Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bei Inanspruchnahme der Konzernobergesellschaft
Orientierungssatz
Die bloße Behauptung des Arbeitnehmers, es liege eine Rechtsnachfolge im Sinne von § 3 ArbGG vor, genügt, um die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zu begründen.
Tenor
1. Die weitere sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den
Beschluß des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 15.
November 1999 - 4 Ta 266/99 - wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten der weiteren sofortigen
Beschwerde zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 DM
festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten über die Feststellung und Eintragung von Zahlungsansprüchen zur Gesamtvollstreckungstabelle.
Der Kläger war bei der B Vertrieb GmbH & Co. KG vom 1. April 1994 bis zum 31. Mai 1998 beschäftigt. Es war eine monatliche Bruttovergütung von zuletzt 4.000,00 DM zuzüglich Provisionen vereinbart. Der Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen dieser Gesellschaft wurde mit Beschluß des Amtsgerichts Leipzig vom 30. November 1998 mangels Masse abgelehnt.
Der Beklagte ist durch Beschluß des Amtsgerichts Leipzig vom 1. August 1998 zum Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der B Sanierung Holding GmbH (im folgenden: Schuldnerin) bestellt worden. Der Kläger verlangt von ihm, Forderungen in Höhe von 478.417,00 DM, 174.507,00 DM und 34.108,00 DM zur Eintragung in die Tabelle im Gesamtvollstreckungsverfahren festzustellen. Dabei macht er Vorrechte nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 a GesO und nach § 17 Abs. 3 Nr. 1 a GesO geltend. Bei den erhobenen Ansprüchen handelt es sich um Gehälter, Provisionen und Urlaubsgelder, die ihm die B Vertrieb GmbH & Co. KG schuldig geblieben sei.
Im vorliegenden Verfahren streiten die Parteien über die Zulässigkeit des Rechtswegs. Der Kläger hat geltend gemacht, er sei Arbeitnehmer der Schuldnerin gewesen, weil diese mit den übrigen Unternehmen der B-Gruppe einen "Einheitsbetrieb" gebildet habe. Zumindest hafte der Beklagte nach den Grundsätzen der Haftung im qualifiziert faktischen Konzern, da die Schuldnerin ihre Leitungsmacht in einer Weise ausgeübt habe, die keine Rücksicht auf die Belange der abhängigen Gesellschaft, hier der B Vertrieb GmbH & Co. KG, genommen habe; die dem Vertrieb zugefügten Nachteile hätten sich auch nicht kompensieren lassen. Der Beklagte hat geltend gemacht, daß zwischen den Parteien des Rechtsstreits kein Arbeitsverhältnis bestanden habe; streitentscheidend seien allein Normen des Aktien- bzw. GmbH-Konzernrechts sowie des Gesamtvollstreckungsrechts.
Die Vorinstanzen haben die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bejaht. Mit seiner weiteren sofortigen Beschwerde will der Beklagte erreichen, daß der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für unzulässig erklärt wird.
II. Die weitere sofortige Beschwerde ist unbegründet. Für den Streitfall ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen eröffnet. Das haben die Vorinstanzen im Ergebnis zutreffend entschieden.
1. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus dem Arbeitsverhältnis. Gemäß § 3 ArbGG besteht die so begründete Zuständigkeit auch in Fällen der Rechtsnachfolge oder Prozeßführungsbefugnis. Allein nach den genannten Vorschriften beurteilt sich die Zuständigkeit auch im vorliegenden Fall. Sie folgt nicht etwa aus § 11 Abs. 3 Satz 3 GesO, der gemäß § 103 EGInsO Anwendung findet. Diese Vorschrift regelt lediglich die örtliche Zuständigkeit.
a) § 11 Abs. 3 Satz 3 GesO lautete in der ursprünglichen Fassung:
"... ist ausschließlich das Gericht zuständig, bei dem die
Gesamtvollstreckung durchgeführt wird".
In Literatur und Rechtsprechung bestand Streit über die Bedeutung der Vorschrift. Es gab die Auffassung, § 11 Abs. 3 Satz 3 GesO lege abschließend die Zuständigkeit der Kreisgerichte fest, auch soweit es etwa um arbeitsrechtliche Ansprüche gehe (so zB LAG Brandenburg 2. Juni 1993 - 3 Ta 37/93 - ZIP 1993, 1829 f.; Schaub NZA 1991, 785, 787). Demgegenüber wurde auch schon zur alten Gesetzesfassung die Meinung vertreten, es sei § 146 Abs. 2 und 5 KO entsprechend anzuwenden; etwa für arbeitsrechtliche Ansprüche sei die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte anzunehmen (vgl. dazu etwa Pape, DtZ 1993, 301, 303).
b) Durch Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze vom 24. Juni 1994 (BGBl. I S 1374 ff.) erhielt § 11 Abs. 3 Satz 3 GesO ab 25. Juni 1994 die heutige Fassung:
"... ist das Gericht örtlich zuständig, in dessen Bezirk das
Gesamtvollstreckungsgericht seinen Sitz hat".
