Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftsausschuß und Stillegung betriebsratsloser Betriebe
Leitsatz (amtlich)
Zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten, in denen der Wirtschaftsausschuß nach § 106 BetrVG ein Unterrichtungs- und Beratungsrecht hat, gehört auch die Stillegung von Betrieben, in denen kein Betriebsrat gebildet ist.
Normenkette
BetrVG § 106 Abs. 3 Nr. 6
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 27. Oktober 1994 – 6 TaBV 2/94 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten darüber, ob sich das Unterrichtungs- und Beratungsrecht des Wirtschaftsausschusses auch auf die Stillegung solcher Betriebs bezieht, in denen kein Betriebsrat gebildet ist.
Die Arbeitgeberin betreibt ein Handelsunternehmen mit 35 Märkten. In der Mehrzahl der Märkte bestehen Betriebsräte. Sie haben einen Gesamtbetriebsrat und dieser einen Wirtschaftsausschuß gebildet. Unter den betriebsratsfähigen Märkten ohne Betriebsrat befand sich der Markt in Rastatt. Dort wurde ein Betriebsrat erst im August 1992 gewählt, nachdem die Arbeitgeberin die Belegschaft darüber informiert hatte, daß für Ende September 1992 die Schließung des Marktes beabsichtigt sei. Diese erfolgte dann, ohne daß der Wirtschaftsausschuß oder der Gesamtbetriebsrat von der Arbeitgeberin unterrichtet worden wären.
Unter Berufung auf diesen Vorgang forderte der Gesamtbetriebsrat im Juni 1993 die Arbeitgeberin durch anwaltliches Schreiben zu einer Erklärung auf, daß sie künftig den Wirtschaftsausschuß auch hinsichtlich solcher wirtschaftlicher Angelegenheiten i.S. des § 106 BetrVG unterrichten werde, die betriebsratslose Betriebe betreffen. Die Arbeitgeberin lehnte dies mit der Begründung ab, für solche Betriebe sei der Wirtschaftsausschuß nicht zuständig.
Der Gesamtbetriebsrat hat die Auffassung vertreten, zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten i. S. des § 106 BetrVG gehöre die Stillegung eines betriebsratsfähigen Betriebes auch dann, wenn für diesen ein Betriebsrat nicht gebildet sei. Das ergebe sich schon aus dem Wortlaut des § 106 Abs. 3 Nr. 6 BetrVG, der insoweit keine Einschränkung kenne. Auch der Zweck der Regelung stehe einer Ausnahme für betriebsratslose Betriebe entgegen. Dies folge zum einen daraus, daß bei einem Teil der in § 106 Abs. 3 BetrVG aufgeführten wirtschaftlichen Angelegenheiten, z. B. bei der wirtschaftlichen und finanziellen Lage des Unternehmens, eine derartige Differenzierung gar nicht möglich sei. Zum anderen beziehe sich die Tätigkeit des Wirtschaftsausschusses auf das Unternehmen in seiner Gesamtheit; eine Unterscheidung danach, ob einzelne wirtschaftliche Angelegenheiten Betriebe mit oder ohne Betriebsrat beträfen, sei mit dieser Aufgabenstellung unvereinbar. Gegen die Zuständigkeit des Wirtschaftsausschusses könne auch nicht eingewandt werden, für betriebsratslose Betriebe fehle diesem die erforderliche demokratische Legitimation. Einer Legitimation, die über seine Bestellung durch den Gesamtbetriebsrat hinausgehe, bedürfe der Wirtschaftsausschuß nicht.
Der Gesamtbetriebsrat hat beantragt
festzustellen, daß die Antragsgegnerin verpflichtet ist, den Wirtschaftsausschuß über die in § 106 Abs. 3 BetrVG genannten wirtschaftlichen Angelegenheiten auch hinsichtlich der Betriebe zu unterrichten, in denen kein Betriebsrat gebildet ist, sowie dem Wirtschaftsausschuß die zur Unterrichtung erforderlichen Unterlagen vorzulegen und die von ihm gewünschten Auskünfte auch hinsichtlich jener Betriebe zu erteilen.
