Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersetzung der verweigerten Zustimmung zur Versetzung
Leitsatz (amtlich)
Die Nichtberücksichtigung bei einer Versetzung auf einen innerbetrieblich ausgeschriebenen Arbeitsplatz ist kein Nachteil i S von § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG, es sei denn, der nicht berücksichtigte Arbeitnehmer hätte einen rechtlichen Anspruch auf die Stelle.
Normenkette
BetrVG § 99 Abs. 2 Nr. 3, Abs. 3-4, § 95
Verfahrensgang
LAG Niedersachsen (Beschluss vom 24.11.1987; Aktenzeichen 6 TaBV 64/87) |
ArbG Hannover (Beschluss vom 17.07.1987; Aktenzeichen 2 BV 9/87) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 24. November 1987 – 6 TaBV 64/87 – wird zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand
A. Der Arbeitgeber (Antragsteller) betreibt eine Bedarfsfluggesellschaft von den Standorten Hannover, Hamburg, Düsseldorf und München aus. Antragsgegner ist der im Standort Hannover für das Bodenpersonal gebildete Betriebsrat.
Mit innerbetrieblicher Stellenausschreibung vom 6. April 1987 schrieb der Arbeitgeber die Stelle eines “Sachbearbeiters Werkzeugverwaltung” nach Gehaltsgruppe 4/5 des zur Anwendung kommenden Firmentarifvertrags aus. Für die ausgeschriebene Stelle bewarben sich insgesamt fünf Arbeitnehmer, darunter die Arbeitnehmer M… und K…. Der Bewerber M… wurde als Lagerist beschäftigt und war in der Vergangenheit bereits vertretungsweise auf der ausgeschriebenen Stelle tätig. Der Bewerber K… ist als Flugzeugmechaniker und damit im Vergleich zur ausgeschriebenen Stelle mit einer tariflich höher bewerteten Tätigkeit eingestellt worden und wird auch weiter als Flugzeugmechaniker beschäftigt.
Der Arbeitgeber bat den Betriebsrat mit Schreiben vom 26. Mai 1987 um Zustimmung zur Versetzung des Bewerbers M… auf die ausgeschriebene Stelle. Der Betriebsrat verweigerte die beantragte Zustimmung mit Schreiben vom 27. Mai 1987, in dem u.a. ausgeführt ist:
“Bedingt durch die Schichtdienstuntauglichkeit der Herren K… und R… sieht sich der BR außerstande, der Versetzung des Herrn M… zuzustimmen. Herr K… kann nachweisen, daß eine Weiterbeschäftigung im Schichtdienst seiner Gesundheit abträglich ist und er hat die Qualifikation, die ausgeschriebene Stelle zu besetzen.”
Der Arbeitnehmer K… hatte dem Arbeitgeber am 3. Mai 1987 eine Bescheinigung der Ärzte Dr. S… und Dr. S…-R… zugeleitet, in der es heißt:
“Zur Vermeidung einer Verschlechterung seines Allgemeinzustandes und seines angegriffenen Gesundheitszustandes (s. umseitig) sollte der Pat. keinen Nachtdienst mehr durchführen.”
In zweiter Instanz hat der Betriebsrat ein zusätzliches ärztliches Attest der Ärzte Dr. S… und Dr. S…-R… vom 17. November 1987 vorgelegt, wonach der Arbeitnehmer K… nicht mehr körperlich schwere Arbeiten im Wechselschichtdienst ausführen kann, ohne gesundheitlichen Schaden zu nehmen. Der Arbeitnehmer K… wird aufgrund der vorangegangenen ärztlichen Bescheinigung vom 3. Mai 1987 von dem Arbeitgeber nicht mehr in der Nachtschicht eingesetzt.
Der Arbeitgeber teilte dem Betriebsrat mit Schreiben vom 2. Juni 1987 mit, daß er dessen Widerspruch für unbegründet halte, weil für den erfolglosen Bewerber K… kein Nachteil gem. § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG bei der Besetzung der Stelle mit dem Bewerber M… entstünde. Unter dem 15. Juni 1987 teilte er dem Betriebsrat weiter mit, daß die vorläufige Durchführung der Versetzung zum 1. Juli 1987 aus dringenden betrieblichen Gründen erforderlich sei. Der Betriebsrat widersprach mit Schreiben vom 16. Juni 1987 der beabsichtigten vorläufigen Versetzung des Arbeitnehmers M… auf die ausgeschriebene Stelle.
