Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialplan. Betriebsänderung
Leitsatz (amtlich)
Wird in einem Betrieb ein System durchgeführt, das die Strukturierung, Vereinheitlichung und Optimierung von Arbeitsprozessen sowie deren Rationalisierung zum Ziel hat, kann das mit einer Betriebsänderung iSv. § 111 BetrVG einhergehen. Es kommt insoweit aber auf die konkreten Maßnahmen und deren betriebliche Umsetzung an.
Orientierungssatz
1. Voraussetzung für einen erzwingbaren Sozialplan ist das Vorliegen einer Betriebsänderung iSv. § 111 BetrVG. Nur dann hat die Einigungsstelle eine entsprechende Spruchzuständigkeit.
2. Das Aufstellen eines vorsorglichen Sozialplans oder eines Rahmen- oder Dauersozialplans für künftige, noch nicht konkrete geplante Betriebsänderungen fällt nicht unter §§ 111 ff. BetrVG. Es ist freiwillig möglich, aber nicht erzwingbar.
3. Das Ein- und Durchführen eines Systems in einem Betrieb, das die Strukturierung, Vereinheitlichung und Optimierung von Arbeitsprozessen sowie deren Rationalisierung zum Ziel hat, kann mit einer die Mitbestimmung des Betriebsrats auslösenden Betriebsänderung nach § 111 BetrVG einhergehen. Es kommt insoweit aber auf die konkreten Maßnahmen und deren betriebliche Umsetzung an.
Normenkette
BetrVG §§ 111, 111 Sätze 1, 3 Nrn. 1-5, § 112 Abs. 4 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin wird der Beschluss des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 22. Januar 2014 – 3 TaBV 38/13 – aufgehoben.
Die Beschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Lübeck vom 26. Juni 2013 – 5 BV 9/13 – wird zurückgewiesen.
Tatbestand
A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines durch Einigungsstellenspruch beschlossenen Sozialplans.
Die Arbeitgeberin stellt in ihrem Werk in G Bremsbeläge für Automobil- und Industrieanwendungen her. Sie beschäftigt über 900 Arbeitnehmer; bei ihr ist der zu 2. beteiligte Betriebsrat gebildet. Mit diesem verhandelte sie seit 2006 über das „H Operating System” (H.O.S.). Dabei handelt es sich um ein Verfahren zur Strukturierung, Standardisierung und Optimierung von Arbeitsabläufen. Seine Einführung und Anwendung ist standardisiert (H.O.S. Standard Implementation Framework – S.I.F.) und in fünf aufeinander aufbauende Phasen gegliedert. „Phase 1 – Organisatorische Bereitschaft” und „Phase 2 – Grundlagen und Planung” sind ua. beschrieben mit der Schaffung der organisatorischen Grundlagen, der Festlegung von Verantwortlichkeiten und Führungsteams, der Grundlagenanalyse und der Bestandsaufnahme der Lieferkette, der Einrichtung von Verbesserungsteams und der Erstellung ausführlicher Schulungs- und Implementierungspläne sowie der Entwicklung von Konzepten zur Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse. „Phase 3 – Lernen durch Beobachtung und Stabilisierung des Prozesses” erfasst ua. die Entwicklung standardisierter Arbeitsabläufe mithilfe von Arbeitsblättern, welche Vorgaben für die Reihenfolge der Erledigungsschritte einschließlich Zeitangaben enthalten, sowie die Gestaltung des Arbeitsumfelds. In „Phase 4 – Verbesserung der Arbeitsprozesse” werden ua. auf der Grundlage einer internen Auswertung der ermittelten standardisierten Arbeits- und Produktionsabläufe Kennzahlen erstellt, die Hauptverfahren, Zeit, Maschinen- und Mitarbeiterauslastung betreffen und Verbesserungen umgesetzt. Weiterhin wird ein System zur Erreichung höchstmöglicher Maschinenverfügbarkeit implementiert. „Phase 5 – Streben nach Qualität” dient der Langzeiterprobung der zuvor entwickelten Arbeitsprozesse, wobei ein „Bronze-, Silber- und Goldstatus” ausgewiesen sind.
