Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergütung eines Schwerbehinderten
Leitsatz (amtlich)
Nach § 54b Abs. 2 Satz 2 SchwbG „soll” sich das Arbeitsentgelt von Behinderten im Arbeitsbereich der Werkstätten für Behinderte aus einem Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgeldes, das die Bundesanstalt für Arbeit Behinderten im Arbeitstrainingsbereich zahlt, und, soweit möglich, einem leistungsangemessenen Steigerungsbetrag zusammensetzen. Danach sind die Werkstätten nicht berechtigt, schon den Grundbetrag in erster Linie nach der individuellen Leistungsfähigkeit der Behinderten zu staffeln.
Normenkette
SchwbG §§ 54 ff.
Verfahrensgang
Tenor
1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 29. Januar 1998 – 8 Sa 2052/97 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, welche Vergütung der in einer Werkstatt für Behinderte arbeitende Kläger beanspruchen kann.
Der unter Betreuung stehende Kläger ist schwerbehindert. Die Beklagte betreibt eine anerkannte Werkstatt für Behinderte. Der Kläger wurde aufgrund eines mit der Beklagten geschlossenen Werkstattvertrages im September 1989 in den Arbeitstrainingsbereich der Werkstatt aufgenommen und am 6. September 1991 in den Arbeitsbereich übernommen. Bis einschließlich Oktober 1996 zahlte die Beklagte dem Kläger eine monatliche „Arbeitsprämie” in Höhe von zuletzt 121,55 DM. Dies entsprach einem Stundenlohn von 0,85 DM.
Im Zuge einer von der Beklagten beabsichtigten Veränderung der Vergütungsstruktur wurde u. a. für den Kläger am 20. November 1996 ein sog. Einstufungsantrag erstellt, der dann von der „Tarifkommission” geprüft und von der Geschäftsführung genehmigt wurde. Anhand verschiedener leistungsbezogener Kriterien wurde für den Kläger eine Gesamtzahl von 24 Punkten bei maximal 141 erreichbaren Punkten ermittelt. Der Stundenlohn wurde sodann anhand einer Punktestaffel festgelegt. Er sollte unabhängig von der Art der geleisteten Arbeit bei 45 bis 50 Punkten 0,85 DM, bei 38 bis 44 Punkten 0,63 DM, bei 31 bis 37 Punkten 0,42 DM und bei weniger als 30 Punkten 0,21 DM betragen. Demgemäß erhält der Kläger seit dem 1. November 1996 bei einem Stundenlohn von 0,21 DM eine monatliche Vergütung von 30,00 DM.
Die Bundesanstalt für Arbeit gewährt nach § 24 Abs. 5 der Anordnung ihres Verwaltungsrates über die Arbeits- und Berufsförderung (A Reha) in der für den streitbefangenen Zeitraum maßgeblichen Fassung den Behinderten, die an einer Maßnahme im Eingangsverfahren oder im Arbeitstrainingsbereich einer anerkannten Werkstatt für Behinderte teilnehmen, ein Ausbildungsgeld in Höhe von monatlich 100,00 DM im ersten Jahr und 120,00 DM im zweiten Jahr der Teilnahme, wenn kein Anspruch auf Übergangsgeld (§ 24 Abs. 3 A Reha) besteht.