Mit seinen am 19. Juni 1987 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anträgen hat daraufhin der Arbeitgeber das Zustimmungsersetzungsverfahren eingeleitet und die Feststellung begehrt, daß die vorläufige Versetzung des Mitarbeiters M… aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist.
Er hat vorgetragen, der Bewerber K… habe durch seine Nichtberücksichtigung keinerlei Nachteile i.S. von § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG hinnehmen müssen. Die bisherige Position des Mitarbeiters K… werde durch die Versetzung von Herrn M… nicht verschlechtert. Im übrigen könne die vom Betriebsrat in zweiter Instanz vorgelegte weitere ärztliche Bescheinigung nicht mehr berücksichtigt werden. Mit Gründen, auf die sich der Betriebsrat nicht innerhalb der Wochenfrist des § 99 Abs. 3 Satz 1 BetrVG berufen habe, könne er später im Rechtsstreit die Verweigerung der Zustimmung nicht rechtfertigen.
Die besondere Dringlichkeit der Besetzung des Arbeitsplatzes habe sich daraus ergeben, daß der Bedarfsflugbetrieb ein Saisongeschäft mit Spitzenbelastungen im Sommer sei.
Der Arbeitgeber hat beantragt,
- die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Versetzung des Arbeitnehmers Michael M… in die Abteilung TO-35 als Sachbearbeiter Werkzeugverwaltung zu ersetzen,
- festzustellen, daß die zum 01.07.1987 vorgenommene vorläufige Versetzung des Arbeitnehmers Michael M… in die Abteilung TO-35 als Sachbearbeiter Werkzeugverwaltung aus sachlichen Gründen dringend erforderlich ist.
Der Betriebsrat hat beantragt, diese Anträge abzuweisen.
Zur Begründung hat er vorgetragen, durch die personelle Maßnahme seien die zu schützenden Interessen des Mitarbeiters K… beeinträchtigt worden. Die Auswahl hätte auf ihn fallen müssen, da er aus gesundheitlichen Gründen auf die Versetzung auf eine Stelle außerhalb des Schichtdienstes angewiesen sei. Seine Chance auf eine Stelle außerhalb des Schichtdienstes sei mit der Versetzung des Mitarbeiters M… geringer geworden. Nachteil i.S. des § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG sei auch die Versagung der beruflichen Entwicklung im Hinblick auf die Chancen zur Aufrechterhaltung bzw. zur Sicherung der gesundheitlichen Bedingungen zur Erbringung der individuellen Arbeitsleistung. In diesem Zusammenhang sei § 75 BetrVG zu beachten, wonach alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit zu behandeln seien.
Das Arbeitsgericht hat die Anträge des Arbeitgebers abgewiesen. Auf seine Beschwerde hat das Landesarbeitsgericht den Anträgen stattgegeben und gleichzeitig die Rechtsbeschwerde hinsichtlich des Zustimmungsersetzungsantrags zugelassen. Insoweit begehrt der Betriebsrat mit der Rechtsbeschwerde die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung, während der Arbeitgeber um Zurückweisung der Rechtsbeschwerde bittet.
Entscheidungsgründe
B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Versetzung des Arbeitnehmers Michael M… in die Abteilung TO-35 als Sachbearbeiter Werkzeugverwaltung ersetzt.
Der Betriebsrat hat zu Unrecht die Zustimmung zu der geplanten Versetzung verweigert. Innerhalb der Wochenfrist hat er sich nur auf § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG berufen. Die tatsächlichen Voraussetzungen, die eine Zustimmungsverweigerung nach dieser Bestimmung rechtfertigen können, liegen jedoch nicht vor.
