Leitsatz

Ein Irrtum der Zollbehörde bei der Einreihung einer Ware ist für den Zollschuldner erkennbar, wenn sich die Unrichtigkeit der behördlichen Tarifierungsentscheidung aus dem Tenor einer im ABlEG/ABlEU veröffentlichten Entscheidung des EuGH ergibt.

 

Normenkette

Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK

 

Sachverhalt

Getrocknete Paprikastücke wurden vom HZA zunächst der (unzutreffenden) Unterpos. 0904 20 90 der Kombinierten Nomenklatur zugeordnet und entsprechend der für derartige Waren vorgesehenen Zollpräferenz zollfrei belassen, obwohl der Einführer – jedenfalls bei seinen ersten Einfuhrsendungen – die richtige Unterposition angegeben hatte. Später kam das HZA entsprechend dem schon von Anfang veröffentlicht vorliegenden EuGH-Urteil in EuGHE 1997, I-7039 zu dem Ergebnis, dass die Waren in die Unterpos. 0904 20 10 KN einzureihen gewesen seien. Es forderte Zoll nach.

 

Entscheidung

Der BFH hat die Nacherhebung des Zolls für richtig gehalten, weil der Einführer den Irrtum des Zollamts anhand einer Lektüre der Amtsblätter habe erkennen können. Eine diesbezügliche Informationspflicht bestehe unabhängig von dem Maß an Erfahrung, über das der Einführer verfügt, und beziehe sich auch auf im Amtsblatt Teil C im Tenor veröffentlichte Entscheidungen des EuGH.

 

Hinweis

1. Ist eine Zollschuld unrichtig festgesetzt worden, kann nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK von einer Nachforderung (gemeinschaftsrechtlich: nachträgliche buchmäßige Erfassung) abgesehen werden, wenn das Zollamt "aktiv" geirrt hat. Mit der etwas missglückten Begriffsbildung des "aktiven Irrtums" sind Irrtümer gemeint, die nicht auf der bloßen Übernahme der Rechtsansicht Dritter, sondern auf eigener rechtlicher Überlegung beruhen. Ein solcher "aktiver Irrtum" scheidet demnach von vornherein aus, wenn der Zoll lediglich Zollanmeldungen ungeprüft übernommen hat. Aber auch wenn der Zoll – wie im Besprechungsfall – die Anmeldung aufgrund eigener Überlegungen abgeändert (und dabei "aktiv geirrt" hat), kann von einer Nacherhebung dann nicht abgesehen werden, wenn der Irrtum für den Zollbeteiligten erkennbar war.

2. Die Erkennbarkeit des Irrtums ist nach der Rechtsprechung des EuGH aufgrund einer konkreten Beurteilung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen, wobei namentlich die Art des Irrtums, die Erfahrung und die Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers zu berücksichtigen sein sollen (vgl. z.B. EuGH, Urteile vom 1.4.1993, Rs. C-250/91 – Hewlett Packard France –, EuGHE 1993, I-1819 und vom 14.11.2002, Rs. C-251/00 – Ilumitrónica –, EuGHE 2002, I-10-433). Im Einzelnen ist in diesem Zusammenhang noch manches unklar, insbesondere was das Verhältnis dieser Bewertungsgesichtspunkte untereinander angeht.

3. Nach der überzeugenden ständigen Rechtsprechung des EuGH kann sich niemand auf Unkenntnis des im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlichten Gemeinschaftsrechts berufen. Entscheidungen des EuGH zur Auslegung des Rechts werden zwar auch im Amtsblatt (Teil C) veröffentlicht, sind aber kein "Recht", sondern Erkenntnisse über den Inhalt des Rechts. Es fragt sich daher, ob eingangs genannter Rechtssatz auch dahin zu verstehen ist, niemand könne sich auf die Unkenntnis der im Amtsblatt veröffentlichten Rechtsprechung des EuGH berufen, so dass die dort veröffentlichten Entscheidungen bei Gefahr der Nacherhebung von Abgaben beachtet werden müssen, auch wenn die Zollbehörde ihnen zuwider entscheidet. Dies – ohne Befragung des EuGH gem. Art. 234 EG – annehmen zu können, meint der BFH in der Besprechungsentscheidung; er hat damit die ohnehin allerdings schon zumal wegen der Unübersichtlichkeit des Amtsblatts Teil L gewaltigen Informationspflichten des Einführers weiter ausgedehnt.

 

Link zur Entscheidung

BFH, Urteil vom 26.2.2004, VII R 20/03

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