Aus sittlichen Gründen ist Zwangsläufigkeit nicht bereits dann gegeben, wenn sich der Steuerpflichtige subjektiv zu den Aufwendungen verpflichtet fühlt. Nicht alle Aufwendungen, die ein Steuerpflichtiger aus einer anständigen und sittlich anerkennenswerten Gesinnung macht, erwachsen zwangsläufig. Vielmehr muss die Sittenordnung (objektiv) die Aufwendungen verlangen und der Steuerpflichtige im Fall seiner Untätigkeit mit Sanktionen im gesellschaftlichen Bereich rechnen müssen.
Nach der Rechtsprechung wird vorausgesetzt, dass sich die sittliche Verpflichtung zu einem "Sich-nicht-entziehen-Können" verdichtet. Hierzu ist erforderlich, dass die sittliche Pflicht vergleichbar einer rechtlichen Verpflichtung die Aufwendungen unabdingbar gebietet. Die Unterlassung der Aufwendungen müsste Nachteile im sittlich-moralischen Bereich oder auf gesellschaftlicher Ebene zur Folge haben.
Bei der Entscheidung dieser Frage sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die persönlichen Beziehungen zwischen den Beteiligten, ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse, die jeweilige konkrete Lebenssituation und bei der Übernahme einer Schuld auch der Inhalt des Schuldverhältnisses zu berücksichtigen. Von besonderer Relevanz ist die Frage nach dem Bestehen einer sittlichen Verpflichtung insbesondere bei Familienangehörigen, zwischen denen keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht.
In solchen Fällen, z. B. bei Leistungen an Geschwister, setzt die Annahme einer sittlichen Verpflichtung eine ganz besonders akute Notlage voraus. Das Verwandtschaftsverhältnis allein reicht im Allgemeinen nicht aus für die Begründung der einer Rechtspflicht vergleichbaren sittlichen Verpflichtung. Dementsprechend hat der BFH Nachzahlungen zur Rentenversicherung eines Elternteils nicht als aus sittlichen Gründen zwangsläufig angesehen, wenn die Rentenansprüche des Elternteils bereits ohne die Nachzahlung so hoch sind, dass ein Lebensunterhalt sowohl gegenwärtig als auch voraussichtlich in Zukunft sichergestellt ist.
Im Verhältnis zu Nichtangehörigen setzt die Annahme einer sittlichen Verpflichtung, z. B. zur Leistung von Unterhalt, ein besonderes Pflichtverhältnis voraus. Unterhaltsleistungen an nicht gesetzlich Unterhaltsberechtigte sind allerdings kraft ausdrücklicher gesetzlicher Regelung – auch bei Bestehen einer sittlichen Verpflichtung – vom Abzug als außergewöhnliche Belastung ausgeschlossen. Andere (nicht zu den nicht abziehbaren laufenden Unterhaltsaufwendungen wie Kleidung, Wohnung, Hausrat gehörende) außergewöhnliche Aufwendungen können dagegen bei sittlicher Verpflichtung anerkannt werden. Das kann bei Krankheitskosten (Operation) oder Pflegeaufwendungen der Fall sein.
Der gesetzlich unterhaltsberechtigten Person gleichgestellt wird eine Person, wenn bei ihr zum Unterhalt bestimmte öffentliche Mittel wegen der Unterhaltsleistungen des Steuerpflichtigen gekürzt werden. Das betrifft insbesondere eheähnliche Lebensgemeinschaften, wenn die Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe im Hinblick auf das Zusammenleben gekürzt wird. Eine vergleichbare Zwangslage kann bestehen, wenn ohne die Unterhaltsleistung die Lebensgemeinschaft nicht fortgeführt werden könnte. Eine Kürzung der Sozialhilfe wegen freiwilliger Zahlungen eines Dritten, ohne dass eine Haushaltsgemeinschaft besteht, wird von der Vorschrift aber nicht erfasst. Der BFH hat daher "freiwillige" Unterhaltsleistungen unter nicht in Haushaltsgemeinschaft lebenden Geschwistern nicht zum Abzug zugelassen.
Zwangsläufigkeit beim Pflegepauschbetrag
Im Rahmen des Pflegepauschbetrags ist die Zwangsläufigkeit nach weniger strengen Kriterien als nach § 33 Abs. 2 EStG zu beurteilen. Eine sittliche Verpflichtung zur Pflege ist hier bereits dann anzuerkennen, wenn eine enge persönliche Beziehung zu der gepflegten Person besteht. Das kann z. B. bei einem Nachbarschaftsverhältnis der Fall sein.
Im Rahmen des § 33 EStG werden dagegen sehr hohe Anforderungen an den Nachweis der Außergewöhnlichkeit und Zwangsläufigkeit der Pflegeleistungen gestellt.