Am 18. April 2008 vereinbarten die Arbeitgeberin und der Betriebsrat einen Teilinteressenausgleich über die Umsetzung der ersten drei Phasen des H.O.S. in bestimmten ausgewählten Bereichen. Am 20. Juni 2011 schlossen sie eine Betriebsvereinbarung über die werksweite Einführung der Phasen 1 bis 3. Die Verhandlungen zu einem Interessenausgleich über die Einführung und Umsetzung aller Phasen scheiterten. Die daraufhin gebildete Einigungsstelle beschloss am 10. Januar 2013 einen Sozialplan mit dem Gegenstand „Betriebsvereinbarung ‚H.O.S.’ – wirtschaftliche Nachteile” (BV H.O.S.). Er lautet auszugsweise:
„1 Geltungsbereich
1.1.
Diese Betriebsvereinbarung wird zur Regelung der möglichen wirtschaftlichen Folgen für folgende geplante und zum Teil schon durchgeführte Maßnahmen geschlossen.
Die Arbeitgeberin führt das H Operating System (H.O.S.) ein. H.O.S. beinhaltet Instrumente und Lean-Methoden, um Arbeitsabläufe und Routinen zu strukturieren, zu vereinheitlichen und zu optimieren sowie Fertigungsprozesse anschaulich zu beschreiben und Kennzahlen festzulegen. … Nunmehr sollen alle Phasen des H.O.S. werksweit (inklusive Entwicklung) eingeführt werden. Die Interessenausgleichsverhandlungen hierüber sind gescheitert.
…
2 Betriebsbedingte Beendigungen von Arbeitsverhältnissen
Erfolgen betriebsbedingte Beendigungen von Arbeitsverhältnissen durch Kündigung oder den Abschluss von Aufhebungsverträgen, haben betroffene Beschäftigte Anspruch auf Abfindungen nach den nachstehenden Regeln, es sei denn, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch das ‚HOS’ verursacht worden ist.
2.1 Abfindungsformel
Die Höhe der Abfindung berechnet sich wie folgt:
Betriebszugehörigkeit × Bruttomonatseinkommen
2.2 Grundbetrag und Mindestbetrag
Zuzüglich zur obigen Formel wird ein Grundbetrag gezahlt in Abhängigkeit von der Betriebszugehörigkeit:
…
Der Mindestabfindungsbetrag nach Ziff. 2.1 und 2.2 befrägte 10.000,00.
2.3 Leistungen für Sondergruppen
…
4 Wegfall von Arbeitsplätzen, Qualifizierung und Versetzungen
4.1
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die ihren Arbeitsplatz aus betrieblichen Gründen wechseln, erhalten für die Dauer von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt des Wechsels mindestens ihre bisherige Bruttovergütung. …
4.2
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die aus betrieblichen Gründen abgruppiert werden, erhalten für die Dauer von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt des Wechsels die Differenz zwischen ihrer bisherigen und ihrer neuen monatlichen Vergütung als tarifdynamische persönliche Zulage vergütet. Diese wird nicht gegen andere Einkommensbestandteile gegengerechnet.
…
4.3
Die Ansprüche aus Ziffern 5.1 und 5.2 bestehen nicht, wenn der Arbeitsplatzwechsel bzw. die Herabgruppierung nicht durch die Maßnahmen nach der Betriebsvereinbarung ‚HOS’ verursacht worden ist.
5 Schlussbestimmungen
Diese Betriebsvereinbarung tritt am 1. Februar 2013 in Kraft.
Die vorstehenden Regelungen gelten bis zum Erreichen des ‚Goldstatus’ plus zwei Jahre nach SIF, längstens jedoch für die Maßnahmen, die bis zum 31.12.2020 eingeleitet worden sind.
Die Arbeitgeberin kann die Regelungen der Ziffern 2 und 4 kündigen, wenn bei ihrer Anwendung wegen des Gesamtbetrages der Sozialplanleistungen der Fortbestand des Unternehmens oder Arbeitsplätze des Betriebs gefährdet würden. Im Falle einer solchen Kündigung ist mit dem Betriebsrat eine Neuregelung für den Bereich der Ziffern 2 und 4 zu vereinbaren. Im Fall der Nicht-Einigung gilt das gesetzliche Verfahren.”
