Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenvertretung. Konzern
Leitsatz (amtlich)
Die Zuständigkeit der einzigen im Konzern bestehenden Schwerbehindertenvertretung erstreckt sich nicht auf die Wahrnehmung der Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung.
Orientierungssatz
Nach § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB IX wählen die Gesamtschwerbehindertenvertretungen eine Konzernschwerbehindertenvertretung, wenn für mehrere Unternehmen ein Konzernbetriebsrat errichtet ist. Besteht in einem Konzernunternehmen nur eine Schwerbehindertenvertretung, hat sie nach § 97 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB IX das Wahlrecht wie eine Gesamtschwerbehindertenvertretung. Gibt es nur in einem Konzernunternehmen eine wahlberechtigte (Gesamt-)Schwerbehindertenvertretung, kann eine Konzernschwerbehindertenvertretung nicht gewählt werden. Die Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung werden nicht von der einzigen im Konzern bestehenden (Gesamt-)Schwerbehindertenvertretung wahrgenommen.
Normenkette
SGB IX §§ 93, 95 Abs. 1 S. 1, § 97 Abs. 1-2, 6 S. 1, § 97 S. 2; SchwbVWO § 22 Abs. 1-2; BetrVG §§ 32, 35, 59 Abs. 1, §§ 59a, 75, 80 Abs. 1 Nrn. 1-4; GG Art. 3 Abs. 1; GG Abs. 3 S. 2; UN-Behinderten-rechtskonvention Art. 2 Unterabs. 4, Art. 4 Abs. 1 S. 2 Buchst. e, Art. 27 Abs. 1 S. 2 Buchst.i; Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf Art. 5; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1; ArbGG § 83 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 7. Februar 2013 – 7 TaBV 10/12 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob der Antragsteller die Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung wahrnimmt.
Die Beteiligten zu 2. und zu 4. bis 11. sind konzernverbundene Unternehmen. Die Beteiligten zu 2. und zu 4. unterhalten in H einen gemeinsamen Betrieb, in dem ca. 860 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Der Beteiligte zu 12. ist der in diesem Gemeinschaftsbetrieb gebildete Betriebsrat. Die Beteiligten zu 13. bis 17. sind die in den Betrieben der Beteiligten zu 7. bis 11. errichteten Betriebsräte. Der Beteiligte zu 3. ist der Konzernbetriebsrat.
Der Antragsteller ist die in dem Gemeinschaftsbetrieb der Beteiligten zu 2. und zu 4. gewählte Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen. Weitere Schwerbehindertenvertretungen bestehen in den Betrieben der konzernangehörigen Unternehmen nicht.
Der Antragsteller hat die Auffassung vertreten, als einzige im Konzern bestehende Schwerbehindertenvertretung zugleich für die Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung zuständig zu sein. Die Bildung einer Konzernschwerbehindertenvertretung sei bei Bestehen eines Konzernbetriebsrats obligatorisch. Bestehe nur in einem Konzernunternehmen eine Gesamtschwerbehindertenvertretung oder eine Schwerbehindertenvertretung, nehme diese die Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung wahr. Dies ergebe eine analoge Anwendung des § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Die Differenzierung zwischen vertretenen und vertretungslosen Schwerbehinderten innerhalb eines Konzerns sei mit Art. 3 GG nicht vereinbar. Die Versagung einer umfassenden Repräsentation aller Schwerbehinderten eines Konzerns sei unter Berücksichtigung der völkerrechtlichen Verpflichtungen aus der UN-Behindertenrechtskonvention unzulässig.
Der Antragsteller hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass er als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen im Betrieb H zugleich die Aufgaben als Konzernschwerbehindertenvertreter wahrnimmt.
Die Beteiligte zu 2. hat beantragt, den Antrag abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat den erstinstanzlich gestellten Antrag, der Beteiligten zu 2. aufzugeben, den Antragsteller für die Tätigkeit als Konzernschwerbehindertenvertreter freizustellen, abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen, nachdem der Antragsteller im Beschwerdeverfahren seinen Antrag geändert hatte. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Antragsteller den zuletzt gestellten Antrag weiter. Die Beteiligte zu 2. beantragt, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag zu Recht abgewiesen. Der Antrag ist zulässig, aber unbegründet.
