Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsratswahl. Wahlanfechtung. Ablauf der Amtszeit. Rechtsschutzinteresse. Übersendung von Wahlunterlagen ohne Verlangen
Leitsatz (redaktionell)
Verlangt ein Arbeitnehmer eine zeitlich unbegrenzte Übersendung der Wahlunterlagen gemäß § 24 Abs. 1 BetrVGDV1WO ohne Verlangen bei zukünftigen Betriebsratswahlen, besteht hierfür kein Feststellungsinteresse i.S.d. § 256 ZPO.
Normenkette
Wahlordnung zum BetrVG (WO) § 24 Abs. 1-2; ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 256 Abs. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1. bis 7. gegen den Beschluss des Landesarbeitsgerichts München vom 25. Juni 2013 – 9 TaBV 11/13 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl sowie im Rahmen eines Feststellungsantrages über die Frage, ob den Antragstellern als Streckenlokomotivführern bei der Durchführung einer Betriebsratswahl die Wahlunterlagen gemäß § 24 Abs. 1 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes vom 11. Dezember 2001 (Wahlordnung – WO) ohne ihr Verlangen zuzusenden sind.
Die zu 9. beteiligte Arbeitgeberin ist ein Unternehmen im Konzern der Deutsche Bahn AG. Sie unterhält zahlreiche Niederlassungen in Deutschland und beschäftigt ca. 18.800 Arbeitnehmer. Gemäß dem bei der Arbeitgeberin geltenden „Tarifvertrag zu betriebsverfassungsrechtlichen Fragen bei der DB Cargo AG” (BetrVTV-DB Cargo) vom 10. Januar 2002 sind für die Bildung von Betriebsräten zwölf Wahlbetriebe festgelegt. Einer dieser Wahlbetriebe ist der Betrieb mit der Bezeichnung „C 9”. Dort sind ua. ca. 430 Lokomotivführer beschäftigt, die im Streckendienst eingesetzt werden (sog. Streckenlokomotivführer). Alle Streckenlokomotivführer beginnen und beenden ihre Arbeit im Betrieb der Arbeitgeberin. Zu Beginn des Dienstes haben sie sich im Betrieb zu melden, den Weisungsraum aufzusuchen und dort die zu beachtenden aktuellen Weisungen einzusehen. Die Arbeitszeit der Streckenlokomotivführer beginnt nicht erst mit der Aufnahme der Fahrt, sondern bereits mit dem Erscheinen im Betrieb und der Meldung sowie der Entgegennahme der Weisungen. Nach dem Abschlussdienst am Zug haben sich die Streckenlokomotivführer wieder im Weisungsraum einzufinden, um ggf. weitere Arbeiten zu erledigen und sich abzumelden.
Nachdem der frühere Betriebsrat im Frühjahr 2012 zurückgetreten war, wurde eine Neuwahl eingeleitet. Der Wahlvorstand beschloss für bestimmte Betriebsteile und Kleinstbetriebe gemäß § 24 Abs. 3 WO die schriftliche Stimmabgabe, qualifizierte aber keine Wahlberechtigten iSv. § 24 Abs. 2 WO, denen aufgrund der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses die Briefwahlunterlagen ohne Verlangen zu übersenden sind. In der Zeit vom 24. Juli 2012 bis zum 26. Juli 2012 fand die Neuwahl des Betriebsrats im Wahlbetrieb C 9 statt, aus der der zu 8. beteiligte Betriebsrat hervorgegangen ist.
Die antragstellenden Beteiligten zu 1. bis 7. sind wahlberechtigte Arbeitnehmer der Beteiligten zu 9. und als Streckenlokomotivführer bei ihr tätig.
Die Antragsteller haben mit ihrem am 17. August 2012 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antrag die Nichtigkeit, hilfsweise die Unwirksamkeit der Betriebsratswahl vom 24. bis 26. Juli 2012 geltend gemacht. Sie haben in erster Linie den Standpunkt eingenommen, der der Betriebsratswahl zugrunde liegende BetrVTV-DB Cargo sei als Zuordnungstarifvertrag iSv. § 3 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Darüber hinaus haben sie diverse Wahlmängel gerügt, so auch, dass den Streckenlokomotivführern als Arbeitnehmern iSv. § 24 Abs. 2 WO zu Unrecht keine Briefwahlunterlagen zugesandt worden seien.