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, ihm stehe gemäß § 54 b Abs. 2 Satz 2 SchwbG ein Arbeitsentgelt von monatlich 120,00 DM, also in Höhe des von der Bundesanstalt für Arbeit gezahlten Ausbildungsgeldes zu. Der Kläger hat zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 450,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. April 1997 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, sie sei befugt gewesen, die Vergütung des Klägers auf monatlich 30,00 DM zu kürzen, da dieser aufgrund seiner Schwerbehinderung faktisch nichts zum Erlös der Werkstatt beitrage. § 54 b Abs. 2 Satz 2 SchwbG sei nur eine Sollvorschrift, die die Werkstatt für Behinderte nicht in jedem Falle verpflichte, ein Mindestentgelt in Höhe des zuletzt im Arbeitstrainingsbereich gültigen Ausbildungsgeldes zu zahlen. Insbesondere lasse die Erlössituation der Werkstatt Abweichungen zu. Nach der gesetzlichen Neufassung sei die Anknüpfung an die Leistung des Behinderten sowohl für die Ermittlung des Grundbetrages als auch für die Ermittlung des Steigerungsbetrages zulässig. Die Zahlung eines einheitlichen Grundbetrages von 120,00 DM monatlich an alle Beschäftigte übersteige das erzielte Arbeitsergebnis zwar nicht, führe aber dazu, daß ihre Möglichkeit, auch nur annähernd leistungsgerechte Entgelte an die Beschäftigten mit größerer Leistungsfähigkeit zu zahlen, beschnitten oder zumindest beschränkt werde. Dies bringe die Gefahr der Leistungsminderung durch Demotivation dieser Mitarbeiter mit sich und bedeute eine Überstrapazierung des Solidaritätsgedankens. Da auch die Werkstatt für Behinderte mehr und mehr dem Wettbewerb ausgesetzt sei, könne dies letztlich die Bereitschaft schwinden lassen, auch weniger leistungsstarke Behinderte, insbesondere Schwerstbehinderte, in der Werkstatt für Behinderte zu beschäftigen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Der Anspruch des Klägers auf ein monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 120,00 DM ergibt sich aus § 54 b Abs. 2 SchwbG n. F. Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob und in welchem Rahmen die Beklagte überhaupt zu einer einseitigen Festsetzung des Arbeitsentgelts berechtigt war oder nicht.
1. Nach § 54 b Abs. 2 Satz 1 SchwbG ist den im Arbeitsbereich beschäftigten Behinderten ein Arbeitsentgelt aus dem „Arbeitsergebnis” der Werkstatt zu zahlen. Arbeitsergebnis im Sinne dieser Bestimmung ist die „Differenz aus den Erträgen und den notwendigen Kosten des laufenden Betriebs der Werkstatt”, jedoch ohne die Kosten für die Arbeitsentgelte nach § 54 b Abs. 2 SchwbG (§ 12 Abs. 4 SchwbWV). Nach § 54 b Abs. 2 Satz 2 SchwbG soll sich das Arbeitsentgelt „aus einem Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgeldes … und, soweit das Arbeitsergebnis die Zahlung zuläßt, einem leistungsangemessenen Steigerungsbetrag zusammensetzen. Der Steigungsbetrag ist nach der individuellen Arbeitsleistung der Behinderten zu bemessen, insbesondere unter Berücksichtigung von Arbeitsmenge und Arbeitsgüte.” § 54 b Abs. 2 SchwbG konkretisiert § 54 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SchwbG, wonach die Werkstatt den dort genannten Behinderten „eine Beschäftigung zu einem ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsergebnis anzubieten” hat (vgl. Wiegand, SchwbG, Stand: 6/98, § 54 b Rz 13).
Die Zahlung eines Grundbetrages in Höhe des Ausbildungsgeldes, das die Bundesanstalt für Arbeit nach den für sie geltenden Vorschriften Behinderten im Arbeitstrainingsbereich zuletzt leistet, soll sicherstellen, daß im Arbeitsbereich der Werkstatt kein geringeres Arbeitsentgelt gezahlt wird als der Betrag, den die überwiegende Zahl der Behinderten in der Zeit der Maßnahme im Arbeitstrainingsbereich zuletzt als Rehabilitationsleistung erhalten hat. Die Höhe des Ausbildungsgeldes ergibt sich aus § 24 Abs. 5 der Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt über die Arbeits- und Berufsförderung (A Reha) und beläuft sich auf 120,00 DM monatlich. Mit dem von der individuellen Arbeitsleistung des Behinderten abhängigen Steigerungsbetrag kann die Werkstatt die Arbeitsmotivation der Behinderten stärken (Gröninger/Thomas, SchwbG, § 54 b Rz 17; Wiegand, aaO, § 54 b Rz 16).