I. Nach § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG kann der Betriebsrat die Zustimmung zu geplanten personellen Maßnahmen verweigern, wenn die durch Tatsachen begründete Besorgnis besteht, daß infolge der personellen Maßnahme im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer gekündigt werden oder sonstige Nachteile erleiden, ohne daß dies aus betrieblichen oder persönlichen Gründen gerechtfertigt ist. Unter “sonstigen Nachteilen” i.S. dieser Vorschrift ist die Verschlechterung des bisherigen rechtlichen oder tatsächlichen Status anderer Arbeitnehmer des Betriebs zu verstehen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut und dem Schutzzweck der Norm. Der Zustimmungsverweigerungsgrund wurde auch geschaffen, um die im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer vor unberechtigten Eingriffen in ihre tatsächliche und rechtliche Stellung zu schützen. Es sollen deshalb auch solche Nachteile von der Belegschaft abgewehrt werden, die den Arbeitnehmern infolge Erschwerung ihrer Arbeitsbedingungen drohen (Beschluß des Senats vom 15. September 1987, BAGE 56, 108, 116 f. = AP Nr. 46 zu § 99 BetrVG 1972, zu B I 2c der Gründe, mit zust. Anm. Streckel, SAE 1988, 194 mit zust. Anm. Oetker; bestätigt durch Urteil des Senats vom 26. Januar 1988 – 1 AZR 531/86 – zu II 3 der Gründe, zur Veröffentlichung vorgesehen).
II. In seiner Zustimmungsverweigerungserklärung hat der Betriebsrat tatsächliche Nachteile von nicht unerheblichem Gewicht, die anderen Arbeitnehmern infolge der Versetzung des Arbeitnehmers M… drohen, nicht genannt. Er hat nicht behauptet, daß andere im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer durch die Versetzung des Arbeitnehmers M… eine Verschlechterung ihrer tatsächlichen Arbeitsbedingungen erleiden.
III.1. Das Landesarbeitsgericht hat deshalb zu Recht nur geprüft, ob der Betriebsrat mit seiner Zustimmungsverweigerungserklärung eine Verschlechterung der bisherigen rechtlichen Stellung anderer Arbeitnehmer dargelegt hat. Dies hat es zutreffend verneint. Das Landesarbeitsgericht ist dabei von der Rechtsprechung des Senats (BAGE 29, 345, 356 = AP Nr. 1 zu § 100 BetrVG 1972, zu III 5c der Gründe; BAG Beschluß vom 18. Juli 1978 – 1 ABR 43/75 – AP Nr. 1 zu § 101 BetrVG 1972; BAG Beschluß vom 6. Oktober 1978 – 1 ABR 51/77 – AP Nr. 10 zu § 99 BetrVG 1972) ausgegangen. Danach liegt ein Nachteil i.S. von § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG nicht vor, wenn durch die Einstellung oder Versetzung einem anderen im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer nur die Chance genommen wird, diesen Arbeitsplatz zu erhalten (zustimmend die ganz überwiegende Meinung im Schrifttum, vgl. Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 3. Aufl., § 99 Rz 117, m.w.N.). Im Hinblick auf den Verlust einer solchen Beförderungs- bzw. Versetzungschance hat der Senat ausgeführt, ein sonstiger Nachteil i.S. von § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG könne nur der Verlust einer Rechtsposition oder einer rechtserheblichen Anwartschaft sein. Der Verlust der Chance auf einen zukünftigen Vorteil kann danach nur dann als gegenwärtiger Nachteil bewertet werden, wenn der zukünftige Vorteil bereits soweit rechtlich verfestigt ist, daß er Bestandteil des gegenwärtigen Arbeitsverhältnisses ist (vgl. Oetker, aaO, S. 205, unter B IV 2c).
2. Durch die Versetzung des Arbeitnehmers M… ist dem Arbeitnehmer K… die Chance entgangen, die Stelle eines “Sachbearbeiters Werkzeugverwaltung” zu erhalten. Der Verlust dieser Chance auf eine andere Position ist nach der Rechtsprechung des Senats kein Nachteil i.S. von § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG. Ein Rechtsverlust wäre nur dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer K… einen Anspruch oder eine Anwartschaft auf die Einnahme des dem Arbeitnehmer M… zugesprochenen Arbeitsplatzes gehabt hätte, etwa aufgrund einer vertraglichen Zusage oder aufgrund von Auswahlrichtlinien gemäß § 95 BetrVG. Das Landesarbeitsgericht hat, ohne daß dies von der Rechtsbeschwerde gerügt worden ist, festgestellt, daß eine derartige Absicherung des Arbeitnehmers K… nicht bestand. Dieser hat aufgrund des mit dem Arbeitgeber bestehenden Arbeitsvertrages lediglich einen Anspruch auf Beschäftigung innerhalb des Tätigkeitsbereichs eines Flugzeugmechanikers.