Für die Annahme eines Regelungsgehalts, der über die örtliche Zuständigkeit hinaus-geht, ist bei diesem Wortlaut kein Raum mehr. Wäre die Begründung einer ausschließlichen Zuständigkeit der Gesamtvollstreckungsgerichte gewollt gewesen, hätte eben dies wörtlich ausgedrückt werden können. Statt dessen ist lediglich von örtlicher Zuständigkeit die Rede und das Gesamtvollstreckungsgericht wird nur mit seinem Sitz als Anknüpfungspunkt für die Regelung der örtlichen Zuständigkeit herangezogen. Die Vorschrift enthält somit nach ihrem klaren Wortlaut eine Regelung lediglich für die örtliche Zuständigkeit (Haarmeyer/Wutzke/Förster GesO 4. Aufl. § 11 Rn. 96; Kilger/Karsten Schmidt KO/VglO/GesO 17. Aufl. § 11 GesO Anm. 4; Hess/Binz/Wienberg GesO § 11 Rn. 53; aA Smid/Zeuner GesO 2. Aufl. Rn. 74).
Soweit es um die sachliche oder die Rechtswegzuständigkeit geht, ist auf die allgemeinen Vorschriften abzustellen. Einer Heranziehung des § 146 Abs. 5 KO bedarf es entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts nicht. Zum einen läßt allein der Umstand, daß § 11 Abs. 3 Satz 3 GesO lediglich die örtliche Zuständigkeit regelt, den Rückgriff auf die auch sonst geltenden Zuständigkeitsregelungen zu. Zum anderen besagt § 146 Abs. 5 KO für die Frage der sachlichen oder der Rechtswegzuständigkeit selbst nichts. Die Vorschrift stellt lediglich die Möglichkeit einer anderweitigen Zuständigkeit als der des Amts- oder Landgerichts klar, regelt aber selbst nicht, wann diese gegeben ist.
2. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist gemäß § 2 Abs. 1 Ziff. 3 a ArbGG iVm. § 3 ArbGG gegeben.
a) Die Zuständigkeit folgt entgegen der Auffassung der Klägerin nicht schon aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG.
Zwar macht der Kläger Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis geltend. Nach § 2 Abs. 1 Ziff. 3 a ArbGG muß das Arbeitsverhältnis aber zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehen. Das Arbeitsverhältnis des Klägers bestand mit der B Vertrieb GmbH & Co. KG. Mit ihr hatte der Kläger einen Arbeitsvertrag geschlossen, der in Art. 4 Ziff. 1 die Zahlung einer Provision vorsah. Diese Gesellschaft und nicht die Schuldnerin war seine Arbeitgeberin.
Ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und der Schuldnerin wäre auch dann nicht zu bejahen, wenn diese mit den übrigen Unternehmen der Baugruppe einen einheitlichen Betrieb im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gebildet hätte, wie der Kläger meint. Durch das Vorhandensein eines einheitlichen Betriebs entstehen keine Arbeitsverhältnisse zwischen den Unternehmen, die diesen Betrieb tragen, und den dort Beschäftigten. Vielmehr ist es für den einheitlichen Betrieb stets kennzeichnend, daß die Arbeitsverhältnisse zu den beteiligten Arbeitgebern fortbestehen (BAG 24. Januar 1996 - 7 ABR 10/95 - BAGE 82, 112, 120).
b) Der Rechtsweg ist aber gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG iVm. § 3 ArbGG gegeben. Nach dieser Vorschrift besteht die in den §§ 2 und 2 a ArbGG begründete Zuständigkeit auch in den Fällen, in denen der Rechtsstreit durch einen Rechtsnachfolger oder durch eine Person geführt wird, die kraft Gesetzes anstelle des sachlich Berechtigten oder Verpflichteten hierzu befugt ist. Die Schuldnerin ist im Sinne dieser Vorschrift als Rechtsnachfolgerin der B Vertrieb GmbH & Co. KG anzusehen. Der Beklagte wiederum ist kraft Gesetzes, § 8 GesO, an deren Stelle zur Führung des Rechtsstreits befugt.