2. Damit hat der Gesetzgeber die Entgeltstruktur vorgegeben. Nur der Steigerungsbetrag ist nach der individuellen Arbeitsleistung des Behinderten zu bemessen, nicht aber der Grundbetrag; dieser ist unabhängig von der individuellen Leistungsfähigkeit. Nach § 54 Abs. 2 SchwbG steht „die Werkstatt … allen Behinderten im Sinne des Abs. 1 unabhängig von Art oder Schwere der Behinderung offen, sofern erwartet werden kann, daß sie spätestens nach Teilnahme an Maßnahmen im Arbeitstrainingsbereich wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen werden”. Für dieses Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung soll der Beschäftigte als Mindestentgelt den Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgeldes erhalten.
Zutreffend weist die Beklagte daraufhin, die Verpflichtung zur Zahlung eines leistungsunabhängigen Grundbetrags in Höhe von 120,00 DM an alle im Arbeitsbereich beschäftigten Behinderten führe dazu, der Werkstatt die Möglichkeit, leistungsgerechte Entgelte an die leistungsstärkeren Behinderten zu zahlen, abzuschneiden oder sie zumindest zu beschränken. Je höher der Anteil der wenig oder kaum leistungsfähigen Behinderten, und je mehr der Grundbetrag durch die Anhebung des Ausbildungsgeldes durch die Bundesanstalt für Arbeit steigt, desto geringer sind – bei gleichbleibendem Arbeitsergebnis der Werkstatt – die Möglichkeiten zur Zahlung eines Steigerungsbetrages, desto weniger wird also nach Leistung bezahlt (Cramer, Werkstätten für Behinderte, 2. Aufl. 1997, § 54 b SchwbG Rz 17). Daraus ergibt sich ein Interessenkonflikt: Die leistungsschwächeren Behinderten haben ein Interesse daran, in einer Werkstatt für Behinderte tätig werden zu können und dafür ein Arbeitsentgelt in Höhe des Grundbetrags zu erhalten. Die leistungsstärkeren Behinderten haben dagegen ein Interesse an einer stärker leistungsgerechten Entlohnung; diese könnten sich in ihrem Selbstwertgefühl und ihrer Persönlichkeitsentwicklung durch die geringere Entlohnung beeinträchtigt fühlen (vgl. Wendt, AuR 1989, 128, 130). Der Gesetzgeber hat diesen Konflikt, soweit es um die Zahlung des Grundbetrages geht, zugunsten der leistungsschwächeren Behinderten gelöst. Ein schlechtes Arbeitsergebnis der Werkstatt geht also zunächst zu Lasten des Steigerungsbetrags und erst dann zu Lasten des Grundbetrags (vgl. Dörner, SchwbG, Stand: 1. Dezember 1998, § 54 b Anm. III 2).
3. Nach dem Wortlaut der Vorschrift ist die Höhe des Grundbetrags nicht festgeschrieben. Es handelt sich um eine Sollvorschrift. Von Sollvorschriften darf aber nur abgewichen werden, wenn es dafür gewichtige Gründe gibt (BAG Beschluß vom 13. November 1991 – BAGE 69, 41, 47 = AP Nr. 9 zu § 26 BetrVG 1972; Beschluß vom 29. November 1995 – 5 AZR 753/94 – BAGE 81, 323, 326 = AP Nr. 1 zu § 10 GleichstellungsG Berlin). Das bedeutet: Die Zahlung eines Grundbetrages in Höhe des Ausbildungsgeldes ist der Regelfall.