I. Der Antrag ist zulässig. Er ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO und genügt den Anforderungen des § 256 Abs. 1 ZPO.
Der Antragsteller will festgestellt wissen, als für den gemeinsamen Betrieb der Beteiligten zu 2. und zu 4. gewählte Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen zugleich für die Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung zuständig zu sein. Zu der vom Antragsteller beanspruchten Zuständigkeit der Konzernschwerbehindertenvertretung gehört nach § 97 Abs. 6 Satz 1 Alt. 1 und Satz 2 SGB IX die Vertretung der Interessen der schwerbehinderten Menschen in Angelegenheiten, die den Konzern oder mehrere Konzernunternehmen betreffen und von den (Gesamt-)Schwerbehindertenvertretungen der einzelnen Konzernunternehmen nicht geregelt werden können. Sie umfasst nach § 97 Abs. 6 Satz 1 Alt. 2 und Satz 2 SGB IX auch die Vertretung der Interessen der schwerbehinderten Menschen in Konzernunternehmen, in denen es keine Schwerbehindertenvertretung gibt. Dabei nimmt die Konzernschwerbehindertenvertretung die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung und – falls das Unternehmen mehrere Betriebe führt – auch die Aufgaben der Gesamtschwerbehindertenvertretung wahr. Diese Befugnisse möchte der Antragsteller für sich in Anspruch nehmen. Der Umfang der geltend gemachten Zuständigkeit ist daher nicht zweifelhaft. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der alsbaldigen Feststellung dieses Rechtsverhältnisses durch richterliche Entscheidung besteht, da die Beteiligte zu 2. die Zuständigkeit des Antragstellers für die Wahrnehmung der Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung in Abrede stellt.
II. Einer Sachentscheidung steht nicht entgegen, dass die Beteiligten zu 3. bis 17. vom Landesarbeitsgericht nicht am Verfahren beteiligt wurden. Dies konnte in der Rechtsbeschwerdeinstanz nachgeholt werden.
1. Nach § 83 Abs. 3 ArbGG haben im Beschlussverfahren ua. die Stellen ein Recht auf Anhörung, die im Einzelfall beteiligt sind. Beteiligt ist jede Stelle, die durch die begehrte Entscheidung in ihrer Rechtsstellung unmittelbar betroffen ist. Das ist von Amts wegen noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz zu prüfen. Ist die Anhörung in den Tatsacheninstanzen unterblieben, stellt dies einen Verfahrensfehler dar. Einer darauf gestützten Zurückverweisung bedarf es nicht, wenn die Anhörung in der Rechtsbeschwerdeinstanz nachgeholt wird und der Beteiligte Gelegenheit erhält, sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern (BAG 15. Oktober 2014 – 7 ABR 71/12 – Rn. 21, BAGE 149, 277; 17. April 2012 – 1 ABR 84/10 – Rn. 15).
2. Nach der Antragsänderung in der Beschwerdeinstanz waren auch die Beteiligten zu 3. bis 17. anzuhören. Von der begehrten Sachentscheidung hängt es ab, ob die zu 4. bis 11. beteiligten Konzernunternehmen als Arbeitgeberinnen Beteiligungsrechte des Antragstellers in der Funktion als Konzernschwerbehindertenvertreter zu beachten haben (vgl. BAG 11. Februar 2015 – 7 ABR 98/12 – Rn. 20; 9. Februar 2011 – 7 ABR 11/10 – Rn. 14, BAGE 137, 123). Mit einer Sachentscheidung steht auch fest, ob dem Antragsteller ein Teilnahmerecht an den Sitzungen der zu 12. bis 17. beteiligten Betriebsräte und des zu 3. beteiligten Konzernbetriebsrats nach §§ 32, 59a BetrVG zusteht und ob er ggf. nach §§ 35, 59 Abs. 1 BetrVG die Aussetzung ihrer Beschlüsse verlangen kann. Damit sind die Rechtspositionen der Beteiligten zu 3. bis 17. unmittelbar von der begehrten Entscheidung betroffen. Der Senat hat ihnen deshalb Gelegenheit gegeben, sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu äußern.