Die Arbeitgeberin hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Nach ihrer Meinung erstreckt sich des Unterrichtungs- und Beratungsrecht des Wirtschaftsausschusses nicht auf Betriebe, in denen kein Betriebsrat besteht. Zwar enthalte der Wortlaut des § 106 BetrVG insoweit keine Einschränkung. Auch sei einzuräumen, daß unter den in § 106 Abs. 3 BetrVG aufgeführten wirtschaftlichen Angelegenheiten solche seien, die eine Unterscheidung nach Betrieben mit und ohne Betriebsrat nicht zuließen. Jedenfalls bei der Unterrichtung und Beratung über Betriebsstillegungen ergebe sich aber aus dem Zweck des Gesetzes eine Beschränkung auf Betriebe mit Betriebsrat. Der Wirtschaftsausschuß sei ein Hilfsorgan des Gesamtbetriebsrats. Außerhalb von dessen Zuständigkeitsbereich könne der Wirtschaftsausschuß keine Rechte in Anspruch nehmen. Bezüglich betriebsratsloser Betriebe habe der Gesamtbetriebsrat aber keine Beteiligungsrechte, denn insoweit fehle ihm die Legitimation durch die Belegschaft.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag des Gesamtbetriebsrats zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihm auf die Beschwerde des Gesamtbetriebsrats stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses. Der Gesamtbetriebsrat bittet, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der Antrag des Gesamtbetriebsrats ist zulässig und begründet.
I. Der Antrag des Gesamtbetriebsrats ist zulässig.
1. Das Landesarbeitsgericht hat den Antrag mit Recht dahin verstanden, daß der Gesamtbetriebsrat lediglich die Feststellung begehrt, auch die Stillegung eines betriebsratslosen Marktes verpflichte die Arbeitgeberin zur Beratung mit dem Wirtschaftsausschuß. Zwar läßt die Formulierung des Antrags auch die Auslegung zu, die begehrte Feststellung solle sich auf sämtliche wirtschaftlichen Angelegenheiten i.S. des § 106 BetrVG erstrecken und auch die Form der Unterrichtung einbeziehen. Daß es dem Gesamtbetriebsrat indessen nicht um eine so umfassende Feststellung geht, ergibt sich aus seinem gesamten Vorbringen. Streit besteht zwischen den Beteiligten nur darüber, ob sich das Unterrichtungsund Beratungsrecht des Wirtschaftsausschusses auch auf die Stilllegung betriebsratsloser Betriebe erstreckt. Die Auslegung des Antrags durch das Landesarbeitsgericht ist auch nicht gerügt worden.
Der Antrag ist hinreichend bestimmt. Es besteht auch keine Primärzuständigkeit der Einigungsstelle nach § 109 BetrVG. Die Einigungsstelle hat nur über den Umfang von Auskunftspflichten gegenüber dem Wirtschaftsausschuß zu entscheiden. Die Frage, ob eine Betriebsstillegung zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten i.S. von § 106 Abs. 3 BetrVG gehört, betrifft aber das Bestehen des Unterrichtungs- und Beratungsrechts und nicht seinen Umfang (vgl. BAGE 67, 97, 100 = AP Nr. 9 zu § 106 BetrVG 1972, zu B I 1 der Gründe, m.w.N.).
2. Es fehlt nicht an der Antragsbefugnis. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat der Gesamtbetriebsrat einen eigenen Anspruch gegen den Unternehmer auf Erfüllung derjenigen Auskunftspflichten, die gegenüber dem Wirtschaftsausschuß bestehen. Das ergibt sich daraus, daß der Wirtschaftsausschuß lediglich Hilfsfunktionen für den Gesamtbetriebsrat erfüllt (BAGE 62, 294, 298 f. = AP Nr. 6 zu § 106 BetrVG 1972, zu B I 4 der Gründe, m.w.N.; BAGE 67, 155, 167 = AP Nr. 10 zu § 106 BetrVG 1972, zu B III 3d der Gründe).