Da das Arbeitsentgelt „aus dem Arbeitsergebnis” der Werkstatt zu zahlen ist, kann ein die Zahlung eines geringeren Grundbetrags rechtfertigender Ausnahmefall etwa dann vorliegen, wenn nicht einmal die Zahlung eines Grundbetrages in Höhe von 120,00 DM an alle im Arbeitsbereich beschäftigten Behinderten durch das Arbeitsergebnis gedeckt wäre. Von dieser Fallgruppe abgesehen soll das Arbeitsentgelt aber nach Dörner (aaO, § 54 b Anm. III 2) „mindestens” aus dem Grundbetrag in Höhe des Ausbildungsgelds bestehen. Die sich aus dem Charakter der Bestimmung als Sollvorschrift ergebenden Handlungsmöglichkeiten sollen sich nach seiner Auffassung nur auf den Steigerungsbetrag beziehen, der wegen der Abhängigkeit des Entgelts von der Höhe des Entgelts des Arbeitsergebnisses variabel sei und auch gänzlich wegfallen könne. Es kann dahinstehen, ob dieser Auffassung zu folgen ist oder ob der Grundbetrag auch in anderen Fällen geringer als das Ausbildungsgeld festgesetzt werden kann. Denn ein etwaiges Recht der Werkstatt, das Entgelt einseitig festzusetzen (§ 315 BGB), ermöglicht ihr jedenfalls nicht, das gesetzlich vorgegebene Entgeltsystem durch ein völlig anderes zu ersetzen. Um ein völlig anderes System handelt es sich aber dann, wenn sich schon der Grundbetrag in erster Linie nach der individuellen Leistung des Behinderten richtet.
4. So verhält es sich hier. Nach dem von der Beklagten selbst vorgelegten „Einstufungsantrag” vom 20. November 1996 gibt es vier Lohngruppen und damit auch vier Grundbeträge. Die „Einstufung” sollte sich in erster Linie nach Quantität und Qualität der Arbeit richten – dort waren die höchsten Punktzahlen zu erreichen –, weiter nach Kriterien wie Leistungswille, Selbständigkeit und Auffassungsgabe. Dabei handelt es sich genau um die Leistungskriterien, die nach dem klaren Wortlaut des § 54 b Abs. 2 Satz 3 SchwbG erst bei der Ermittlung eines möglichen Steigerungsbetrages zu beachten sind.
Unstreitig ist das von der Beklagten erzielte Arbeitsergebnis so hoch, daß daraus an alle im Arbeitsbereich beschäftigten Behinderten ein Arbeitsentgelt in Höhe des Ausbildungsgeldes, also in Höhe von 120,00 DM pro Monat, gezahlt werden kann.
5. Die Parteien konnten auch vertraglich keine niedrigere Vergütung vereinbaren; sie haben dies im übrigen nicht getan. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte nach dem Werkstattvertrag zur einseitigen Festsetzung des Arbeitsentgelts befugt war. Selbst wenn dies – entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts – der Fall war, hatte sie sich innerhalb der durch § 54 b Abs. 2 SchwbG gesetzten Grenzen zu halten. Das hat sie nicht getan. Die Festsetzung des monatlichen Arbeitsentgelts auf einen Betrag von unter 120,00 DM erweist sich damit als unwirksam.
6. Somit stand dem Kläger für den Streitzeitraum ein Anspruch auf ein monatliches Arbeitsentgelt in Höhe von 120,00 DM zu. Er kann also noch die Differenzbeträge zwischen der ihm zustehenden und der ihm gezahlten Vergütung in der Gesamthöhe von 450,00 DM nebst Zinsen (§ 288 Abs. 1 Satz 1, § 284 Abs. 2 Satz 1 BGB) verlangen.
Unterschriften
Griebeling, Reinecke, Kreft, Müller, Anthes
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 03.03.1999 durch Clobes, Amtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 436162 |
BAGE, 77 |
DB 1999, 1506 |
NWB 1999, 975 |
ARST 1999, 117 |
ARST 1999, 184 |
FA 1999, 165 |
FA 1999, 203 |
JR 2000, 44 |
NZA 1999, 825 |
SAE 2000, 80 |
ZTR 1999, 379 |
AP, 0 |
NDV-RD 1999, 47 |
RsDE 2000, 67 |
GV/RP 2000, 404 |
KomVerw 2000, 125 |
FuBW 2000, 233 |
FuHe 2000, 403 |
FuNds 2000, 247 |