III. Der Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Der Antragsteller ist als im gemeinsamen Betrieb der Beteiligten zu 2. und zu 4. gewählte Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen nicht zur Wahrnehmung der Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung zuständig. Eine solche Zuständigkeit ergibt sich nicht aus § 97 Abs. 2 SGB IX. Für eine analoge Anwendung des § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX besteht kein Raum.
1. Nach § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB IX wählen die Gesamtschwerbehindertenvertretungen eine Konzernschwerbehindertenvertretung, wenn für mehrere Unternehmen ein Konzernbetriebsrat errichtet ist. Besteht ein Konzernunternehmen nur aus einem Betrieb, für den eine Schwerbehindertenvertretung gewählt ist, hat sie nach § 97 Abs. 2 Satz 2 SGB IX das Wahlrecht wie eine Gesamtschwerbehindertenvertretung. Die Vorschrift sieht nicht vor, dass sich die Zuständigkeit der Gesamtschwerbehindertenvertretung bzw. der einzigen im Unternehmen bestehenden Schwerbehindertenvertretung auf die Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung erstreckt, wenn in keinem anderen Unternehmen des Konzerns eine Schwerbehindertenvertretung gewählt ist (vgl. etwa Hohmann in Wiegand SGB IX Stand September 2015 § 97 Rn. 34; Kossens in Kossens/von der Heide/Maaß SGB IX 4. Aufl. § 97 Rn. 6; aA Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 97 Rn. 49).
a) § 97 Abs. 2 SGB IX enthält für die Konzernschwerbehindertenvertretung keine § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX entsprechende Regelung zur Zuständigkeitserstreckung.
Nach § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX nimmt die in einem der Betriebe des Unternehmens gewählte Schwerbehindertenvertretung die Aufgaben der Gesamtschwerbehindertenvertretung wahr, wenn in keinem der anderen Betriebe des Unternehmens eine Schwerbehindertenvertretung gewählt ist. In dieser Funktion vertritt die einzige in dem Unternehmen gewählte Schwerbehindertenvertretung gemäß § 97 Abs. 6 Satz 1 SGB IX die Interessen der schwerbehinderten Menschen in Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe des Arbeitgebers betreffen und von den Schwerbehindertenvertretungen der einzelnen Betriebe nicht geregelt werden können, sowie die Interessen der schwerbehinderten Menschen in den Betrieben, in denen eine Schwerbehindertenvertretung nicht gewählt ist. Sie nimmt daher die Interessen aller schwerbehinderten Menschen des Unternehmens auf Betriebs- und Unternehmensebene wahr.
In § 97 Abs. 2 SGB IX fehlt eine § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX entsprechende Bestimmung für die Konzernschwerbehindertenvertretung. Es ist nicht angeordnet, dass eine Gesamtschwerbehindertenvertretung bzw. die einzige im Konzern bestehende Schwerbehindertenvertretung die Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung wahrnimmt, wenn in keinem anderen Konzernunternehmen eine Schwerbehindertenvertretung besteht. Danach erstreckt sich die Zuständigkeit der einzigen im Konzern bestehenden (Gesamt-)Schwerbehindertenvertretung nicht auf die Wahrnehmung der Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung.
b) Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass das Fehlen einer § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX entsprechenden Regelung in § 97 Abs. 2 SGB IX auf einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers beruht. Vielmehr ergibt sich aus der Gesetzessystematik und der Entstehungsgeschichte der Vorschrift, dass der Gesetzgeber die Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung nicht der einzigen im Konzern bestehenden (Gesamt-)Schwerbehindertenvertretung zuweisen wollte.