3. Für den Antrag besteht das nach § 256 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann ein Streit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über das Bestehen und den Inhalt von Beteiligungsrechten mit einem Feststellungsantrag zur gerichtlichen Entscheidung gestellt werden. Das Feststellungsinteresse ist hier nicht etwa deshalb entfallen, weil der Markt in Rastatt, an dem sich der Streit der Beteiligten entzündet hat, bereits stillgelegt ist. Es genügt, daß die Streitfrage mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in Zukunft wieder auftreten wird. Dies ist anzunehmen. Zum Unternehmen der Arbeitgeberin gehören weitere Märkte, in denen kein Betriebsrat besteht. Die Arbeitgeberin hat es ausdrücklich abgelehnt, den Wirtschaftsausschuß künftig in Angelegenheiten dieser Betriebe zu unterrichten.
II. Der Antrag ist begründet. Der Unterrichtungs- und Beratungsanspruch des Wirtschaftsausschusses nach § 106 BetrVG erstreckt sich auf die betriebsratslosen Betriebe der Arbeitgeberin.
1. Der Gesetzeswortlaut bietet keinen Ansatz für eine einschränkende Auslegung in dem Sinne, daß die Stillegung betriebsratsloser Betriebe nicht von § 106 BetrVG erfaßt würde. In § 106 Abs. 3 Nr. 6 BetrVG wird vielmehr allgemein die “Stillegung von Betrieben oder von Betriebsteilen” zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten gerechnet, bei denen das Beteiligungsrecht des Wirtschaftsausschusses besteht.
2. Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin ergibt sich auch aus dem Zweck des Gesetzes nicht die von ihr für richtig gehaltene Einschränkung.
a) Die Arbeitgeberin meint, als Hilfsorgan des Gesamtbetriebsrats könne der Wirtschaftsausschuß keine Unterrichtungs- und Beratungsrechte haben, die über die Mitbestimmungsrechte des Gesamtbetriebsrats hinausgingen. Diese seien auf die Betriebe beschränkt, in denen Betriebsräte bestehen. Das entspreche auch der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAGE 44, 86 = AP Nr. 5 zu § 50 BetrVG 1972).
Allerdings hat der Senat in dem zitierten Urteil entschieden, betriebsratslose Betriebe stünden außerhalb der Betriebsverfassung. In diesem Fall ging es darum, ob der Arbeitgeber vor Stillegung eines solchen Betriebs verpflichtet ist, mit dem Gesamtbetriebsrat den Abschluß eines Interessenausgleichs zu versuchen. Der Senat hat dies verneint und zur Begründung im wesentlichen darauf verwiesen, daß dem Gesamtbetriebsrat jede demokratische Legitimation zur Vertretung der Belegschaften solcher Betriebe fehle, in denen kein Betriebsrat gewählt wurde. Der Gesamtbetriebsrat könne die Interessen einer solchen Belegschaft auch kaum sachgerecht wahrnehmen. Hieraus folgt indessen nicht, daß die Stillegung eines betriebsratslosen Betriebs auch außerhalb der Zuständigkeit des Wirtschaftsausschusses läge.
Die dargestellte Beschränkung der Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats auf Betriebe mit Betriebsrat entspricht der gesetzlichen Konzeption, nach der die Primärzuständigkeit für die Ausübung von Mitbestimmungsrechten beim Betriebsrat des jeweiligen Betriebes liegt und der Gesamtbetriebsrat nur subsidiär tätig werden kann. Nach § 50 BetrVG ist der Gesamtbetriebsrat nur zuständig, wenn eine Angelegenheit von einzelnen Betriebsräten nicht geregelt werden kann, oder wenn ihn der zunächst zuständige Betriebsrat mit der Behandlung der Angelegenheit beauftragt.