Der vom Vorsitzenden unterzeichnete Einigungsstellenspruch wurde der Arbeitgeberin am 15. Januar 2013 zugeleitet.
Mit am 29. Januar 2013 beim Arbeitsgericht eingegangenem Antrag hat die Arbeitgeberin den Spruch angefochten und sowohl Rechtsverstöße als auch eine fehlerhafte Ermessensausübung geltend gemacht. Mit dem Spruch sei ein Vorrats- oder Rahmensozialplan aufgestellt, für den die Einigungsstelle nicht zuständig sei. Darüber hinaus würden die Belange des Betriebs und der betroffenen Arbeitnehmer nicht angemessen berücksichtigt.
Die Arbeitgeberin hat beantragt
festzustellen, dass der Spruch der Einigungsstelle vom 10. Januar 2013 mit dem Gegenstand „Betriebsvereinbarung H.O.S. – wirtschaftliche Nachteile” unwirksam ist.
Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag abzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, H.O.S. sei ein gezielter Veränderungsprozess in mehreren Schritten, bei dem künftige Nachteile – jedenfalls abstrakt – vorhersehbar seien.
Das Arbeitsgericht hat dem Antrag entsprochen. Das Landesarbeitsgericht hat ihn auf die Beschwerde des Betriebsrats abgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
B. Die zulässige Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat den Beschluss des Arbeitsgerichts zu Unrecht abgeändert und den zulässigen Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen. Der Einigungsstellenspruch vom 10. Januar 2013 ist unwirksam.
I. Der Antrag ist zulässig. Er ist zutreffend auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs gerichtet. Eine gerichtliche Entscheidung über die Wirksamkeit des Spruchs einer Einigungsstelle hat feststellende und nicht rechtsgestaltende Wirkung. Deshalb ist die Feststellung seiner Unwirksamkeit und nicht seine Aufhebung zu beantragen (BAG 9. Juli 2013 – 1 ABR 19/12 – Rn. 11, BAGE 145, 330).
II. Der Antrag ist auch begründet. Der Spruch vom 10. Januar 2013 ist unwirksam. Die Einigungsstelle war für die Aufstellung des mit der BV H.O.S. geschlossenen Sozialplans nicht zuständig.
1. Voraussetzung für einen erzwingbaren Sozialplan, über dessen Aufstellung die Einigungsstelle gemäß § 112 Abs. 4 Satz 1 BetrVG dann zu entscheiden hat, wenn zwischen den Betriebsparteien keine Einigung zustande kommt, ist das Vorliegen einer Betriebsänderung iSv. § 111 BetrVG (BAG 18. März 2008 – 1 ABR 77/06 – Rn. 10, BAGE 126, 169). In einem durch Spruch der Einigungsstelle zustande gekommenen Sozialplan können nur Regelungen über den Ausgleich oder die Milderung der durch eine konkrete geplante Betriebsänderung entstehenden wirtschaftlichen Nachteile getroffen werden. Bestehen Unsicherheiten darüber, ob eine Betriebsänderung vorliegt, können Arbeitgeber und Betriebsrat zwar einen Sozialplan für den Fall vereinbaren, dass es sich bei den Maßnahmen um eine Betriebsänderung handelt (vgl. BAG 17. April 2012 – 1 AZR 119/11 – BAGE 141, 101). Auch können sie Rahmen- oder Dauersozialpläne für künftige, noch nicht konkret geplante Betriebsänderungen schließen. Das Aufstellen solcher Sozialpläne fällt aber nicht unter §§ 111 ff. BetrVG. Dies ist freiwillig möglich, jedoch nicht erzwingbar (vgl. BAG 11. Dezember 2007 – 1 AZR 824/06 – Rn. 34).