aa) Die Regelungen zur Gesamtschwerbehindertenvertretung und zur Konzernschwerbehindertenvertretung befinden sich in zwei aufeinander folgenden Absätzen derselben Norm. Bereits dies spricht gegen die Annahme, dass der Gesetzgeber zwar in Absatz 1 bestimmt hat, dass die Aufgaben der Gesamtschwerbehindertenvertretung von der Schwerbehindertenvertretung wahrgenommen werden, wenn in keinem anderen Betrieb des Unternehmens eine Schwerbehindertenvertretung gewählt ist, er jedoch übersehen hat, im folgenden Absatz derselben Norm anzuordnen, dass die einzige im Konzern bestehende (Gesamt-)Schwerbehindertenvertretung die Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung wahrzunehmen hat.
Zudem existierte die für die Gesamtschwerbehindertenvertretung geltende Regelung – damals als § 27 Abs. 1 Satz 2 SchwbG – bereits zu dem Zeitpunkt, als der Gesetzgeber die Bestimmung für die Konzernschwerbehindertenvertretung durch das Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter vom 29. September 2000 (BGBl. I S. 1394) mit Wirkung zum 1. Oktober 2000 als § 27 Abs. 1a SchwbG in das Gesetz einfügte. Mit Wirkung zum 1. Juli 2001 trat anstelle des SchwbG das SGB IX in Kraft (BGBl. I S. 1046). Dabei wurde die Regelung des § 27 Abs. 1 SchwbG in § 97 Abs. 1 SGB IX übernommen. Die Regelung des § 27 Abs. 1a SchwbG wurde bei der Übernahme in § 97 Abs. 2 SGB IX um Satz 2 ergänzt. Wenn beabsichtigt gewesen wäre, der einzigen im Konzern bestehenden (Gesamt-)Schwerbehindertenvertretung die Wahrnehmung der Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung zuzuweisen, hätte es nahegelegen, eine entsprechende Regelung in § 27 Abs. 1a SchwbG bzw. in § 97 Abs. 2 SGB IX aufzunehmen. Da dies unterblieben ist, ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber von einer solchen Zuständigkeitserstreckung bewusst abgesehen hat.
bb) Gegenteiliges ergibt sich nicht daraus, dass die Wahl einer Konzernschwerbehindertenvertretung grundsätzlich obligatorisch ist, wenn ein Konzernbetriebsrat errichtet ist. § 97 Abs. 2 SGB IX sieht die Errichtung einer Konzernschwerbehindertenvertretung durch Wahl vor. Eine Wahl setzt voraus, dass es mindestens zwei Wahlberechtigte gibt. Das ergibt sich für die in § 97 Abs. 2 SGB IX angeordnete Wahl schon aus der Verwendung des Plurals „Gesamtschwerbehindertenvertretungen” in § 97 Abs. 2 Satz 1 SGB IX, aber auch aus § 22 Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen (SchwbVWO). Nach § 22 Abs. 1 SchwbVWO findet die Wahl grundsätzlich durch schriftliche Stimmabgabe statt. § 22 Abs. 2 SchwbVWO regelt den Sonderfall, dass es nur zwei Wahlberechtigte gibt. Diese bestimmen abweichend von Absatz 1 die Konzern-, Gesamt-, Bezirks- oder Hauptschwerbehindertenvertretung im beiderseitigen Einvernehmen; kommt eine Einigung nicht zustande, entscheidet das Los. Eine Bestimmung für den Fall, dass nur eine wahlberechtigte Vertretung besteht, enthält § 22 SchwbVWO nicht. Gibt es nur eine wahlberechtigte (Gesamt-)Schwerbehindertenvertretung, kann eine Wahl demnach nicht stattfinden.
cc) Gegen eine vom Gesetzgeber beabsichtigte Erstreckung der Zuständigkeit der einzigen im Konzern bestehenden (Gesamt-)Schwerbehindertenvertretung auf die Wahrnehmung der Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung spricht zudem, dass Ausnahmen von dem grundsätzlich geltenden Repräsentationsprinzip ausdrücklich gesetzlich geregelt sind.