Die Antragsteller haben zuletzt beantragt
- festzustellen, dass die bei der Beteiligten zu 9. im Zeitraum vom 24. bis 26. Juli 2012 durchgeführte Betriebsratswahl nichtig ist,
- hilfsweise die im Hauptantrag genannte Betriebsratswahl für rechtsunwirksam zu erklären,
- festzustellen, dass ihnen bei der Durchführung einer Betriebsratswahl, sofern und solange sie als Streckenlokomotivführer im Betrieb tätig sind, die Unterlagen gemäß § 24 Abs. 1 der Wahlordnung ohne Verlangen zuzusenden sind.
Die Beteiligten zu 8. und 9. haben die Zurückweisung der Anträge beantragt und die Ansicht vertreten, die Betriebsratswahl sei wirksam gewesen. Der Feststellungsantrag zu 3. sei unzulässig, jedenfalls unbegründet. Den Streckenlokomotivführern seien Briefwahlunterlagen nicht ohne Verlangen gemäß § 24 Abs. 2 WO zuzusenden.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsteller zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgen diese lediglich den Wahlanfechtungsantrag zu 2. und den Feststellungsantrag zu 3. weiter. Der Betriebsrat und die Arbeitgeberin beantragen, die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
Während des Rechtsbeschwerdeverfahrens fanden im Wahlbetrieb C 9 vom 13. bis 15. Mai 2014 die regelmäßigen Betriebsratswahlen statt. Am 22. Mai 2014 wurde das Wahlergebnis bekannt gegeben. Eine Wahlanfechtung hat nicht stattgefunden.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde der Antragsteller ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die im Rechtsbeschwerdeverfahren noch anhängigen Anträge im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Sie sind unzulässig.
I. Der Wahlanfechtungsantrag ist unzulässig, weil das Rechtsschutzinteresse an der begehrten Entscheidung im Lauf des Rechtsbeschwerdeverfahrens weggefallen ist.
1. Das Bestehen eines Rechtsschutzinteresses ist Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Sachentscheidung des Gerichts und deshalb in jeder Lage des Verfahrens, auch noch in der Rechtsbeschwerdeinstanz, von Amts wegen zu prüfen. Das Rechtsschutzinteresse fehlt, wenn die begehrte gerichtliche Entscheidung für die Beteiligten keine rechtliche Wirkung mehr entfalten kann (BAG 18. März 2015 – 7 ABR 6/13 – Rn. 16; 16. April 2008 – 7 ABR 4/07 – Rn. 13; 13. März 1991 – 7 ABR 5/90 – zu B der Gründe, BAGE 67, 316).
2. Dies ist hier der Fall. Die Antragsteller fechten die in der Zeit vom 24. Juli 2012 bis zum 26. Juli 2012 durchgeführte Betriebsratswahl an und beantragen, diese für unwirksam zu erklären. Die Amtszeit des Betriebsrats hat jedoch gemäß § 21 Satz 3 iVm. § 13 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BetrVG spätestens am 31. Mai 2014 geendet. Damit ist das Rechtsschutzinteresse für die Anfechtung der Wahl entfallen, denn eine die Wahl für unwirksam erklärende gerichtliche Entscheidung könnte sich für die Beteiligten nicht mehr auswirken, da die erfolgreiche Anfechtung der Wahl nach § 19 BetrVG nur für die Zukunft wirkt (vgl. BAG 27. Juli 2011 – 7 ABR 61/10 – Rn. 32, BAGE 138, 377; 16. April 2008 – 7 ABR 4/07 – Rn. 13; 13. März 1991 – 7 ABR 5/90 – zu B der Gründe, BAGE 67, 316; für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung 18. März 2015 – 7 ABR 6/13 – Rn. 17).
