Leitsatz
Die Aufforderung zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung führt auch dann gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO 1977 zu einem von Absatz 1 der Vorschrift abweichenden Beginn der Festsetzungsfrist, wenn sie zwar nach Ablauf des dritten auf das Kalenderjahr der Steuerentstehung folgenden Kalenderjahres, aber noch innerhalb der vierjährigen Festsetzungsfrist ergeht. Die Anlaufhemmung ist auch für diesen Fall auf drei Jahre begrenzt.
Normenkette
§ 31 Abs. 1 ErbStG , § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO
Sachverhalt
Das FA forderte den Steuerpflichtigen im April 1996 wegen eines im September 1992 verwirklichten Steuertatbestands gemäß § 31 Abs. 1 ErbStG auf, eine Erbschaft- bzw. Schenkungsteuererklärung abzugeben. Die Erklärung ging noch in 1996 beim FA ein. Die Steuerfestsetzung erfolgte aber erst in 1997. Der Klage, mit der sich der Kläger auf Festsetzungsverjährung berufen hatte, gab das FG statt. Es war der Ansicht, die Aufforderung zur Erklärungsabgabe habe keine Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auslösen können, weil sie nicht innerhalb des dort genannten Zeitraums der Anlaufhemmung von maximal drei Jahren ergangen ist. Die Festsetzungsfrist sei daher Ende 1996 abgelaufen. Die Voraussetzungen einer Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 5 AO 1977 lagen nicht vor.
Entscheidung
Der BFH hob das Urteil des FG auf. Für die Frage, ob der Anlauf der Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 gehemmt wird, ist ausschließlich darauf abzustellen, ob im Zeitpunkt der Aufforderung als dem die Rechtsfolge des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 auslösenden Ereignis der Steueranspruch noch nicht erloschen war. War er bereits erloschen, geht die Aufforderung ins Leere. War die Aufforderung rechtzeitig, spielen die in § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 genannten drei Jahre nur insofern eine Rolle, als sie die maximale Dauer der Anlaufhemmung bestimmen. Damit steht auf der Grundlage des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 für die Steuerfestsetzung insgesamt ein Zeitraum von höchstens sieben Jahren seit Ablauf des Jahres der Steuerentstehung zur Verfügung (3 Jahre Anlaufhemmung + 4 Jahre Festsetzungsfrist). Da im Streitfall die Aufforderung zur Erklärungsabgabe im vierten Jahr der Festsetzungsfrist erfolgte, lief die Festsetzungsfrist gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 erst mit Ablauf des Jahres 1995 an und erst Ende 1999 ab.
Hinweis
Für den Anlauf der Festsetzungsfrist bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer gibt es drei Vorschriften, nämlich erstens die Grundregel des § 170 Abs. 1 AO 1977 sowie zweitens und drittens die Sonderregelungen des § 170 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 5 AO 1977. Die Sonderregelung des Abs. 5 der Vorschrift, der besonders für die Schenkung große Bedeutung zukommt, griff im Streitfall nicht ein, weil die danach erforderliche Kenntnis des Erwerbers bzw. des FA noch im Jahr der Steuerentstehung vorlag. Da die Sonderregelung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer eine Aufforderung zur Erklärungsabgabe gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 ErbStG voraussetzt (vgl. BGH – Urteil vom 5.5.1999, II R 96/97, BFH/NV 1999, 1341), läuft die Festsetzungsfrist zunächst nach der Grundregel des § 170 Abs. 1 AO 1977 an. Erst mit der Aufforderung zur Erklärungsabgabe nach § 31 Abs. 1 ErbStG wird die Sonderregelung des § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO 1977 wirksam, und zwar mit der Folge, dass die bereits einmal nach Abs. 1 der Vorschrift angelaufene Frist ein zweites Mal – und diesmal später – anläuft. Das gilt allerdings nur dann, wenn der Steueranspruch im Zeitpunkt der Aufforderung noch nicht erloschen war. Die zunächst nach § 170 Abs. 1 AO 1977 angelaufene Frist darf noch nicht abgelaufen gewesen sein; d.h. die Aufforderung muss innerhalb von vier Jahren seit Ablauf des Jahres der Steuerentstehung erfolgt sein. Die Dauer der Anlaufhemmung bestimmt sich nach dem Zeitpunkt der (rechtzeitig erfolgten) Aufforderung, ist jedoch auf maximal drei Jahre begrenzt, wie folgende Übersicht zeigt:
Jahr der Jahr der Eintritt der
Steuer- Aufforderung Festsetzungs-
entstehung nach § 31 verjährung mit
Abs. 1 ErbStG Ablauf des
Jahres
01 02 06
01 03 07
01 04 08
01 05 08
Eine erstmalige Aufforderung im Jahr 06 beträfe einen bereits erloschenen Steueranspruch und ginge daher ins Leere.
Es sei noch einmal darauf hingewiesen, dass diese Ausführungen nur gelten, wenn es – wie im vorliegenden Fall – nicht zu einer Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 5 AO 1977 gekommen ist. Die Anlaufhemmung nach dieser Sonderregelung verdrängt von Anfang an den Anlauf der Festsetzungsfrist nach der Grundregel des § 170 Abs. 1 AO 1977.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.10.2000, II R 50/98