(1) Eine aus einer Wahl hervorgegangene Schwerbehindertenvertretung ist Repräsentantin der schwerbehinderten Menschen des Betriebs, für den sie gewählt worden ist. Nach § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB IX vertritt sie die Interessen der schwerbehinderten Menschen in dem Betrieb. Ihre Errichtung und Betätigung erstreckt sich auf diesen Betrieb und ist gleichermaßen auf ihn beschränkt (vgl. für den Betriebsrat BAG 18. November 2014 – 1 ABR 21/13 – Rn. 20; 17. September 2013 – 1 ABR 21/12 – Rn. 24, BAGE 146, 89). Entsprechendes gilt für die Gesamtschwerbehindertenvertretung. Sie wird gemäß § 97 Abs. 1 Satz 1 SGB IX durch die Schwerbehindertenvertretungen der einzelnen Betriebe eines Unternehmens gewählt, wenn ein Gesamtbetriebsrat besteht. Ihre Errichtung und Betätigung ist nach § 97 Abs. 6 Satz 1 SGB IX auf das Unternehmen beschränkt.
(2) Der Gesetzgeber hat in § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX die Erweiterung der Zuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung für eine bestimmte Fallgestaltung ausdrücklich angeordnet. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass sich die Zuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung stets auf Einheiten erstreckt, in denen keine Schwerbehindertenvertretung gebildet ist (aA Düwell in LPK-SGB IX 4. Aufl. § 97 Rn. 49). Der Gesetzgeber hat mit § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX und § 97 Abs. 6 Satz 1 Alt. 2 SGB IX nur punktuell Ausnahmen von der durch das Repräsentationsprinzip vorgegebenen Zuständigkeitsverteilung vorgesehen. Wäre der Gesetzgeber von einem allgemeinen Prinzip der Zuständigkeitserstreckung ausgegangen, hätte es dieser Regelungen nicht bedurft.
c) Der Gesetzeszweck gebietet keine andere Auslegung der Vorschrift. Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit Schwerbehinderter vom 29. September 2000 (BGBl. I S. 1394) sollten Neuregelungen zur Durchsetzung und Sicherung der Beschäftigung von Schwerbehinderten geschaffen werden. Es sollten insbesondere die Beteiligungsrechte der Vertretungen der Schwerbehinderten gestärkt werden. Die Schaffung einer Konzernschwerbehindertenvertretung sollte eine wirksame Vertretung der Rechte der Schwerbehinderten auf der Konzernebene gewährleisten (BT-Drs. 14/3372 S. 15 f.). Dieser Zweck schließt es nicht aus, die Interessenvertretung auf Konzernebene davon abhängig zu machen, dass in mindestens zwei Konzernunternehmen Schwerbehindertenvertretungen bestehen. Dadurch wird ein Mindestmaß an Repräsentanz bei der unternehmensübergreifenden Interessenvertretung gewährleistet.
d) Eine – im Wege der Gesetzesauslegung vorzunehmende – Zuständigkeitserstreckung ist auch nicht im Hinblick auf die Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) geboten. Diese Bestimmungen sind Bestandteil der Unionsrechtsordnung (EuGH 11. April 2013 – C-335/11 ua. -[Ring] Rn. 28 ff.). Dadurch sind sie zugleich Bestandteil des – ggf. unionsrechtskonform auszulegenden – deutschen Rechts (BAG 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12 – Rn. 53, BAGE 147, 60). Weder aus Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i noch aus Art. 4 Abs. 1 Satz 2 Buchst. e UN-BRK folgt die Verpflichtung, die Zuständigkeit der Schwerbehindertenvertretung auf die Aufgaben der Konzernschwerbehindertenvertretung zu erstrecken, wenn nur in einem Konzernunternehmen eine Schwerbehindertenvertretung gewählt ist.