II. Auch der Feststellungsantrag zu 3. ist unzulässig.
1. Der Feststellungsantrag ist allerdings hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Antragsteller begehren die Feststellung, dass ihnen – zeitlich unbegrenzt – bei zukünftigen Betriebsratswahlen die Wahlunterlagen ohne Verlangen zuzusenden sind. Einzige Einschränkung ist die in den Antragswortlaut („sofern und solange”) aufgenommene Voraussetzung, dass die Antragsteller zu diesem Zeitpunkt (noch) als Streckenlokomotivführer tätig sind. So verstanden ist die Reichweite des Begehrens der Antragsteller nicht unklar. Dass der Antrag weder im Hinblick auf die genaue zeitliche Lage der bei künftigen Betriebsratswahlen vorgesehenen Stimmabgabe noch im Hinblick auf die Frage, ob der künftige Wahlvorstand Kenntnis von den Arbeitsbedingungen der Streckenlokomotivführer zum Zeitpunkt der Wahlen hat, eine Einschränkung enthält, steht seiner Bestimmtheit nicht entgegen. Ob der Antrag in allen Fällen berechtigt ist, betrifft seine Begründetheit und nicht seine Zulässigkeit (vgl. BAG 17. September 2013 – 1 ABR 26/12 – Rn. 10; 20. November 2012 – 1 AZR 611/11 – Rn. 27 mwN, BAGE 144, 1).
2. Der Feststellungsantrag erfüllt jedoch nicht die Voraussetzungen des auch im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren anwendbaren § 256 Abs. 1 ZPO.
a) Nach § 256 Abs. 1 ZPO ist für die Zulässigkeit eines Feststellungsbegehrens ein besonderes rechtliches Interesse daran erforderlich, dass das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses durch eine gerichtliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Es handelt sich um eine – auch noch im Rechtsbeschwerdeverfahren zu prüfende – Prozessvoraussetzung. Sie stellt sicher, dass die Gerichte das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses tatsächlich klären können und nicht über bloße Meinungsverschiedenheiten der Betroffenen befinden. Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO ist jedes durch die Herrschaft einer Rechtsnorm über einen konkreten Sachverhalt entstandene rechtliche Verhältnis einer Person zu einer anderen Person oder zu einer Sache. Dabei sind einzelne Rechte und Pflichten ebenso Rechtsverhältnisse wie die Gesamtheit eines einheitlichen Schuldverhältnisses. Kein Rechtsverhältnis iSv. § 256 Abs. 1 ZPO sind dagegen abstrakte Rechtsfragen, bloße Elemente eines Rechtsverhältnisses oder rechtliche Vorfragen. Die Klärung solcher Fragen liefe darauf hinaus, ein Rechtsgutachten zu erstellen. Das ist den Gerichten verwehrt (vgl. BAG 4. Dezember 2013 – 7 ABR 7/12 – Rn. 18; 18. Januar 2012 – 7 ABR 73/10 – Rn. 35 mwN, BAGE 140, 277). Ein Feststellungsinteresse ist nur dann gegeben, wenn durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Streit der Beteiligten insgesamt beseitigt werden kann (BAG 18. März 2015 – 7 ABR 42/12 – Rn. 26; 14. Dezember 2010 – 1 ABR 93/09 – Rn. 17 mwN, BAGE 136, 334).
b) Danach erfüllt der Feststellungsantrag die Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO nicht. Er ist nicht auf ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis gerichtet, an dessen alsbaldiger Feststellung ein schutzwürdiges Interesse der Antragsteller besteht. Eine Verpflichtung, den Antragstellern als Streckenlokomotivführern die Wahlunterlagen gemäß § 24 Abs. 1 WO ohne ihr Verlangen zuzusenden, kann nicht losgelöst von einer konkreten Betriebsratswahl für die Zukunft gerichtlich festgestellt werden.
