Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderung an Rechtsmittelbelehrung
Orientierungssatz
1. Eine nur teilweise fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung, durch die eine Partei beschwert ist, macht eine Rechtsmittelbelehrung in ganzen unwirksam und läßt die Rechtsmittelfrist nicht zu laufen beginnen.
2. Legt eine Partei zunächst selbst Berufung ein, wobei sie den in der Rechtsmittelbelehrung enthaltenen Hinweis auf den vor dem Landesarbeitsgericht bestehenden Vertretungszwang übersehen hat, so ist sie durch den angegriffenen Teil der Rechtsmittelbelehrung nicht beschwert, so daß selbst bei teilweiser Fehlerhaftigkeit der Rechtsmittelbelehrung die Rechtsmittelfrist zu laufen begann.
Normenkette
ArbGG § 9 Fassung: 1979-07-02
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Entscheidung vom 12.12.1985; Aktenzeichen 10 Sa 63/85) |
ArbG Lüneburg (Entscheidung vom 16.04.1985; Aktenzeichen 2 Ca 1525/84) |
Gründe
I. Durch Urteil vom 16. April 1985 verurteilte das Arbeitsgericht Lüneburg die Beklagte zur Zahlung eines Betrages von mehr als DM 200,-- und stellte darüber hinaus fest, daß die Beklagte verpflichtet sei, an den Kläger bis zu einer gesetzlichen oder dienstordnungsgemäßen Neuregelung den Arbeitgeberzuschuß in Höhe des hälftigen Krankenkassenbeitrages zu zahlen. Die Kosten des Rechtsstreits wurden der Beklagten bei einem Streitwert von mehr als DM 6.000,-- auferlegt.
Die Rechtsmittelbelehrung lautet wie folgt:
"Rechtsmittelbelehrung
-----------------------
Gegen dieses Urteil kann Berufung eingelegt werden,
1) wenn es sich um eine nichtvermögensrechtliche
Streitigkeit handelt,
o d e r
2) wenn es sich um eine vermögensrechtliche Streitig-
keit handelt u n d in diesem Fall
e n t w e d e r der Wert des Beschwerdegegen-
standes 800,-- DM übersteigt
o d e r das Arbeitsgericht die Berufung zuge-
lassen hat.
Soweit die Voraussetzungen zu 1) oder 2) nicht vorlie-
gen, ist gegen das Urteil ein Rechtsmittel nicht ge-
geben.
Die Berufungsschrift muß von einem bei einem deutschen
Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein;
an seine Stelle können Vertreter der Gewerkschaften oder
von Vereinigungen von Arbeitgebern oder von Zusammen-
schlüssen solcher Verbände treten, wenn sie kraft Sat-
zung oder Vollmacht zur Vertretung befugt sind und der
Zusammenschluß, der Verband oder deren Mitglieder Partei
sind.
Die Berufungsschrift muß binnen einer Notfrist von
einem Monat nach Zustellung des Urteils bei dem
Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Siemensstraße 10,
3000 Hannover 1, eingegangen sein. Die Berufungs-
schrift muß das Urteil bezeichnen, gegen das die Be-
rufung gerichtet wird, und die Erklärung enthalten,
daß gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
Ihr soll ferner eine Ausfertigung oder beglaubigte
Abschrfit des angefochtenen Urteils beigefügt werden.
Die Berufung ist gleichzeitig oder innerhalb eines
weiteren Monats nach Eingang der Berufung bei Gericht
in gleicher Form zu begründen. Dabei ist bei nicht zu-
gelassener Berufung in vermögensrechtlichen Streitig-
keiten der Wert des Beschwerdegegenstandes glaubhaft
zu machen; die Versicherung an Eides Statt ist inso-
weit nicht zulässig.
Die für die Zustellung an die Gegenseite erforder-
liche Zahl von beglaubigten Abschriften soll mit
der Berufungs- bzw. Begründungsschrift eingereicht
werden."
Gegen dieses ihr am 26. April 1985 zugestellte Urteil legte die Beklagte mit dem am 21. Mai 1985 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen eigenen Schriftsatz vom 20. Mai 1985 Berufung ein. Vom Vorsitzenden wurde die Beklagte mit Verfügung vom 21. Mai 1985 auf die wegen Nichtbeachtung der Vertretungsvorschrift des § 11 ArbGG gegebene Unzulässigkeit der Berufung hingewiesen.
