Leitsatz
1. Der Ausfall einer zum Nachlass gehörenden Forderung auf Grund von Umständen, die erst nach dem Todestag des Erblassers eingetreten sind, stellt erbschaftsteuerrechtlich kein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 dar.
2. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer nur dann anwendbar, wenn der Gesetzgeber – wie in den Fällen des § 29 Abs. 1 ErbStG – vorsieht, dass einem nach der Entstehung der Steuer eintretenden Ereignis Wirkung für die Vergangenheit zukommt.
Normenkette
§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO , § 11 ErbStG
Sachverhalt
Im Nachlass des Erblassers befand sich eine Kaufpreisforderung gegen einen Dritten. Die Forderung ging in die Bemessungsgrundlage für die gegen die Erben festgesetzte Erbschaftsteuer ein. Nach Durchführung der Erbschaftsteuerveranlagung fiel die Kaufpreisforderung aus, weil der Dritte aus Gründen, die erst nach dem Tod des Erblassers eintraten, in Vermögensverfall geriet. Daraufhin beantragten die Erben jeweils eine Änderung der gegen sie gerichteten Erbschaftsteuerbescheide wegen eines rückwirkenden Ereignisses gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977.
Entscheidung
Der BFH verneinte das Vorliegen eines rückwirkenden Ereignisses. Beim Erwerb von Todes wegen entsteht die Erbschaftsteuer mit dem Tod des Erblassers, § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Dieser Zeitpunkt ist gemäß § 11 ErbStG zugleich für die Wertermittlung maßgeblich. Das schließt es aus, nachträglich eingetretene, d.h. am Bewertungsstichtag noch nicht vorhandene Umstände auf diesen Zeitpunkt zurückzubeziehen.
Hinweis
Die Frage, ob ein bestimmtes Ereignis gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zurückwirkt, lässt sich nicht für alle Steuerarten gleich beantworten. Vielmehr ist die Frage des Zurückwirkens für jede Steuerart gesondert nach deren Sachgesetzlichkeit zu beurteilen. Für die Erbschaftsteuer ist dabei auf das Stichtagsprinzip abzustellen. Infolgedessen kommt es nicht darauf an, wie der Forderungsausfall unter dem Gesichtspunkt des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ertragsteuerrechtlich zu behandeln wäre.
Wichtig ist aber, für Zwecke der Erbschaftsteuer genau zu prüfen, wann die Umstände eingetreten sind, die zu dem Forderungsausfall geführt haben. Sollten sie bereits zu Lebzeiten des Erblassers vorgelegen haben, könnten sie gemäß § 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 1 BewG (bei Forderungen im Privatvermögen) oder gemäß § 12 Abs. 5 ErbStG i.V.m. den §§ 95, 109 Abs. 1 und 2 BewG (bei betrieblichen Forderungen) bewirkt haben, dass der Forderung bereits beim Tod des Erblassers ein niedrigerer Wert zukam. Sollte dies der Fall gewesen und die Umstände erst nachträglich bekannt geworden sein, käme eine Änderung gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 in Betracht. Bei betrieblichen Forderungen wäre allerdings die Bindung an die Bilanzansätze oder ertragsteuerrechtlichen Werte gemäß § 109 Abs. 1 und 2 BewG zu beachten.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 18.10.2000, II R 46/98