aa) Der Begriff der Rechtsnachfolge im Sinne von § 3 ArbGG ist nach allgemeiner Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum weit auszulegen (BAG 11. November 1986 - 3 AZR 186/85 - BAGE 53, 317, 321; Ascheid, Urteils- und Beschlußverfahren im Arbeitsrecht 2. Aufl. Rn. 568; ErfK/Schaub ArbGG § 3 Rn. 3; Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG 3. Aufl. § 3 Rn. 5; Grunsky ArbGG 7. Aufl. § 3 Rn. 4; GK-ArbGG/Wenzel § 3 Rn. 10). § 3 ArbGG gilt deshalb nicht nur bei einer Forderungsabtretung oder einer Schuldübernahme, sondern auch bei einem Schuldbeitritt, bei einer Pfändung oder Verpfändung von Ansprüchen, bei der Verfolgung von Ansprüchen aus Verträgen zu Gunsten Dritter oder mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter (BAG 11. November 1986 - 3 AZR 186/85 - BAGE 53, 320 f.; BAG 13. Juni 1997 - 9 AZB 38/96 - AP ArbGG 1979 § 3 Nr. 5; BAG 23. Oktober 1990 - 3 AZR 23/90 - AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 18 = EzA ArbGG 1979 § 2 Nr. 21). Für die erweiterte Zuständigkeit spielt es keine Rolle, ob der Schuldner einer arbeitsrechtlichen Verpflichtung wechselt oder ein Dritter als Schuldner derselben Verpflichtung neben den Arbeitgeber tritt. § 3 ArbGG will verhindern, daß über Inhalt und Umfang arbeitsrechtlicher Pflichten verschiedene Gerichtsbarkeiten entscheiden müssen. Durch eine übereinstimmende Zuständigkeit und eine einheitliche Verfahrensordnung sollen übereinstimmende Ergebnisse gewährleistet werden. Nach diesem Zweck des § 3 ArbGG genügt es, daß ein Dritter dem Arbeitnehmer die Erfüllung arbeitsrechtlicher Ansprüche zusätzlich schuldet (BAG 23. Oktober 1990 aaO).
bb) Der Kläger macht eine Rechtsnachfolge der Schuldnerin in diesem Sinne geltend, wenn er auf die seiner Meinung nach bestehende Konzernhaftung abstellt. Die Schuldnerin soll wie im Fall der Schuldübernahme oder Durchgriffshaftung neben der Gesellschaft, die Arbeitgeberin ist, für arbeitsvertragliche Ansprüche haften.
Entgegen der Auffassung des Beklagten beschränkt sich der Rechtsstreit, auch soweit es um schon titulierte Forderungen geht, nicht nur auf gesellschaftsrechtliche Fragen der Konzernhaftung. Diese verdrängen den arbeitsrechtlichen Schwerpunkt nicht. Die arbeitsrechtlichen Ansprüche des Klägers sind ausschließlich gegenüber der GmbH rechtskräftig festgestellt (vgl. dazu BAG 13. Juni 1997 aaO).
cc) Ob das Vorbringen des Klägers zur Konzernhaftung von ihm bewiesen werden kann oder auch nur als schlüssig anzusehen ist, ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats zur Zuständigkeitsprüfung bei "doppelrelevanten" Tatsachen vorliegend ohne Bedeutung (vgl. zu dieser Rechtsprechung BAG 24. April 1996 - 5 AZB 25/95 - BAGE 83, 40, 48 ff.; 9. Oktober 1996 - 5 AZB 18/96 - AP ArbGG 1979 § 2 Zuständigkeitsprüfung Nr. 2 = EZA § 2 ArbGG 1979 Nr. 33; 18. Dezember 1996 - 5 AZB 25/96 - BAGE 85, 46, 53 ff.). Danach reicht die bloße Rechtsansicht des Klägers, er sei Arbeitnehmer, zur Bejahung der arbeitsgerichtlichen Zuständigkeit aus, wenn die vor dem Arbeitsgericht in einer bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit erhobene Klage nur dann Erfolg haben kann, wenn der Kläger Arbeitnehmer ist. Ist der Kläger kein Arbeitnehmer, so ist die Klage als unbegründet abzuweisen. Eine Verweisung des Rechtsstreits in einen anderen Rechtsweg wäre in diesem Fall sinnlos.
Es liegt ein entsprechender Fall vor. Zuständigkeits- und anspruchsbegründende Tatsachen fallen teilweise zusammen. Die Klage kann nur Erfolg haben, wenn die Schuldnerin nach den Grundsätzen der Konzernhaftung haftet und damit Rechtsnachfolgerin im Sinne von § 3 ArbGG ist. Stellt sich hingegen heraus, daß sie nicht haftet, fehlt es nicht nur an der Rechtsnachfolge im Sinne von § 3 ArbGG; es steht vielmehr zugleich fest, daß der Kläger die Schuldnerin, den Beklagten, nicht in Anspruch nehmen kann. Eine Verweisung des Rechtsstreits wäre sinnlos. Die bloße Rechtsbehauptung des Klägers, es liege eine Rechtsnachfolge im Sinne von § 3 ArbGG vor, genügt mithin, um die Zuständigkeit zu begründen (so auch ErfK/Schaub ArbGG § 3 Rn. 2; Grunsky ArbGG 7. Aufl. § 3 Rn. 7; GK-ArbGG/Wenzel § 3 Rn. 47; aA Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG 3. Aufl. § 3 Rn. 4).
III. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 DM festgesetzt. Für die Bestimmung des Wertes der Hauptsache kann nicht vom Gesamtbetrag der Forderungen des Klägers ausgegangen werden. Vielmehr ergibt sich auf der Grundlage von § 3 ZPO, daß insoweit lediglich ein Wert zu schätzen ist, der dem auf die Forderung zu erwartenden Betrag entspricht, vgl. auch § 148 KO sowie § 182 InsO. Dieser für das Hauptsacheverfahren maßgebliche Wert ist im Rechtswegbestimmungsverfahren auf 1/3 zu mindern.
Griebeling
Müller-GKreft
Fundstellen