2. Vorliegend tragen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht die Annahme, der angefochtene Einigungsstellenspruch beziehe sich auf eine konkrete Betriebsänderung. Die werksweite Einführung und Anwendung des H.O.S. ist – für sich gesehen – keine Betriebsänderung.
a) § 111 Satz 1 BetrVG sieht das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats für geplante Betriebsänderungen vor, die wesentliche Nachteile für die ganze Belegschaft oder erhebliche Teile zur Folge haben können. § 111 Satz 3 BetrVG zählt auf, welche Tatbestände als Betriebsänderungen iSd. Satz 1 der Vorschrift gelten.
b) Die Ein- und Durchführung von H.O.S. betrifft keine – als Betriebsänderung geltende – Fallgestaltung iSd. § 111 Satz 3 Nrn. 1 bis 3 BetrVG. Hierfür fehlt es an jeglichen Anhaltspunkten.
c) Es handelt sich aber auch nicht um eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen iSv. § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG oder um die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren iSv. § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG.
aa) Nach § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG gilt als Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 1 BetrVG die grundlegende Änderung der Betriebsorganisation, des Betriebszwecks oder der Betriebsanlagen. Da aufgrund des H.O.S. weder der Zweck des Betriebs der Arbeitgeberin noch die für dessen Verfolgung eingesetzten Betriebsanlagen wesentlich modifiziert werden sollen, kommt allein die Alternative einer „Änderung der Betriebsorganisation” in Betracht. Um eine solche handelt es sich, wenn der Betriebsaufbau, insbesondere hinsichtlich Zuständigkeiten und Verantwortung, umgewandelt wird. Grundlegend ist die Änderung, wenn sie sich auf den Betriebsablauf in erheblicher Weise auswirkt. Maßgeblich dafür ist der Grad der Veränderung. Es kommt entscheidend darauf an, ob die Änderung einschneidende Auswirkungen auf den Betriebsablauf, die Arbeitsweise oder die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer hat. Die Änderung muss in ihrer Gesamtschau von erheblicher Bedeutung für den gesamten Betriebsablauf sein. Nur dann ist die mit § 111 Satz 3 Nr. 4 BetrVG verbundene Fiktion gerechtfertigt, dass die Maßnahme iSv. § 111 Satz 1 BetrVG wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile davon zur Folge hat (BAG 18. März 2008 – 1 ABR 77/06 – Rn. 22 mwN, BAGE 126, 169).
bb) Gemäß § 111 Satz 3 Nr. 5 BetrVG gilt als Betriebsänderung auch die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren.
(1) „Arbeitsmethode” bezeichnet die jeweilige Art, eine Arbeit systematisch abzuwickeln. Darunter fallen die Strukturierung des Arbeitsablaufs des einzelnen Arbeitnehmers – wie Handgriffe, Bewegungsabläufe –, die des Arbeitsablaufs zwischen den Arbeitnehmern – wie Einzel-, Gruppenarbeit – und der Einsatz technischer Hilfsmittel – etwa von Maschinen, Werkzeugen und Vorrichtungen – (vgl. Heino Schmidt Der Sozialplan in betriebswirtschaftlicher Sicht Göttingen Diss. 1989 S. 62). Gemeint sind letztlich alle konzeptionellen Regeln, welche hinter dem mehr oder weniger viele einzelne, unselbständige Arbeitsvorgänge gegliederten Arbeitsablauf stehen, dh. die Festlegung, auf welchem Bearbeitungsweg und mit welchen Arbeitsmitteln durch welche Beschäftigten die Aufgabe erfüllt werden soll. Die „Arbeitsmethode” erweist sich damit als das auf der Grundlage der personellen, räumlichen, technischen und sonstigen bedeutsamen Gegebenheiten und Möglichkeiten entwickelte Modell des Ablaufs derjenigen Arbeit, die zur Erfüllung der gestellten Aufgabe geleistet werden muss (vgl. BVerwG 30. August 1985 – 6 P 20.83 – zu II 2 c der Gründe, BVerwGE 72, 94).
(2) Der Begriff der „Fertigungsverfahren” ist identisch mit dem der Fabrikationsmethode in § 106 Abs. 3 Nr. 5 BetrVG (vgl. Richardi/Annuß BetrVG 15. Aufl. § 111 Rn. 121). Er bezieht sich auf das technische Verfahren bei der Verfolgung des arbeitstechnischen Zwecks (Oetker GK-BetrVG 10. Aufl. § 111 Rn. 169).