3. Entgegen der Annahme des Betriebsrats folgt etwas anderes im Hinblick auf eine bereits erlangte Rechtsposition auch nicht daraus, daß der Arbeitnehmer K… aufgrund des von ihm vorgelegten ärztlichen Attestes vom 3. Mai 1987 möglicherweise nachtdienstuntauglich war. Zwar kann sich aufgrund der Fürsorgepflicht u.U. eine Verpflichtung des Arbeitgebers zur Versetzung ergeben. Dies kann dann der Fall sein, wenn der Arbeitnehmer zur Erfüllung der geschuldeten Arbeitsleistung unfähig wird und dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der wechselseitigen Verpflichtungen eine Versetzung möglich und zumutbar ist (vgl. dazu BAG Urteil vom 25. März 1959 – 4 AZR 236/56 – AP Nr. 27 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht). Aus einer solchen Verpflichtung des Arbeitgebers zur Versetzung würde sich aber kein Anspruch des Arbeitnehmers K… gerade auf Einnahme des dem Arbeitnehmer M… zugedachten Arbeitsplatzes ergeben. Deshalb kann dahingestellt bleiben, ob die vom Betriebsrat in zweiter Instanz vorgelegte weitere ärztliche Bescheinigung vom 17. November 1987 unter dem Gesichtspunkt der Substantiierung der Zustimmungsverweigerungsgründe noch berücksichtigt werden kann (vgl. dazu Beschluß des Senats vom 15. September 1987, BAGE 56, 108, 118 = AP, aaO, zu B I 2c letzter Absatz der Gründe). Im übrigen ist der Arbeitnehmer K… nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts entsprechend der ärztlichen Bescheinigung vom 3. Mai 1987 unstreitig nicht mehr im Nachtdienst eingesetzt worden. Aus dem späteren Attest vom 17. November 1987 ergibt sich keine Schichtdienstunfähigkeit während des Tages.
4. Es ist auch nicht ersichtlich, daß der Arbeitnehmer K… eine rechtserhebliche Anwartschaft auf Einnahme des Arbeitsplatzes aufgrund des Gleichbehandlungsgrundsatzes besaß. Der Arbeitnehmer K… hatte Gelegenheit, sich um die Position “Sachbearbeiter Werkzeugverwaltung” zu bewerben, und hat diese auch genutzt. Wenn der Arbeitgeber ihm den Mitarbeiter M… vorzog, so liegt hierin keine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes. Es liegt im Ermessen des Arbeitgebers, aus den Bewerbern die Person auszuwählen, die ihm am geeignetesten erscheint (vgl. BAGE 29, 345, 356 f. = AP Nr. 1 zu § 100 BetrVG 1972, zu III 5c der Gründe).
5. Unbegründet ist auch die Rüge des Betriebsrats, ein Nachteil i.S. von § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG sei bereits immer dann zu besorgen, wenn der bei der Auswahl der Bewerber im Rahmen einer Versetzung nicht berücksichtigte Arbeitnehmer in einem späteren Kündigungsschutzverfahren gehindert sei vorzubringen, es sei eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit im Betrieb vorhanden gewesen, hätte der Arbeitgeber diesen Arbeitsplatz nur nicht vorher bereits anderweitig besetzt. Ein solcher Vorgriff auf nicht absehbare Kündigungen ist nicht möglich. Es fehlt der ursächliche Zusammenhang zwischen der geplanten personellen Einzelmaßnahme – hier der Versetzung – und anderen Arbeitnehmern drohenden Nachteilen. Der Zustimmungsverweigerungsgrund des § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG verlangt die durch Tatsachen begründete Besorgnis, daß “infolge” der personellen Maßnahme im Betrieb beschäftigte Arbeitnehmer Nachteile erleiden.
Dementsprechend war die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats zurückzuweisen.
Unterschriften
Dr. Kissel, Matthes, Dr. Weller, Kehrmann, Dr. Münzer
Fundstellen
BB 1989, 2328-2329 (LT1) |
DB 1990, 283 (SLT1) |
BetrVG, (5) (LT1) |
DRsp, VI (642) 263 a-b (T) |
ASP 1990, 99 (K) |
JR 1990, 176 |
NZA 1989, 937-938 (LT1) |
RdA 1989, 380 |
AP § 99 BetrVG 1972 (LT1), Nr 66 |
EzA § 99 BetrVG 1972, Nr 74 (LT1) |
VR 1990, 218 (K) |