Im Unterschied zum Gesamtbetriebsrat ist der Wirtschaftsausschuß nicht selbst Träger von Mitbestimmungsrechten. Für seine Tätigkeit besteht kein so enger Bezug zu Regelungskompetenzen einzelner Betriebsräte, wie das für die Tätigkeit des Gesamtbetriebsrats gilt (ebenso LAG Frankfurt am Main Beschluß vom 7. November 1989 – 4 TaBV 18/89 – LAGE § 106 BetrVG 1972 Nr. 5; im Ergebnis auch Kissel, FS Söllner 1990, S. 143, 158). Zwar ist der Wirtschaftsausschuß ein Hilfsorgan des Gesamtbetriebsrats und dient damit letztlich nur der Erfüllung von dessen Aufgaben (BAGE 67, 155, 166 = AP Nr. 10 zu § 106 BetrVG 1972, zu B III 3d der Gründe). Dies geschieht aber in der Weise, daß er die unternehmerischen Rahmenbedingungen ermittelt, die für die Interessenvertretung der Belegschaften des ganzen Unternehmens von Bedeutung sein können. Darüber hinaus obliegt ihm in diesem Zusammenhang die Beratung wirtschaftlicher Angelegenheiten mit dem Unternehmer als eine eigenständige, von einzelnen Regelungsbefugnissen der betrieblichen Arbeitnehmervertretungen unabhängige Aufgabe (vgl. BAGE 67, 155, 167 = AP, aaO).
b) Daß sich die Tätigkeit des Wirtschaftsausschusses auf das Unternehmen in seiner Gesamtheit bezieht und nicht vom Bestehen von Betriebsräten in einzelnen jeweils betroffenen Betrieben abhängig ist, ergibt sich weiter daraus, daß zu den wirtschaftlichen Angelegenheiten i.S. des § 106 BetrVG auch solche zählen, bei denen eine Unterscheidung nach einzelnen Betrieben nicht möglich ist. Dies gilt z.B. für die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens (§ 106 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG).
Auch soweit das Unterrichtungs- und Beratungsrecht des Wirtschaftsausschusses nach § 106 BetrVG Angelegenheiten betrifft, die einzelne Betriebe zum Gegenstand haben, wie die Betriebsstillegung nach § 106 Abs. 3 Nr. 6 BetrVG, beschränkt es sich nicht darauf, den Betriebsrat des betroffenen Betriebs bei der Ausübung bestimmter Beteiligungsrechte zu unterstützen. Für ein Unterrichtungs- und Beratungsrecht, das einem derart begrenzten Zweck dienen würde, bestünde angesichts des Unterrichtungs- und Beratungsrechts des Betriebsrats nach § 111 BetrVG kaum Bedarf. Vielmehr hat die Befassung des Wirtschaftsausschusses mit einer Betriebsstillegung einen weitergehenden Zweck. Sie dient der Unterrichtung und Beratung über die Folgen, die sich aus ihr auch für andere Teile des Unternehmens ergeben können. Eine Betriebsstillegung kann Einschränkungen in anderen Bereichen des Unternehmens nach sich ziehen, insbesondere wenn diese bisher mit dem betreffenden Betrieb zusammengearbeitet haben. Sie kann aber auch Arbeitsplätze in anderen Bereichen stabilisieren. Schließlich kann sie für andere Betriebe des Unternehmens insofern von Interesse sein, als sie Schlüsse darüber zuläßt, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Weise möglicherweise auch andere Betriebe in ihrem Bestand gefährdet erscheinen. Derartige Auswirkungen über den einzelnen Betrieb hinaus sind keineswegs Ausnahmeerscheinungen, sondern geradezu typisch für die Kettenreaktionen wirtschaftlicher Entscheidungen in einem größeren Unternehmen.
Betrifft die Aufgabenstellung des Wirtschaftsausschusses demnach immer das Unternehmen in seiner Gesamtheit, dann kann es nicht darauf ankommen, ob in einem stillzulegenden Betrieb ein Betriebsrat besteht, der Beteiligungsrechte ausüben und dem Gesamtbetriebsrat demokratische Legitimation durch die Belegschaft gerade dieses Betriebs vermitteln kann.
Unterschriften
Dieterich, Rost, Wißmann, Schneider, Münzer
Fundstellen
Haufe-Index 870820 |
BAGE, 116 |
BB 1995, 1088 |
NZA 1996, 55 |