettobezüge" ab März 2001 der I-GmbH als Darlehen. Gleichwohl führte die I-GmbH weiter LSt an das FA ab, verbuchte den nicht ausgezahlten Nettolohn als Verbindlichkeiten und wies auf der LSt-Bescheinigung für den Kläger 95 025 DM Lohn sowie 14 654 DM einbehaltene LSt aus. Nach Insolvenz der I-GmbH bestätigte der Insolvenzverwalter, dass die I-GmbH LSt an das FA abgeführt hatte.
Im ESt-Bescheid 2001 des Klägers waren nur die Löhne für Januar und Februar 2001 einschließlich darauf entfallender LSt berücksichtigt und die ESt auf 0 festgesetzt.
Die Klage auf Ansatz des Lohns i.H.v. 95 025 DM und der abgeführten LSt i.H.v. 14 654 DM war nur teilweise erfolgreich. Das FG berücksichtigte die angemeldete und abgeführte LSt als Lohn des Klägers und wies im Übrigen die Klage ab (Sächsisches FG, Urteil vom 05.01.2007, 4 K 1595/03, Haufe-Index 1888326).
Entscheidung
Die dagegen erhobene Revision des FA blieb aus den unter Praxishinweisen dargelegten Erwägungen erfolglos.
Hinweis
Das Begehren auf Ansatz höherer Lohneinkünfte ist ungewöhnlich, hier aber sinnvoll, um LSt-Guthaben zur Verrechnung oder Erstattung zu erlangen.
1. Die prozessualen Voraussetzungen eines solchen scheinbar ohne Beschwer geltend gemachten Klagebegehrens waren klarzustellen: Die Klage auf Besserstellung im Anrechnungsverfahren wäre nicht gegen den ESt-Bescheid, sondern gegen den Abrechnungsbescheid zu führen. Wirkt sich allerdings die Steuerfestsetzung bindend anderweitig ungünstig aus, ist die Klage ausnahmsweise zulässig. So hier, wenn § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 EStG das Steuerfestsetzungs- und das Steuererhebungsverfahren inhaltlich verknüpft, indem die als Steuerabzug erhobene ESt nur angerechnet wird, "soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte ... entfällt".
2. Lohn lag hier insoweit vor, als die I-GmbH LSt an das FA abgeführt hatte. Denn auch die einbehaltene und an das FA abführte LSt ist Teil des steuerpflichtigen Arbeitslohns. Denn der Arbeitgeber handelt für Rechnung des Arbeitnehmers, den Schuldner der LSt (§ 38 Abs. 2 S. 1 EStG). Die Anrechnung der LSt hängt auch nicht davon ab, ob sie tatsächlich geschuldet wurde. Der Erstattungsanspruch steht regelmäßig dem Arbeitnehmer auch dann zu, wenn die LSt zu Unrecht einbehalten und abgeführt worden ist; davon geht auch § 37 Abs. 2 S. 1 AO aus.
3. Zu beachten ist die Änderung der Rechtsprechung: Der BFH hält nicht mehr daran fest, dass die abgeführte LSt kein Arbeitslohn ist, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer kein Gehalt zahlt und den LSt-Abzug versehentlich durchführte (so noch das im Leitsatz zitierte Urteil vom 24.11.1961). Dies jedenfalls für den Fall, dass der LSt-Abzug nicht mehr geändert werden kann (§ 41c Abs. 3 EStG). Denn die LSt-Anmeldung als Verwaltungsakt ist Grundlage des Behaltendürfens der angemeldeten LSt. Ist der LSt-Abzug mit ausgestellter LSt-Bescheinigung abgeschlossen, ist er nicht mehr nach § 41c Abs. 3 S. 1 EStG zu ändern (BFH, Urteil vom 13.12.2007, VI R 57/04, BFH/NV 2008, 878, BFH/PR 2008, 283): dann steht endgültig fest, dass die LSt verfahrensrechtlich nicht ohne rechtlichen Grund (§ 37 Abs. 2 S. 1 AO) gezahlt wurde und jedenfalls dem Arbeitgeber kein Erstattungsanspruch zusteht.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.06.2009 – VI R 46/07