aa) Die festzustellende rechtliche Verpflichtung betrifft weder die beteiligte Arbeitgeberin noch den beteiligten Betriebsrat, sondern allenfalls einen am vorliegenden Verfahren nicht beteiligten (künftigen) Wahlvorstand. Nach § 18 Abs. 1 BetrVG hat der Wahlvorstand die Betriebsratswahl einzuleiten und durchzuführen. Demgemäß trifft die in § 24 Abs. 2 WO geregelte Verpflichtung, die Wahlunterlagen in bestimmten Fällen ohne Verlangen der Wahlberechtigten an diese zu versenden, (nur) den Wahlvorstand. Weder der Betriebsrat noch die Arbeitgeberin sind verpflichtet oder berechtigt, Wahlunterlagen an Wahlberechtigte zu übersenden. Das Amt des (jeweiligen) Wahlvorstands endet mit der Einberufung des gewählten Betriebsrats zur konstituierenden Sitzung (BAG 15. Oktober 2014 – 7 ABR 53/12 – Rn. 59; 14. November 1975 – 1 ABR 61/75 –). Die streitige Verpflichtung betrifft daher ein am vorliegenden Verfahren nicht beteiligtes und gegenwärtig nicht existentes Organ.
bb) Zwar kann Gegenstand eines Feststellungsantrages nicht nur ein Rechtsverhältnis zwischen den Verfahrensbeteiligten selbst sein, sondern auch ein solches zwischen einem Verfahrensbeteiligten und einem Dritten, sofern durch die erbetene Feststellung bereits jetzt oder in naher Zukunft die rechtliche Lage der Antragsteller beeinflusst werden kann (vgl. BAG 22. Oktober 1985 – 1 ABR 47/83 – zu B II 2 der Gründe, BAGE 50, 37; 21. Dezember 1982 – 1 AZR 411/80 – zu B I der Gründe, BAGE 41, 209). Diese Voraussetzungen liegen jedoch nicht vor. Ein Rechtsverhältnis zwischen den Antragstellern und einem Wahlvorstand entsteht erst anlässlich einer konkreten Betriebsratswahl mit der Bestellung des Wahlvorstands. Die den jeweiligen Wahlvorstand treffende Verpflichtung kann nicht losgelöst von einer konkreten Betriebsratswahl für die Zukunft gerichtlich festgestellt werden. Jeder künftige Wahlvorstand hat die Frage der Übersendung von Wahlunterlagen zur schriftlichen Stimmabgabe nach den zum Zeitpunkt der jeweiligen Wahl vorliegenden Umständen zu beurteilen. Die Übersendung der in § 24 Abs. 1 WO genannten Unterlagen ohne Verlangen der Wahlberechtigten setzt nach § 24 Abs. 2 WO voraus, dass dem Wahlvorstand bekannt ist, dass diese im Zeitpunkt der Wahl nach der Eigenart ihres Beschäftigungsverhältnisses voraussichtlich nicht im Betrieb anwesend sein werden. Dies kann der Wahlvorstand nur anlässlich der konkreten Wahl beurteilen. Ob die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 WO vorliegen, hängt ua. von dem genauen Zeitpunkt der Wahl und dem Ort der Stimmabgabe ab. Beides wird erst im Rahmen des Wahlverfahrens vom jeweiligen Wahlvorstand festgelegt. Auch die Umstände der Erbringung der Arbeitsleistung und damit die Frage der nach der Eigenart des Beschäftigungsverhältnisses zu prognostizierenden Anwesenheit im Betrieb zum Zeitpunkt der Wahl ist von künftigen Wahlvorständen nicht nach den von den Beteiligten im vorliegenden Verfahren vorgetragenen, sondern nach den im Wahlzeitpunkt bestehenden Gegebenheiten zu beurteilen. Die nach § 24 Abs. 2 WO erforderliche Kenntnis des künftigen Wahlvorstands von den Umständen der Eigenart des Beschäftigungsverhältnisses muss bei der Durchführung der jeweiligen Wahl vorliegen.
c) Die Antragsteller sind durch diese prozessuale Lage nicht rechtsschutzlos gestellt. Sie haben die Möglichkeit, bei Verstößen künftiger Wahlvorstände gegen wesentliche Verfahrensvorschriften im Rahmen künftiger Betriebsratswahlen ggf. einstweiligen Rechtsschutz zu beantragen oder nach der Wahl ein Wahlanfechtungsverfahren gemäß § 19 BetrVG zu betreiben.
Unterschriften
Gräfl, M. Rennpferdt, Waskow, Peter Klenter, Donath
Fundstellen
Haufe-Index 8841753 |
ZAP 2016, 114 |
EzA 2016 |
SPA 2016, 27 |
SPA 2016, 34 |