aa) Nach Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i UN-BRK sichern und fördern die Vertragsstaaten die Verwirklichung des Rechts auf Arbeit, einschließlich für Menschen, die während der Beschäftigung eine Behinderung erwerben, durch geeignete Schritte, einschließlich des Erlasses von Rechtsvorschriften, um ua. sicherzustellen, dass am Arbeitsplatz angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderungen getroffen werden. Nach der Legaldefinition in Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK sind „angemessene Vorkehrungen” notwendige und geeignete Änderungen und Anpassungen, die keine unverhältnismäßige oder unbillige Belastung darstellen und die, wenn sie in einem bestimmten Fall erforderlich sind, vorgenommen werden, um zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen alle Menschenrechte und Grundfreiheiten genießen oder ausüben können. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinen Entscheidungen vom 4. Juli 2013 (– C-312/11 – [Kommission/Italien]) und vom 11. April 2013 (– C-335/11 ua. – [Ring]) ausgeführt, dass unter „angemessenen Vorkehrungen” iSv. Art. 2 Unterabs. 4 UN-BRK ebenso wie unter „angemessenen Vorkehrungen” iSv. Art. 5 Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG) materielle oder organisatorische Maßnahmen in Bezug auf die Arbeitsumgebung, die Arbeitsorganisation oder die Aus- und Fortbildung zu verstehen sind, die der einzelne Arbeitgeber im Rahmen der Zumutbarkeit zu ergreifen hat, um dem behinderten Arbeitnehmer ua. die Ausübung eines Berufs zu ermöglichen (EuGH 4. Juli 2013 – C-312/11 – [Kommission/Italien]; 11. April 2013 – C-335/11 ua. – [Ring] Rn. 49, 55; BAG 19. Dezember 2013 – 6 AZR 190/12 – Rn. 52, BAGE 147, 60). Die Bildung einer Schwerbehindertenvertretung ist danach keine „angemessene Vorkehrung” iSv. Art. 27 Abs. 1 Satz 2 Buchst. i UN-BRK. Sie ist keine vom Arbeitgeber zu ergreifende Maßnahme.
bb) Nach Art. 4 Abs. 1 Satz 2 Buchst. e UN-BRK verpflichten sich die Mitgliedstaaten, alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung aufgrund von Behinderung durch Personen, Organisationen oder private Unternehmen zu ergreifen. Entgegen der Ansicht des Antragstellers folgt daraus nicht die Pflicht, eine lückenlose Interessenvertretung aller schwerbehinderten Menschen eines Konzerns durch Schwerbehindertenvertretungen zu gewährleisten. Die Einschätzung des Gesetzgebers, die gesetzliche Regelung gewährleiste einen ausreichenden kollektiven Schutz der schwerbehinderten Menschen gegen Diskriminierung, begegnet insbesondere unter Berücksichtigung des dem Gesetzgeber insoweit zustehenden Beurteilungsspielraums keinen Bedenken. Die Vertretung der Interessen der schwerbehinderten Menschen obliegt nicht nur der Schwerbehindertenvertretung, sondern auch den in § 93 SGB IX genannten Arbeitnehmervertretungen, ua. dem Betriebsrat. Dabei sind die Aufgaben von Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung teilweise identisch. Der Betriebsrat hat nach § 93 Satz 1 SGB IX und § 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG – ebenso wie die Schwerbehindertenvertretung nach § 95 Abs. 1 Satz 1 SGB IX – die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb zu fördern. Dies umfasst alle Maßnahmen, die der Integration schwerbehinderter Menschen im Betrieb dienen, und beschränkt sich nicht nur auf den Schutz der im Betrieb bereits Beschäftigten (vgl. BAG 14. November 1989 – 1 ABR 88/88 – BAGE 63, 226). Dazu hat auch der Betriebsrat Maßnahmen, die dem Betrieb oder der Belegschaft dienen, beim Arbeitgeber zu beantragen (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG), Anregungen und Beschwerden entgegenzunehmen und durch Verhandlungen mit dem Arbeitgeber auf eine Einigung hinzuwirken (§ 80 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG) und darüber zu wachen, dass eine Benachteiligung von Personen wegen ihrer Behinderung unterbleibt (§ 75 Abs. 1 BetrVG). Der Betriebsrat hat nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG und § 93 Satz 2 SGB IX darüber zu wachen, dass die zugunsten schwerbehinderter Menschen geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen durchgeführt, insbesondere die dem Arbeitgeber nach §§ 71, 72 und 81 bis 84 SGB IX obliegenden Verpflichtungen erfüllt werden. Die schwerbehinderten Menschen sind daher auch dann nicht „vertretungslos”, wenn keine Konzernschwerbehindertenvertretung gewählt werden kann, weil nur in einem Konzernunternehmen eine Schwerbehindertenvertretung besteht. Ihre Interessen werden durch den Betriebsrat, den Gesamtbetriebsrat und den Konzernbetriebsrat wahrgenommen.