(3) Auch bei Nr. 5 des § 111 Satz 3 BetrVG ist Voraussetzung, dass es um die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren geht. Das erfordert prinzipiell eine qualitative Bewertung, wobei sich der bedeutsame Charakter einer neuen Arbeitsmethode oder eines neuen Fertigungsverfahrens auch aus der Zahl der von ihr betroffenen Arbeitnehmer (Fitting BetrVG 28. Aufl. § 111 Rn. 101) oder dem Gewicht der Auswirkungen auf die Beschäftigten ergeben kann (vgl. BVerwG 14. März 1986 – 6 P 10.83 – zu II der Gründe).
cc) Ausgehend davon unterfällt die Einführung und Anwendung von H.O.S. nicht § 111 Satz 3 Nr. 4 oder Nr. 5 BetrVG.
(1) H.O.S. ist – auch nach dem übereinstimmenden Verständnis der Betriebsparteien – ein mehrstufiges, in seinen Phasen aufeinander aufbauendes Verfahren, mit dem die Mitarbeiter die Arbeitsabläufe in ihrem Bereich analysieren und kontinuierlich verbessern sollen. Entsprechend beschreibt Nr. 1.1 Satz 3 des streitbefangenen Einigungsstellenspruchs unter der Überschrift „Geltungsbereich”, dass H.O.S. „Instrumente und Lean-Methoden” beinhaltet, „um Arbeitsabläufe und Routinen zu strukturieren, zu vereinheitlichen und zu optimieren sowie Fertigungsprozesse anschaulich zu beschreiben und Kennzahlen festzulegen”.
(2) Als ein auf die schrittweise Verbesserung und Perfektionierung von Arbeitsprozessen fokussiertes Konzept gilt H.O.S. nicht ohne Weiteres als eine Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 3 Nr. 4 oder Nr. 5 BetrVG.
(a) Jegliche Implementierung von (neuen) organisatorischen Konzepten, Methoden und Regeln zur Strukturierung, Vereinheitlichung und Optimierung von Arbeitsprozessen oder von Systemen zu deren Rationalisierung kann mit einer die Mitbestimmung des Betriebsrats auslösenden Betriebsänderung nach § 111 BetrVG einhergehen. Zwingend ist das aber nicht. Es kommt insoweit auf die konkreten Maßnahmen und deren betriebliche Umsetzung an.
(b) Als konkrete Maßnahmen umfasst H.O.S. in seinen Phasen 1 und 2 – nach den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Beschreibungen dieser Abschnitte – mehrere Schritte einer Bestandsaufnahme (Beschreibung des „Ist-Zustandes”). Die Phasen 3 bis 5 sind gekennzeichnet durch die Entwicklung und substantielle Erstverbesserung ermittelter standardisierter Arbeits- und Produktionsabläufe sowie eine (Langzeit-)Erprobung entwickelter, „verschlankter” Arbeitsprozesse. Damit kann H.O.S. zwar die Betriebsorganisation, die Arbeitsmethode und das Fertigungsverfahren betreffen (etwa durch Dokumentationen oder Analysen). Es hat aber – für sich gesehen – keine einschneidenden Auswirkungen auf den Betriebsablauf, die Arbeitsweise oder die Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer. Auch stellt es keine grundlegende Änderung der Regeln zur Ausführung des Arbeitsablaufs oder des technischen Verfahrens bei der Verfolgung des arbeitstechnischen Zwecks dar. Soweit das Landesarbeitsgericht darauf abgehoben hat, mit H.O.S. würden an dem mehr als 900 Beschäftigte betreffenden Standort G die Arbeitsabläufe nachhaltig systematisch rationalisiert und effektiver – also produktiver – gestaltet, mag dies das Ziel von H.O.S. sein. Die konkret aus dem System resultierenden Rationalisierungen und Effektivierungen sind aber ergebnisoffen. So kann sich etwa ergeben, dass es sich in einem bestimmten Fertigungsbereich anbietet, das benötigte Werkzeug an einem bestimmten Platz abzulegen (um etwa den Zugriff darauf rationeller zu gestalten). Dies wäre keine durchgreifende Änderung der Betriebsorganisation, der Arbeitsmethode oder des Fertigungsverfahrens. Sollte sich dagegen herausstellen, dass es effektiver ist, einen Arbeitsschritt ganz ohne Werkzeug zu bewerkstelligen, könnte dies eher den Arbeitsablauf gravierend umgestalten. H.O.S. gibt insoweit aber keine Änderung vor, sondern beschreibt Methoden der Ermittlung und Erprobung. Ohne konkrete Umsetzungsergebnisse – die weder der Betriebsrat noch die angefochtene Entscheidung aufzeigen – kann damit nicht von einer Betriebsänderung iSd. § 111 Satz 3 Nr. 4 oder Nr. 5 BetrVG ausgegangen werden.
