Leitsatz
Bei zusammen veranlagten Ehegatten, die Gesamtschuldner rückständiger Steuern sind, kann auch der Ehegatte, der Gesamtrechtsnachfolger seines verstorbenen Ehepartners ist, eine Aufteilung der Steuern nach den §§ 268 ff. AO beantragen.
Normenkette
§ 44 Abs. 1 S. 1, § 45 Abs. 1 S. 1, § 45 Abs. 2 S. 1, § 268 AO, § 26b EStG, § 14 VStG, § 1967 Abs. 1, § 1975, § 1990 Abs. 1 S. 1 BGB, § 26 Abs. 1 InsO, Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 GG
Sachverhalt
Die Klägerin wurde mit ihrem im Dezember 2001 verstorbenen Ehemann zusammen zur ESt 1986 bis 1999 und zur VSt 1986 bis 1990 veranlagt. Die Klägerin ist Gesamtrechtsnachfolgerin ihres Ehemanns. Nachdem die festgesetzten Steuerbeträge nicht in vollem Umfang gezahlt worden waren, leitete das FA Vollstreckungsmaßnahmen ein. Daraufhin beantragte die Klägerin die Aufteilung der Steuerrückstände gem. den §§ 268 ff. AO. Das FA lehnte den Antrag ab.
Das FG verpflichtete das FA, die rückständigen Schulden (ESt 1986 bis 1999 und VSt 1986 bis 1990) aufzuteilen (Haufe-Index 1205465, EFG 2004, 1813).
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung. Die Klägerin als Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemanns könne auch nach dessen Tod eine Aufteilung der Steuern nach den §§ 268 ff. AO beantragen. Eine Aufteilung der Steuerschulden sei auch nach dem Tod des Ehepartners möglich und verfassungsrechtlich geboten. Dass ein Aufteilungsbedürfnis bestehe, zeige auch die Entwicklung im Streitfall. Denn das Amtsgericht X habe im Jahr 2007 den Antrag der Klägerin auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass ihres Ehemanns mangels Masse abgewiesen.
Hinweis
1. Eheleute, die zusammen zur ESt oder zur VSt veranlagt worden sind (§ 26b EStG bzw. § 14 VStG) und deshalb gem. § 44 Abs. 1 S. 1 AO Gesamtschuldner sind, können auf Antrag im Vollstreckungsverfahren so gestellt werden, als seien sie Einzelschuldner. Nach § 268 AO kann jeder der Ehegatten beantragen, dass die Vollstreckung wegen der genannten Steuern jeweils auf den Betrag beschränkt wird, der sich nach Maßgabe der §§ 269 bis 278 AO bei einer Aufteilung der Steuern ergibt. Auf diese Weise soll der einzelne zusammen veranlagte Ehegatte im Fall der Vollstreckung nicht schlechter gestellt werden als ein nicht zusammen veranlagter und deshalb im Vollstreckungsverfahren als Einzelschuldner zu behandelnder Steuerpflichtiger.
2. Die Vorschrift des § 268 AO folgt aus dem verfassungsrechtlichen Verbot der Benachteiligung von Ehegatten. Der Gesetzgeber darf zwar grundsätzlich von der Gesamthaftung der zusammen veranlagten Ehegatten ausgehen. Dem Ehegatten muss jedoch das Recht gegeben werden, durch Antrag die Aufteilung der rückständigen Schuld herbeizuführen, wenn gegen ihn Zwangsvollstreckungsmaßnahmen eingeleitet werden. Denn die Ehegatten dürfen nicht in einer Art. 6 Abs. 1 GG widersprechenden Weise dadurch benachteiligt werden, dass jeder für die Schulden des andern aufkommen muss.
3. Mit dem Besprechungsurteil hat der BFH entschieden, dass in erweiternder Auslegung des § 268 AO eine Aufteilung rückständiger Schulden auch dann zulässig und auf Antrag auch geboten ist, wenn bei Bestehen einer Gesamtschuld von zusammen zur ESt oder VSt veranlagten Ehegatten ein Ehepartner verstirbt und der überlebende Ehegatte dessen Gesamtrechtsnachfolger wird. Nach § 268 AO steht jedem zusammen veranlagten Ehegatten in eigener Person ein Antragsrecht zu. Dieses Antragsrecht geht nicht durch den Tod des anderen Ehegatten, den der überlebende Ehegatte als Gesamtrechtsnachfolger beerbt hat, verloren.
4. Diese Auslegung und Anwendung von § 268 AO ist auch verfassungsrechtlich geboten. Aus dem Verbot der Benachteiligung von Ehegatten (Art. 6 Abs. 1 GG) folgt auch, dass Ehegatten gegenüber nicht verheirateten Steuerpflichtigen nicht benachteiligt werden dürfen. Waren Erblasser und Gesamtrechtsnachfolger nicht miteinander verheiratet, so steht (anders als bei zusammen veranlagten Ehegatten) bereits ohne Aufteilung fest, welche Steuerschulden zum Nachlass gehören. Damit ist bereits eine wesentliche Vorfrage einer möglichen Haftungsbeschränkung auf den Nachlass geklärt. Eine gleichwertige Rechtsposition muss auch der überlebende Ehegatte herbeiführen können, indem er noch nach dem Tod seines Ehegatten einen Antrag nach § 268 AO stellt. Es ist auch gleichheitsrechtlich nicht zu begründen, warum ein unmittelbar vor dem Tod eines zusammen veranlagten Ehegatten gestellter Antrag nach § 268 AO im Vollstreckungsverfahren zu einer anderen Rechtsposition führen sollte als ein erst nach dem Tod des Ehepartners von dem überlebenden Ehegatten gestellter Aufteilungsantrag.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 17.01.2008, VI R 45/04