Bei dieser Sachlage bedarf es einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht.
e) Verfassungsrechtliche Vorgaben führen ebenfalls nicht zu einer anderen Auslegung von § 97 Abs. 2 SGB IX.
aa) Es verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG, dass nur die schwerbehinderten Menschen des Unternehmens, in dem eine Schwerbehindertenvertretung gewählt ist, durch diese vertreten sind, während die Interessen der schwerbehinderten Menschen der anderen Konzernunternehmen nicht durch eine Schwerbehindertenvertretung wahrgenommen werden. Die Differenzierung beruht darauf, dass die aus einer Wahl hervorgegangene Schwerbehindertenvertretung grundsätzlich nur die Einheit vertritt, für die sie gewählt ist. Der Repräsentationsgrundsatz wird zwar in § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX durchbrochen, um eine Vertretungslücke zu vermeiden. Es ist aber nicht gleichheitswidrig, von einer entsprechenden Zuständigkeitserstreckung in § 97 Abs. 2 SGB IX abzusehen. § 97 Abs. 1 SGB IX regelt die Aufgaben der Gesamtschwerbehindertenvertretung und damit die unternehmensinterne Interessenvertretung. Dagegen betrifft § 97 Abs. 2 SGB IX die Konzernschwerbehindertenvertretung, somit eine unternehmensübergreifende Interessenvertretung. Das ist nicht vergleichbar. Der Gesetzgeber durfte für die Konzernschwerbehindertenvertretung ein größeres Repräsentationsquorum voraussetzen als für die Gesamtschwerbehindertenvertretung.
bb) Auch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gebietet es nicht, neben den in § 93 SGB IX genannten Arbeitnehmervertretungen eine zusätzliche lückenlose Vertretung schwerbehinderter Menschen durch Schwerbehindertenvertretungen zu schaffen.
2. Für eine analoge Anwendung des § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX besteht kein Raum. Eine analoge Anwendung setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus (vgl. etwa BAG 24. Mai 2012 – 6 AZR 679/10 – Rn. 16 mwN, BAGE 142, 1). Daran fehlt es. Aus der Gesetzessystematik und der Gesetzgebungsgeschichte ergibt sich, dass der Gesetzgeber bewusst davon abgesehen hat, in § 97 Abs. 2 SGB IX eine § 97 Abs. 1 Satz 2 SGB IX entsprechende Regelung zur Zuständigkeitserstreckung aufzunehmen.
Unterschriften
Gräfl, Kiel, M. Rennpferdt, Schuh, Meißner
Fundstellen
BAGE 2016, 187 |
BB 2016, 691 |
FA 2016, 109 |
ZTR 2016, 352 |
AP 2016 |
EzA-SD 2016, 14 |
EzA 2016 |
NZA-RR 2016, 191 |
br 2016, 113 |
AUR 2016, 171 |
ArbRB 2016, 105 |
ArbR 2016, 174 |
NJW-Spezial 2016, 243 |