(c) Auch die Standardisierung der Arbeitsabläufe als zentraler „Baustein” des H.O.S. besagt nichts über eine grundlegende Änderung der Betriebsorganisation oder über die Einführung grundlegend neuer Arbeitsmethoden und Fertigungsverfahren. Durch Standardisierung wird typischerweise jedes einzelne Vorgehen in einer Prozesskette detailliert beschrieben. Die Arbeitsabläufe zur Erstellung eines Produkts werden unter dem Aspekt der Optimierung menschlicher Bewegungsabläufe ermittelt. Wenn diese optimale Arbeitsschrittreihenfolge auf entsprechenden Arbeitsblättern dokumentiert und in der Fertigung ausgehängt ist, scheint abgesichert, dass die Arbeitsschritte immer in gleicher Reihenfolge durchgeführt werden. Inwieweit jedoch eine solche Standardisierung zu einer grundlegend anderen Art und Weise der Erledigung einer bestimmten Aufgabenstellung führt, ist weder festgestellt noch ist es als Ergebnis eines konzeptionellen Suchprozesses feststehend. Auch führt die Optimierung von Arbeitsabläufen nicht – jedenfalls nicht zwingend – zu deren grundlegender Modifikation. Ebenso verhält es sich mit der vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Anwendung des Systems zur Erreichung höchstmöglicher Maschinenverfügbarkeit.
d) Schließlich kann nicht von einer (geplanten) Betriebsänderung iSv. § 111 Satz 1 BetrVG, die wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile der Belegschaft zur Folge haben können, ausgegangen werden. Eine solche ist grundsätzlich jede Änderung der betrieblichen Organisation, der Struktur, des Tätigkeitsbereichs, der Arbeitsweise, der Fertigung oder des Standorts, sofern sie wesentliche Nachteile für die Belegschaft oder erhebliche Teile derselben zur Folge haben kann. In diesem Sinn kann zwar mit H.O.S. als standardisiert-konzeptionellem Verfahren zur Verbesserung des Produktionsstandorts und zur Steigerung der Produktivität – je nach konkreten Ergebnissen und tatsächlicher Umsetzung – eine strukturelle, organisatorische, tätigkeits-, arbeitsweise-, fertigungs- oder gar standortbezogene Modifikation mit der Möglichkeit nachteiliger Folgen für die betroffenen Arbeitnehmer verbunden sein. H.O.S. ist aber nicht kraft Zielsetzung und Gestaltungsregel eine solche Betriebsänderung.
3. Mit der BV H.O.S. ist nach all dem allenfalls ein Sozialplan für eventuelle künftige, in Verbindung mit der Ein- und Durchführung von H.O.S. stattfindende Betriebsänderungen aufgestellt. Dafür hatte die Einigungsstelle gegen den Willen der Arbeitgeberin keine Spruchzuständigkeit.
Unterschriften
Schmidt, Treber, K. Schmidt, Hromadka, D. Wege
Fundstellen
BAGE 2017, 313 |
BB 2016, 1913 |
DB 2016, 1824 |
DB 2016, 6 |
NJW 2016, 9 |
EWiR 2016, 609 |
FA 2016, 284 |
NZA 2016, 894 |
ZIP 2016, 1458 |
ZTR 2016, 538 |
AP 2016 |
EzA-SD 2016, 14 |
EzA 2016 |
ArbRB 2016, 234 |
ArbRB 2016, 268 |
NJW-Spezial 2016, 467 |