Leitsatz
1. § 42 AO wird durch die spezielle Vorschrift zur Vermeidung von Missbräuchen in § 50d Abs. 1a EStG 1990 i.d.F. des StMBG abschließend verdrängt (Anschluss an und Abgrenzung zum Senatsurteil vom 29.10.1997, I R 35/96, BStBl II 1998, 235).
2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen dafür, die Erstattung von KapESt nach § 50d Abs. 1a EStG 1990 i.d.F. des StMBG zu versagen, müssen kumulativ vorliegen (Bestätigung des Senatsurteils vom 31.05.2005, I R 74, 88/04, BStBl II 2006, 118, BFH/PR 2005, 407; Abweichung vom BMF-Schreiben vom 30.01.2006, BStBl I 2006, 166).
3. Werden im Inland erzielte Einnahmen zur Vermeidung inländischer Steuern durch eine ausländische Basisgesellschaft in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft "durchgeleitet", so kann ein Gestaltungsmissbrauch vorliegen, der es rechtfertigt, eine Erstattung von KapESt gem. § 50d Abs. 1a EStG 1990 i.d.F. des StMBG zu versagen, wenn es sich um eine rein künstliche Gestaltung handelt. Davon ist auszugehen, wenn die ausländische Gesellschaft weder über Büroräume oder Personal noch über Kommunikationsmittel verfügt und es an objektiven, von dritter Seite nachprüfbaren Anhaltspunkten fehlt, die Rückschlüsse auf ein "greifbares Vorhandensein" der ausländischen Gesellschaft und für eine "wirkliche" eigenwirtschaftliche Tätigkeit zulassen, und wenn – wie allerdings regelmäßig bei Kapitalanlage- und Finanzierungsfunktionen – auch keine Umstände ersichtlich sind, welche vorhandene Substanzdefizite im konkreten Einzelfall ersetzen können.
Normenkette
§ 50d Abs. 1a EStG 1990 i.d.F. des StMBG, § 42 AO
Sachverhalt
Im Urteilsfall ging es um eine luxemburgische Aktiengesellschaft in der Rechtsform der SOPARFI, die als "Mantel" durch ein luxemburgisches Treuhandunternehmen für eine auf den Britischen Jungferninseln ansässige "Briefkasten"-Ltd. und auf Veranlassung einer in der Schweiz ansässigen Person gegründet worden war. "Eigentlicher" Gesellschafter und auch Verwaltungsratsmitglied der SOPARFI war ein Gesellschafter des luxemburgischen Treuhandunternehmens, unter dessen Anschrift die SOPARFI auch residierte.
Die SOPARFI hielt Anteile an Kapitalgesellschaften in Deutschland, in der Schweiz, in der Dominikanischen Republik, in Rumänien und in Ungarn. Eine der deutschen Tochtergesellschaften schüttete in den Jahren 1994 bis 1996 an die SOPARFI Dividenden i.H.v. 13,6 Mio. DM aus. Die SOPARFI beantragte, ihr in Einklang mit der Mutter/Tochter-RL der EG die auf diesen Dividenden lastende KapESt zu erstatten, was das (damalige) Bundesamt für Finanzen (und jetzige Bundeszentralamt für Steuern) ablehnte, dem das angerufene FG aber entsprach (Haufe-Index 1512098, EFG 2006, 896).
Entscheidung
Der BFH sah es hingegen als erforderlich an, die wirtschaftliche Existenz der SOPARFI und die Aktivitäten ihrer "Hintermänner" noch weiter aufzuklären.
Hinweis
Mit diesem Urteil I R 26/06 hat der BFH die Ausnutzung von Steuervorteilen durch zwischengeschaltete, aber funktionslose ausländische Kapitalgesellschaften einer differenzierten Betrachtung unterworfen und an das vom EuGH vorgegebene Anforderungsprofil angepasst:
1. Aus der EG-Mutter/Tochter-RL ergeben sich für verbundene Unternehmen innerhalb der EG bestimmte Steuerentlastungen, die aber nur in einem EG-Mitgliedstaat ansässigen Kapitalgesellschaften zugute kommen.
Um auch dann in den Vorteil dieser Steuerentlastungen zu gelangen, wenn sie einer Gesellschaft mangels Ansässigkeit eigentlich nicht zustehen, entspricht es einer weit verbreiteten Praxis, in den Mitgliedstaaten "Briefkasten"-Gesellschaften zu gründen und "zwischenzuschalten". Man spricht von Treaty shopping. Da solche Gestaltungen oftmals missbräuchlich sind, schließen einzelne Regelungen des deutschen Steuerrechts die Inanspruchnahme der besagten Steuerentlastungen aus (§ 42 AO, § 50d Abs. 3 EStG).
2. Eine jener Vermeidungsregeln stellt § 50d Abs. 3 EStG dar. Liegen seine tatbestandlichen Voraussetzungen vor, wird einer zwischengeschalteten EG-Auslands-Kapitalgesellschaft die Erstattung einbehaltener KapESt versagt. Die Vorschrift ist in ihren Voraussetzungen erst kürzlich zum 01.01.2007 beträchtlich (und in gemeinschaftsrechtlich höchst bedenklicher Weise) verschärft worden.
3. Im Urteilsfall ging es noch um die "alte" Fassung von § 50d Abs. 3 EStG (die zuvor als Abs. 1a firmierte).
Danach ist einer ausländischen Gesellschaft der Anspruch auf Befreiung von der KapESt oder auf deren Ermäßigung nach § 44d EStG oder nach einem DBA zu versagen, soweit an ihr Personen beteiligt sind, denen die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und – erstens – für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen sowie – zweitens – sie keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet. Die beiden letzteren Erfordernisse müssen aus Sicht des BFH kumulativ vorliegen, um die Steuerentlastung auszuschließen. Das hatte der BFH schon zuvor zum Ausdruck gebracht (Urteil vom 31.05.2005, I R 74, 88/04, BFH/PR 2005, 4...