Leitsatz
Abgaben, die auf der Grundlage einer für ungültig erklärten Unionsverordnung erhoben wurden, sind ab dem Zeitpunkt der Zahlung der unionsrechtswidrig erhobenen Abgabe zu verzinsen.
Normenkette
§ 236, § 238 Abs. 1 Satz 1 AO, § 12 Abs. 1 Satz 1 MOG
Sachverhalt
Die Klägerin ist ein Zucker erzeugendes Unternehmen und war als solches für die streitgegenständlichen Wirtschaftsjahre 2002/2003 und 2004/2005 verpflichtet, Produktionsabgaben zu zahlen. Das gegen die Abgabenbescheide nach erfolglosen Einsprüchen betriebene Klageverfahren wurde zunächst ausgesetzt und der EuGH um eine Vorabentscheidung zu der Frage ersucht, ob die der Abgabenerhebung zugrunde liegende VO Nr. 1193/2009 gültig ist.
Mit EuGH-Urteil vom 27.9.2012 in den verbundenen Rechtssachen C-113/10, C-147/10, C-234/10, Jülich II (EU:C:2012:591, Haufe-Index: 3335668) erklärte der EuGH die VO Nr. 1193/2009 in ihrer Gesamtheit für nichtig.
Das FG hob daraufhin den Bescheid des HZA für das Wirtschaftsjahr 2002/2003 insoweit auf, als die festgesetzte B Abgabe mehr als ... EUR betrug. Den Bescheid für das Wirtschaftsjahr 2004/2005 hob das FG insoweit auf, als die Ergänzungsabgabe auf mehr als ... EUR festgesetzt worden war. Darüber hinaus sprach das FG der Klägerin Zinsen auf den zu erstattenden Betrag in Höhe von 0,5 % pro Monat ab dem Zeitpunkt der Überzahlung der geschuldeten Abgaben bis zum Eintritt der Rechtshängigkeit zu (FG Düsseldorf vom 9.1.2013, 4 K 189/10 VZr, Haufe-Index 2316370).
Hiergegen legte das HZA Revision ein. Nachdem der Rat der EU die dem EuGH-Urteil Jülich II Rechnung tragende VO Nr. 1360/2013 erlassen hatte, ergingen im Revisionsverfahren geänderte Abgabenbescheide. Daraufhin erklärten die Beteiligten Teile des Rechtsstreits in der Hauptsache für erledigt. Streitig blieben der Abgabenbescheid für eines der Wirtschaftsjahre sowie die Frage der Zinsberechnung auf den Erstattungsbetrag.
Entscheidung
Der BFH hat das Verfahren eingestellt, soweit die Hauptsache für erledigt erklärt worden ist. Hinsichtlich des streitig gebliebenen Abgabenbescheids für ein Wirtschaftsjahr hat der BFH ausgehend von der neu erlassenen VO Nr. 1360/2013 die Vorentscheidung geändert und die Klage abgewiesen. Im Übrigen (streitige Zinsberechnung) wurde die Revision des HZA aus den in den Praxis-Hinweisen genannten Gründen zurückgewiesen.
Hinweis
Der Streitfall hat eine lange Vorgeschichte: Zucker produzierende Unternehmen haben aufgrund marktordnungsrechtlicher Unionsverordnungen Produktionsabgaben zu zahlen. So auch das im Streitfall klagende Unternehmen für bestimmte (inzwischen lang zurückliegende) Wirtschaftsjahre. Klagen gegen die Abgabenbescheide hatten in der Vergangenheit zu an den EuGH gerichteten Vorabentscheidungsersuchen und in der Folge zur Nichtigerklärung der entsprechenden Verordnungen zur Festsetzung der Produktionsabgaben im Zuckersektor durch den EuGH geführt. Daraufhin erließ der Rat der EU eine neue, die Vorgaben des EuGH-Urteils berücksichtigende Verordnung, aus der sich für die betreffenden Wirtschaftsjahre eine für die Klägerin geringere Produktionsabgabe ergab.
Während das beklagte HZA auf den nunmehr zu zahlenden Erstattungsbetrag Zinsen ab Rechtshängigkeit gemäß § 12 Abs. 1 MOG i.V.m. § 236 AO berechnen wollte, beanspruchte die Klägerin Zinsen ab Zahlung des zu Unrecht erhobenen Abgabenbetrags und berief sich auf das EuGH-Urteil vom 18.4.2013, C-565/11, Irimie (EU:C:2013:250, Haufe-Index 3695753).
Wie schon in anderem Zusammenhang in ähnlicher Weise zu beobachten war, betont der EuGH im Irimie-Urteil mangels einschlägiger unionsrechtlicher Vorschriften zwar einerseits die Anwendbarkeit des nationalen Rechts, scheut sich aber gleichwohl nicht, nationale Vorschriften als mit Unionsrecht unvereinbar zu erklären, wenn sie ihm nicht gefallen.
So hat der EuGH im Irimie-Urteil ausgeführt, es sei Sache der Mitgliedstaaten, wie sie ihrer Verpflichtung nachkommen, Erstattungsbeträge zu verzinsen; sie könnten insbesondere den Zinssatz und die Berechnungsmethode festlegen (Rz. 23 des Urteils); andererseits greift er aber unter Berufung auf den Effektivitätsgrundsatz unbekümmert in das nationales Recht ein und hält eine nationale Vorschrift, die Zinsen erst ab Beantragung der Erstattung vorsieht, für mit diesem Grundsatz unvereinbar (Rz. 26 ff. des Urteils).
Da es nach den Ausführungen des EuGH in Rz. 26 des Irimie-Urteils darum geht, für die Einbußen des zu Unrecht in Anspruch genommenen Steuerpflichtigen eine angemessene Entschädigung zu zahlen, hätte man daran denken können, dass die "angemessene Entschädigung" nicht nur vom Zinszeitraum, sondern auch vom Zinssatz abhängt. Da der Zinssatz nach § 238 Abs. 1 AO 6 % p.a. beträgt und damit (vermutlich) über dem üblichen Marktzins liegt, erhielte der Steuerpflichtige im Erstattungsfall trotz eines beschränkten Zinszeitraums eine im Ergebnis vielleicht doch "angemessene Entschädigung". Kombiniert man dagegen den vom EuGH verordneten Zinszeitraum mit dem hohen deutschen Zinssatz, würde der Zinsschaden de...