Leitsatz
1. Finanzgerichte entscheiden bei Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit von Abrechnungsbescheiden in sogenannten Bauträgerfällen auch über den Bestand und die Durchsetzbarkeit der – dem Finanzamt von Bauleistenden abgetretenen – zivilrechtlichen Werklohnforderungen.
2. Mit der Aufhebung eines finanzgerichtlichen Aussetzungsbeschlusses durch den Bundesfinanzhof entfällt die Anordnung der vom Finanzgericht festgesetzten Sicherheitsleistung zumindest dann, wenn der Aussetzungsbeschluss unter der aufschiebenden Bedingung einer Sicherheitsleistung erfolgt ist, so dass sich eine nur gegen die Festsetzung der Sicherheitsleistung gerichtete Beschwerde insoweit als im Ergebnis als begründet erweist.
Normenkette
§ 69 Abs. 2 und 3, § 110 Abs. 1 FGO, § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, § 322 Abs. 2, § 572 Abs. 3 ZPO, § 13b UStG a.F.
Sachverhalt
Die Antragstellerin, eine GmbH, erbrachte im Jahr 2013 als Bauträgerin steuerfreie Leistungen und bezog hierfür steuerpflichtige Bauleistungen. In Bezug auf diese Bauleistungen gingen die Beteiligten von einer Steuerschuldnerschaft der Antragstellerin nach § 13b UStG aus, die sich aber aufgrund des BFH-Urteils vom 22.8.2013 (V R 37/10, BFH/NV 2014, 130, BStBl II 2014, 128) als unzutreffend erwies. Daher beantragte die Antragstellerin am 7.3.2014 beim FA die Erstattung der von ihr nach diesem Urteil im Streitjahr zu Unrecht (und ohne Inanspruchnahme eines Vorsteuerabzugs) abgeführten USt. Nachdem das FA die für die Bauleistenden jeweils zuständigen FA am 16.4.2015 hierüber informiert hatte und die Bauleistenden ihre Werklohnforderungen gegen die Antragstellerin in Höhe der gegen sie festgesetzten USt an das FA abgetreten hatten, erließ das FA am 6.12.2017 einen Änderungsbescheid wegen USt 2013, aus dem sich ein Erstattungsanspruch zugunsten der Antragstellerin ergab. Das FA erklärte am 18.12.2017 die Aufrechnung mit ihm abgetretenen Werklohnforderungen gegen den der Antragstellerin aus USt 2013 zustehenden Erstattungsbetrag. Aus einem von der Antragstellerin beantragten Abrechnungsbescheid vom 18.11.2021 ergab sich die Wirksamkeit der Aufrechnung und dass das Konto der Antragstellerin anschließend "ausgeglichen" war. Im Anschluss an einen erfolglos beim FA gestellten AdV-Antrag gewährt das FG AdV, allerdings nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe des von der Vollziehung ausgesetzten Betrages, und ließ die Beschwerde gegen seinen Beschluss zu (FG Münster, Beschluss vom 17.2.2022, 5 V 3238/21, Haufe-Index 15131301).
Entscheidung
Der BFH hob den Beschluss des FG auf und verwies die Sache an das FG zurück. Das FG sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Abrechnungsbescheids bereits deshalb vorliegen, weil bislang ungeklärt sei, ob FG in den Bauträgerfällen über den Bestand und die Durchsetzbarkeit der – dem FA von Bauleistenden abgetretenen – zivilrechtlichen Werklohnforderungen entscheiden dürften. Die Zurückverweisung sei zweckmäßig, da sich das FG zu Unrecht mit den von der Antragstellerin geltend gemachten Einwendungen wie etwa zur Verjährung und zum Zurückbehaltungsrecht noch nicht befasst hat.
Hinweis
1. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG entscheidet das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit grundsätzlich unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten. Zu entscheiden ist damit auch über eine zur Aufrechnung gestellte rechtswegfremde Gegenforderung, es sei denn, diese Entscheidung erwächst nach § 322 Abs. 2 ZPO in Rechtskraft.
2. In Abtretungsfällen kommt es dabei grundsätzlich zu keiner Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 2 ZPO. Diese erstreckt sich nur auf die Beteiligten des Verfahrens und ihre Rechtsnachfolger (§ 110 Abs. 1 FGO, § 325 Abs. 1 ZPO), nicht aber auch auf den Zedenten als den Rechtsvorgänger des an dem Prozess beteiligten Zessionars, wie der BFH bereits entschieden hat (BFH, Urteil vom 1.8.2017, VII R 12/16, BFH/NV 2018, 263, BStBl II 2018, 737, Rz. 15).
3. Ist danach am Klageverfahren zwischen dem Zessionar und dem Anspruchsgegner der abtretende bauleistende Unternehmer (Zedent) nicht beteiligt, kommt es zu keiner Rechtskrafterstreckung. Das Bestehen der rechtswegfremden Gegenforderung ist auch dann lediglich eine Vorfrage zur Aufrechnung und somit von der Entscheidungsbefugnis der Finanzgerichtsbarkeit gemäß § 17 Abs. 2 GVG umfasst (BFH, Urteil vom 1.8.2017, VII R 12/16, BFH/NV 2018, 263, BStBl II 2018, 737, Rz. 16; s. auch BFH, Urteil vom 24.5.2023, XI R 45/20, BFH/NV 2023, 1375).
Link zur Entscheidung
BFH, Beschluss vom 26.9.2023 – V B 23/22 (AdV)