Leitsatz
Vorab entstandene Werbungskosten können auch bei einem im Anschluss an das Abitur durchgeführten Hochschulstudium anzuerkennen sein.
Normenkette
§ 9 Abs. 1 Satz 1 EStG
Sachverhalt
Der im Jahr 1982 geborene Kläger begann nach Abitur und Zivildienst im Oktober 2003 ein Studium der Wirtschaftswissenschaften. Das FA lehnte den Abzug der Fahrtkosten und weiterer Aufwendungen für das Studium als Werbungskosten ab.
Im Einklang mit der neueren Rechtsprechung des BFH gab das FG der Klage statt.
Entscheidung
Der BFH bestätigte die Vorentscheidung und wies die Revision des FA als unbegründet zurück. Es liege ein hinreichender beruflicher Veranlassungszusammenhang zwischen dem Hochschulstudium und der künftigen Berufstätigkeit vor. Es komme insoweit nicht darauf an, dass das Studium bzw. der Studiengang bereits auf eine ganz bestimmte berufliche Tätigkeit zugeschnitten sei. Der notwendige Veranlassungszusammenhang fehle nur dann, wenn "gleichsam ins Blaue hinein" studiert werde oder ansonsten private Gründe für die Aufnahme des Studiums nicht ausgeschlossen werden könnten (BFH, Urteil vom 26.1.2005, VI R 71/03, BFH-PR 2005, 250 – zur tatrichterlichen Würdigung; Beschluss vom 19.2.2005, VI B 33/04, BFH-PR 2005, 251 – zum Seniorenstudium).
Hinweis
1. Nach der neueren Rechtsprechung des BFH (statt aller: Urteil vom 22.7.2003, VI R 50/02, BFH-PR 2003, 417, zum Universitätsstudium im Anschluss an ein Fachhochschulstudium) können Aufwendungen für eine Bildungsmaßnahme zu Erwerbsaufwendungen führen. Der BFH stellt nur noch darauf ab, ob bei Bildungsmaßnahmen die Voraussetzungen von Werbungskosten (ggf. Betriebsausgaben) vorliegen. Er geht dabei davon aus, dass das Verschaffen von Berufswissen nichts mit der privaten Lebensführung i.S.d. § 12 EStG zu tun hat.
Es ist für den Abzug von Erwerbsaufwendungen auch ohne Bedeutung, ob eine Bildungsmaßnahme eine neue Basis für andere Berufsfelder schafft, einen Berufswechsel vorbereitet oder eine Bildungsmaßnahme der erstmaligen Berufsausbildung dient. Steht eine Bildungsmaßnahme im Zusammenhang mit zu erwartenden späteren Einnahmen, so können die Aufwendungen als vorab entstandene (bzw. vorab veranlasste) Erwerbsaufwendungen abgezogen werden. Der erforderliche Veranlassungszusammenhang kann bei jeder beruflichen Bildungsmaßnahme erfüllt sein. Sind die getätigten Aufwendungen erfolglos, kommt ein Abzug als vergebliche, vorab entstandene Erwerbsaufwendungen in Betracht.
2. Bisher hatte der BFH noch nicht ausdrücklich entschieden, ob auch die Aufwendungen für ein – im Anschluss an das Abitur durchgeführtes – Hochschulstudium zum Werbungskostenabzug führen können. Es war nur konsequent und konnte nicht überraschen, dass der VI. Senat die o.a. gleichen Rechtsgrundsätze auch hier anwandte und diese Frage bejahte.
Der Umstand allein, dass bei Aufnahme des Studiums regelmäßig noch nicht feststeht, in welcher Einkunftsart sich das Studium auswirken wird, steht einem Steuer mindernden Abzug nicht entgegen. Es besteht auch kein Grund, zwischen einer akademischen und einer nicht akademischen Bildungsmaßnahme zu unterscheiden. Denn in beiden Fällen werden die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass der Steuerpflichtige das erworbene Berufswissen am Markt einsetzen kann, um Einnahmen zu erzielen.
3. Beachten Sie, dass sich die Rechtslage ab dem VZ 2004 geändert hat. Nach § 12 Nr. 5 EStG sollen Aufwendungen für ein Erststudium außerhalb eines Dienstverhältnisses nicht mehr als Werbungskosten abgezogen werden können; diese Aufwendungen sollen pro Kalenderjahr nur noch bis zu 4.000 € als Sonderausgaben zum Abzug zugelassen werden (§ 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG). Der Gesetzgeber weist also die bezeichneten Aufwendungen typisierend der privaten Lebensführung zu.
Diese Neuregelung wird in der Literatur als – zumindest teilweise – verfassungswidrig eingestuft. Soweit eine berufliche Bildungsmaßnahme vorliegt, dürfte die Neuregelung einen sachlich nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das objektive Nettoprinzip darstellen. Ob eine Verfassungswidrigkeit auch in Fällen des Erststudiums unmittelbar nach dem Abitur vorliegt, dürfte wegen der bestehenden Kindergeldregelungen zweifelhafter sein.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 20.7.2006, VI R 26/05