Dr. Xaver Ditz, Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer
97 Anders als andere Zuordnungsgegenstände haben immaterielle Werte die Besonderheit, dass für sie potentiell maßgebliche Personalfunktionen nicht selten (gleichzeitig) von mehreren Betriebsstätten ausgeübt werden. In Fällen der Personalfunktionenkonkurrenz (s. Rn. 43) ist – soweit möglich – in erster Linie auf die Vermutungsregelung des § 6 Absatz 1 Satz 1 BsGaV abzustellen (s. Rn. 85).
98 Führt die Vermutungsregelung zu keiner eindeutigen Entscheidung, weil z.B. die Vermutungsregelung im Hinblick auf zwei Betriebsstätten anwendbar ist oder weil – mangels anwendbarer Vermutungsregelung – die Abwägung zwischen zwei anderen Personalfunktionen zu keinem eindeutigen Ergebnis führt mit der Folge, dass über die Zuordnung des immateriellen Werts zu zwei oder ggf. sogar mehreren Betriebsstätten nicht eindeutig entschieden werden kann, so hat das Unternehmen nach § 6 Absatz 4 BsGaV einen Beurteilungsspielraum. Aber auch dann muss sich die Zuordnung an den Grundsätzen des § 6 Absatz 1 bis 3 BsGaV orientieren. Der Beurteilungsspielraum kommt vor allem in Fällen der Personalfunktionenkonkurrenz (s. Rn. 43) zwischen anderen Personalfunktionen i.S.d. § 6 Absatz 2 BsGaV in Betracht. Die Zuordnung des immateriellen Werts nach § 6 Absatz 4 BsGaV muss nach § 3 Absatz 3 BsGaV spätestens mit Erstellung der Hilfs- und Nebenrechnung nachvollziehbar erfolgen und anhand eindeutiger Aufzeichnungen (§ 90 Absatz 3 AO, s. Rn. 63) begründet werden können. Sonst kann eine Schätzung nach § 162 AO erforderlich werden.
Fall – Zuordnung im Zweifelsfall:
Die Geschäftsleitungsbetriebsstätte des Unternehmens X (X) in Staat A und die zu X gehörende Betriebsstätte B (B) in Staat B erwerben gemeinsam einen immateriellen Wert, der anschließend von beiden genutzt wird. Es kann nicht festgestellt werden, in welcher Betriebsstätte die Bedeutung der Nutzung überwiegt, denn bei mehrjähriger Betrachtung ist die Nutzung in etwa gleich groß.
Lösung:
Eine eindeutige Zuordnung nach § 6 Absatz 1 bis 3 BsGaV ist nicht möglich, weil die Vermutungsregelung des § 6 Absatz 1 Satz 1 BsGaV (Erwerb) kein eindeutiges Ergebnis bringt und weil nicht festgestellt werden kann, dass die Bedeutung einer anderen Personalfunktion (Nutzung, § 6 Absatz 2 und 3 BsGaV) für eine Betriebsstätte überwiegt. In einem derartigen Fall kann der immaterielle Wert vom Unternehmen nach § 6 Absatz 4 Satz 1 BsGaV entweder X oder B zugeordnet werden; dann Lizenzierung gegenüber der Betriebsstätte, der der immaterielle Wert nicht zugeordnet wird (§ 16 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe a BsGaV). Nach § 6 Absatz 4 Satz 2 BsGaV ist unter bestimmten Umständen auch eine anteilige Zuordnung möglich (s. Rn. 101).
99 Wegen der häufig hohen Werthaltigkeit von immateriellen Werten kann eine fiktive Veräußerung zu erheblichen steuerlichen Liquiditätsbelastungen führen. Hinzu kommt, dass im Regelfall der hypothetische Fremdvergleich nach § 1 Absatz 3 Satz 8 und 9 AStG anzuwenden ist, für den die Gewinnaussichten eines Geschäftsvorfalls zu prognostizieren sind. Die Unsicherheiten, die sich daraus ergeben, können im Falle einer fiktiven Veräußerung erheblich belastender sein als im Fall einer fiktiven Nutzungsüberlassung (Lizenzierung). Diese Belastungen sind im Betriebsstättenfall seitens des Unternehmens nur schwer rechtssicher auszuschließen, da zwischen dem übrigen Unternehmen und der betreffenden Betriebsstätte keine rechtlich verbindlichen Verträge denkbar sind. Um Realisationsvorgänge nach § 16 Absatz 1 Nummer 1 BsGaV zu vermeiden, sieht § 6 Absatz 4 BsGaV vor, dass das Unternehmen in Zweifelsfällen der Zuordnung eines immateriellen Werts eine Zuordnung vornehmen kann, die zu keiner Aufdeckung von stillen Reserven führt, solange die Zuordnung den Regelungen des § 6 Absatz 1 bis 3 BsGaV nicht widerspricht.
100 Für Funktionsverlagerungen stellt Tz. 2.4.2 VWG Funktionsverlagerungen in verbleibenden Zweifelsfällen (unter Bezugnahme auf § 4 FVerlV) die widerlegbare Vermutung auf, dass von der Lizenzierung eines immateriellen Werts, der Teil einer Funktionsverlagerung ist, auszugehen ist, wenn der Steuerpflichtige zustimmt. Von dieser Vermutung (fiktive Lizenzierung nach § 16 Absatz 1 Nummer 2 Buchstabe a BsGaV) ist auch im Rahmen der BsGaV auszugehen. Dies gilt insbesondere dann, wenn
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sich aus der Hilfs- und Nebenrechnung keine anderen eindeutigen Hinweise ergeben, |
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die Substanzerfordernisse (Personalfunktionen) beim fiktiv Überlassenden so ausgeprägt sind, dass die Anerkennung der Lizenzierung nach dem Fremdvergleichsgrundsatz berechtigt erscheint, und |
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die Zuordnungsentscheidung auch im jeweils anderen Staat der Besteuerung zugrunde gelegt wird (s. Rn. 63). |
In diesen Fällen kommt den entsprechenden Aufzeichnungen des Unternehmens und der Hilfs- und Nebenrechnung der Betriebsstätte hinsichtlich der konkreten Umstände des wirtschaftlichen Vorgangs i.S.d. § 1 Absatz 4 AStG eine besondere Bedeutung zu (§ 3 Absatz 3 BsGaV), um die jeweils ausgeübten Personalfunktionen und ihre Bedeutung erkennen zu können (s. auch ...