§ 611 BGB "Vertragstypische Pflichten beim Dienstvertrag", der die Grundpflichten der Arbeitsvertragsparteien regelt, sagt nichts zum Thema "Arbeitsschutz". Die Rechtsprechung hat jedoch neben den arbeitsvertraglichen Hauptpflichten (Arbeitsleistung, Vergütung) eine große Zahl von "Nebenpflichten" definiert, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben. So hat der Arbeitgeber z. B. die Fürsorgepflicht für seine Arbeitnehmer. Im Gegenzug müssen Arbeitnehmer alles unterlassen, was den Arbeitgeber – u. a. wirtschaftlich – schaden könnte. Aus dieser Pflicht resultiert auch die Verpflichtung, alles zu unterlassen, was andere Arbeitnehmer gefährden könnte.
Aus der Fürsorgepflicht heraus muss der Arbeitgeber die Gesundheit des Arbeitnehmers schützen. Dem entspricht die Pflicht des Arbeitnehmers, sich und andere nicht unnötig zu gefährden. Die Schutzverpflichtung des Arbeitgebers ist in § 3 ArbSchG geregelt, die Verpflichtung des Arbeitnehmers, ihn dabei zu unterstützen, in § 15 ArbSchG.
Vorschriften, die dem Gesundheitsschutz dienen, müssen konsequent eingehalten werden. Verstößt ein Arbeitnehmer gegen diese Vorschriften und gefährdet dadurch sich und/oder andere Mitarbeiter, verletzt er seine vertraglichen Pflichten. Als Folge dieser Pflichtverletzung sieht das BGB im Arbeitsrecht vor, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis im äußersten Fall sogar fristlos kündigen kann (vgl. Abschn. 6). Die o. g. Entscheidung des LAG Schleswig-Holstein stellt klar, dass sich der Arbeitgeber mit der Sanktionierung solcher Verstöße sehr schwertut, wenn er selbst den Arbeitsschutz nicht ausreichend ernst nimmt. Dazu gehören
- unklare Sicherheitsvorschriften,
- nicht ausreichende Unterweisungen,
- fehlende Kontrolle oder
- die stillschweigende Duldung von Verstößen sowie
- die fehlende nachhaltige Sanktionierung von Verstößen.
So etwas schwächt die Position eindeutig. Will der Arbeitgeber im Fall eines Verstoßes angemessen reagieren, muss er sich nicht wundern, wenn ihm dies ggf. entgegengehalten wird.
Welche Regelungen zum Arbeitsschutz gelten, gibt der Arbeitgeber vor, ggf. auf Basis ihn verpflichtender weiterer gesetzlicher oder berufsgenossenschaftlicher Regelungen. Bei der Durchsetzung dieser Regeln ist es meistens erforderlich, diese an tatsächliche Gegebenheiten anzupassen und natürlich auch die Interessen der Arbeitnehmer zu wahren. Der Arbeitgeber und seine Beauftragten müssen hier "Ermessen ausüben", d. h. den möglichst optimalen Weg finden, der allen Beteiligten gerecht wird.
Tragen von Sicherheitsschuhen
Weigert sich ein Arbeitnehmer, Sicherheitsschuhe zu tragen, weil das bei ihm zu Erkrankungen der Zehennägel führt, kann nicht ohne Weiteres abgemahnt bzw. gekündigt werden. Ggf. muss eine Untersuchung durch einen Arbeitsmediziner stattfinden, der als milderes Mittel das Tragen von Sicherheitssandalen anordnen kann.
Das LAG Köln hat in seinem Urteil vom 12.12.2008 (11 Sa 777/08) in einem entsprechenden Fall eine verhaltensbedingte Kündigung bejaht, weil sich ein Arbeitnehmer geweigert hatte, Sicherheitsschuhe zu tragen, obwohl der Arbeitsmediziner dies für medizinisch unbedenklich gehalten hat.
Leiharbeitnehmer im Betrieb
Zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher-Arbeitgeber besteht kein direktes Vertragsverhältnis. Dennoch nimmt die Rechtsprechung hier ein Schutz- und Fürsorgeverhältnis an: Es verpflichtet den Arbeitgeber, die Gesundheit des Arbeitnehmers zu schützen und zwingt den Arbeitnehmer, sich an vorgegebene Regeln zu halten.
Da Leiharbeitnehmer häufig ihre Einsatzbereiche wechseln, bedürfen sie besonders guter An- und Unterweisung, auch hinsichtlich der im Betrieb herrschenden Sicherheitsstandards.
Der Wille des Arbeitgebers, Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften nicht hinzunehmen, sollte im Unternehmen bekannt sein. So wissen die Arbeitnehmer, mit welchen Folgen zu rechnen ist, und haben die Sicherheit, dass das Thema Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb ernst genommen wird.
Verstöße gegen Arbeitsschutzvorgaben liegen auch dann vor, wenn diese nicht schriftlich formuliert sind. Das LAG Schleswig-Holstein hat in seinem Urteil v. 8.10.2008 (6 Sa 158/08) die ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers bestätigt, der leere Farbspraydosen in einen Container geworfen hatte, welcher nur für brennbare Materialien vorgesehen war. Nach Ansicht des Gerichts war es naheliegend, dass so etwas verboten sein muss, selbst wenn es nirgendwo schriftlich niedergelegt ist, da so unmittelbar Kollegen gefährdet werden.