Dipl.-Finanzwirt Werner Becker
Leitsatz
Soweit ein Steuerfall noch nicht abschließend geprüft ist, können Steuern nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf.
Sachverhalt
Die zusammenveranlagten Kläger strebten im Jahr 1998 die Gründung einer Bank an. Streitig ist die steuerliche Behandlung von Einnahmen und Ausgaben u. a. für das Kalenderjahr 2001.
Im Einkommensteuerbescheid 2001 vom 29.8.2002, der nach § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) erging, wich das Finanzamt in mehreren Punkten von den Erklärungsangaben ab. Den zunächst erhobenen Einspruch nahmen die Kläger im Jahr 2003 wieder zurück. In der Folge kam es zu einem umfangreichen Schriftverkehr zwischen dem Finanzamt und den Klägern, der am 15.12.2006 in der Änderung des Einkommensteuerbescheids 2001 zuungunsten der Kläger mündete.
Im (erneuten) Einspruchsverfahren vertraten die Kläger ohne Erfolg die Auffassung, dass das Finanzamt nicht berechtigt gewesen sei, den Steuerbescheid am 29.8.1982 unter VdN zu erlassen und dass die Änderung des Bescheids nach mehr als 4 Jahren gegen Treu und Glauben verstoße.
Entscheidung
Das FG hat entschieden, dass das Finanzamt die Steuerfestsetzung 2001 am 15.12.2006 noch ändern durfte, denn nach § 164 Abs. 2 Satz 1 AO kann eine unter VdN erfolgte Steuerfestsetzung solange geändert werden, wie der Vorbehalt wirksam ist.
Nachdem die Kläger ihren (erstmaligen) Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid 2001 vom 29.8.2002 zurückgenommen hatten, habe das Finanzamt den VdN weder aufgehoben noch habe es Anlass dazu gehabt. Selbst nach Durchführung eines Einspruchsverfahrens dürfe das Finanzamt den VdN aufrechterhalten, denn nach § 164 Abs. 1 Satz 1 AO könnten Steuern unter VdN festgesetzt werden, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft sei. Eine abschließende Klärung des Sachverhalts sei aufgrund des sich ständig wechselnden Vortrags der Kläger letztlich erst im Klageverfahren erfolgt.
Hinweis
Der behördlich angeordnete VdN ist eine Nebenbestimmung i. S. des § 120 AO zum Verwaltungsakt. Sie bewirkt, dass der Bescheid bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist (vgl. § 164 Abs. 4 AO) umfassend offen ist für tatsächliche und rechtliche Korrekturen sowohl zugunsten als auch zuungunsten des Steuerpflichtigen. Da der VdN regelmäßig die Entstehung eines für die Bindung von Treu und Glauben notwendigen Vertrauensschutzes verhindert, kann sich - abgesehen von den Fällen des § 176 AO - auch kein Vertrauensschutz gegen die Aufhebung bzw. Änderung nach § 164 Abs. 2 AO ergeben.
Link zur Entscheidung
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 23.04.2010, 9 K 212/07