Mit Schriftsatz ihrer jetzigen Prozeßbevollmächtigten vom 7. Juni 1985, beim Landesarbeitsgericht eingegangen am 11. Juni 1985, legte die Beklagte erneut Berufung ein und begründete diese Berufung zugleich.
Die Beklagte meint, die Berufung sei mit diesem Schriftsatz fristgerecht eingelegt worden. Die einmonatige Berufungsfrist des § 66 ArbGG sei durch die Zustellung des Urteils am 26. April 1985 gemäß § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG nicht in Lauf gesetzt worden. Die erteilte Rechtsmittelbelehrung habe die Beklagte entgegen § 9 Abs. 5 Sätze 1 und 3 ArbGG nicht konkret über das hier gegebene Rechtsmittel belehrt, sondern nur abstrakte Ausführungen über die Gesetzeslage enthalten. Die erteilte Rechtsmittelbelehrung fordere von der Partei gesetzwidrig eine Subsumierung dahingehend, ob der Beschwerdewert von mehr als DM 800,-- erreicht sei. Noch schwieriger sei die Frage zu entscheiden, ob ein Rechtsstreit vermögensrechtlicher Art sei.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Mit der zugelassenen Revisionsbeschwerde wendet sich die Beklagte gegen diese Entscheidung.
II. Die Revisionsbeschwerde ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt wurde und am 28. Mai 1985 abgelaufen war, so daß die Berufung der Beklagten vom 20. Mai 1985 wegen Nichtbeachtung der Vertretungsvorschrift des § 11 ArbGG und die am 7. Juni 1985 vom Prozeßbevollmächtigten der Beklagten eingelegte Berufung wegen Überschreitung der Berufungsfrist (§ 519 b Abs. 1 ZPO) unzulässig ist.
Die Revisionsbeschwerde meint zu Unrecht, die Rechtsmittelfrist habe im vorliegenden Fall gemäß § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG deswegen nicht begonnen, weil sie insoweit fehlerhaft gewesen sei, als dort ausgeführt werde, daß Berufung eingelegt werden könne
"1.
wenn es sich um eine nichtvermögensrechtliche
Streitigkeit handele,
oder
2.
wenn es sich um eine vermögensrechtliche Strei-
tigkeit handele u n d in diesem Fall
e n t w e d e r der Wert des Beschwerdegegen-
standes DM 800,-- übersteige,
o d e r
das Arbeitsgericht die Berufung zugelassen habe."
Es kann dahingestellt bleiben, ob dieser von der Revisionsbeschwerde angegriffene Teil der Rechtsmittelbelehrung fehlerhaft ist oder nicht. Denn eine nur teilweise fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung, durch die eine Partei beschwert ist, macht eine Rechtsmittelbelehrung im ganzen unwirksam und läßt die Rechtsmittelfrist nicht zu laufen beginnen (BAG Beschlüsse vom 14. November 1975 - 3 AZR 609/75 - AP Nr. 16 zu § 9 ArbGG 1953 und vom 29. April 1983 - 7 AZR 148/81 - AP Nr. 2 zu § 9 ArbGG 1979). Durch den angeführten Teil der Rechtsmittelbelehrung ist die Beklagte jedoch nicht beschwert. Sie hat zunächst selbst Berufung eingelegt, dabei jedoch den in der Rechtsmittelbelehrung enthaltenen Hinweis auf den vor dem Landesarbeitsgericht bestehenden Vertretungszwang übersehen. Auch der Prozeßbevollmächtigte der Beklagten hat nicht vorgetragen, die Berufung vom 7. Juni 1985 sei deshalb so spät erfolgt, weil er den bemängelten Teil der Rechtsmittelbelehrung nicht verstanden habe. Somit hat der angegriffene Teil der Rechtsmittelbelehrung die Beklagte nicht beschwert, so daß selbst bei teilweiser Fehlerhaftigkeit der Rechtsmittelbelehrung, die Rechtsmittelfrist zu laufen begann.
Dr. Röhsler Dr. Jobs Schneider
Fundstellen