aa) Grundstücksmerkmale und Bewertungsparameter (Rz. 74 Satz 2 und 3)
Bei der Gebäudewertermittlung auf den Zeitpunkt des Ablaufs des Erbbaurechts ist grundsätzlich von den Grundstücksmerkmalen und den Bewertungsparametern am Bewertungsstichtag auszugehen. Das gilt neben den Grundstücks- und Gebäudeflächen insb. für die Bodenrichtwerte, Roherträge, Bewirtschaftungskosten, Liegenschaftszinssätze, Regelherstellungskosten, Verbraucher- und Baupreisindizes. Ausführungen zu Vergleichspreisen und -faktoren für Zwecke des § 183 BewG enthalten die AEBew JStG 2022 an dieser Stelle nicht (s. zum Vergleichswertverfahren VI. 2. b) cc)).
Im Sachwertverfahren ist die Wertzahl gleichwohl ausgehend vom – aufgrund der geänderten Restnutzungsdauer (s. VI. 2. b) bb)) – geänderten vorläufigen Sachwert zu bestimmen (s. Beispiel in Rz. 75 I.1.1 vs. A I.3.1; a.A. die Finanzverwaltung selbst in Rz. 74 Satz 3). Gleiches gilt u.E. für die Sachwertfaktoren der Gutachterausschüsse.
bb) Restnutzungsdauer (Rz. 74 Satz 4 bis 7)
Bei der Gebäudewertermittlung auf den Zeitpunkt des Ablaufs des Erbbaurechts ist von der Restnutzungsdauer auszugehen, die bei der Ermittlung des unbelasteten Grundstücks nach § 193 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BewG zugrunde gelegt wurde. Diese ist um die Restlaufzeit des Erbbaurechts zu mindern. Ein Gebäudewertansatz entfällt folglich, wenn die Restlaufzeit des Erbbaurechts die Restnutzungsdauer des Gebäudes am Bewertungsstichtag übersteigt bzw. dieser entspricht.
Die Regelungen über die Mindest-Restnutzungsdauern (§ 185 Abs. 3 Satz 6 BewG bzw. § 190 Abs. 6 Satz 5 BewG) wendet die Verwaltung bei der Gebäudewertermittlung auf den Zeitpunkt des Ablaufs des Erbbaurechts nicht an. An der bisherigen Rechtsauffassung (BT-Drucks. 16/11107, 20 f.; R B 194 Abs. 5 Satz 6 ErbStR 2019), die regelmäßig zu unsachgemäßen Grundbesitzwerten führte (hierzu ausführlich: Marquardt/Miethe, ErbStB 2023, 38 [46 f.]), wird nicht festgehalten.
Eindeutiger wäre es gewesen, § 193 Abs. 3 Satz 2 BewG entspr. § 50 Abs. 2 Satz 2 ImmoWertV zu formulieren:
§ 193 Abs. 3 Satz 2 BewG |
§ 50 Abs. 2 Satz 2 ImmoWertV |
"Ein bei Ablauf des Erbbaurechts nicht zu entschädigender Wertanteil der Gebäude oder des Gebäudes nach Absatz 5 ist abzuziehen." |
"Bei einer über die Restlaufzeit des Erbbaurechts hinausgehenden Restnutzungsdauer der baulichen Anlagen ist [...] der bei Zeitablauf nicht zu entschädigende Wertanteil der baulichen Anlagen abzuzinsen und abzuziehen." |
Für Bewertungsstichtage ab dem 1.1.2023 werden bei nicht (vollständig) zu entschädigenden Gebäuden – wie i.R.d Verkehrswertermittlung – zwei Fallkonstellationen unterschieden:
- Restlaufzeit des Erbbaurechts ≥ Restnutzungsdauer des Gebäudes (kein Gebäudewertansatz = Beispiel in Rz. 75)
- Restlaufzeit des Erbbaurechts < Restnutzungsdauer des Gebäudes (Gebäudewertansatz = Abwandlung des Beispiels in Rz. 75).
cc) Offene Fragen zur Restnutzungsdauer im Vergleichswertverfahren
Ein- und Zweifamilienhäuser sowie Wohnungs- und Teileigentum sind vorrangig im Vergleichswertverfahren (§ 183 BewG) zu bewerten (§ 182 Abs. 2 BewG). Es stellt sich die Frage, wie in diesen Fällen die Restnutzungsdauer ermittelt werden soll.
Die für die Beteiligten im Steuerrechtsverhältnis verbindlichen (Nds. FG v. 1.12.2022 – 1 K 90/19, EFG 2023, 760 Rz. 94 m.w.N. = ErbStB 2023, 103 [Grootens]) Vergleichspreise und -faktoren des Gutachterausschusses sind grundsätzlich vom Baujahr und einem Modernisierungsgrad abhängig – nicht aber von der Restnutzungsdauer. Dementsprechend enthält § 183 BewG auch keinen Verweis auf Anlage 22 BewG und keine Regelung zur Bestimmung der Restnutzungsdauer.
Bei der Anwendung des Vergleichswertverfahrens fehlt es folglich an einer Restnutzungsdauer. Es kann nicht geprüft werden, ob die Restnutzungsdauer des Gebäudes die Restlaufzeit des Erbbaurechts übersteigt und ein Gebäudewertanteil zu ermitteln und anzusetzen ist.
Ebenso wenig kann bei der Gebäudewertermittlung auf den Zeitpunkt des Ablaufs des Erbbaurechts eine um die Restlaufzeit des Erbbaurechts geminderte Restnutzungsdauer zugrunde gelegt werden.
Die AEBew JStG 2022 enthalten keine Regelung, wie das finanzmathematische Verfahren in diesen Fällen anzuwenden ist. Auch der Entwurf der ImmoWertA v. 3.5.2023 des BMWSB schweigt hierzu. Sich dieser Problematik wohl bewusst, war nach Nr. 4.3.2.2.2 Abs. 2 WertR 2006 zur Ermittlung des Gebäudewertanteils des Erbbaurechts "in der Regel von dem [...] ermittelten Sachwert bzw. Ertragswert des Gebäudes auszugehen". Dem folgte das BewG für Bewertungsstichtage bis zum 31.12.2022 (§ 193 Abs. 5 Satz 1 BewG a.F.).