Entscheidungsstichwort (Thema)
Ruhegeldfähigkeit einer Überstundenpauschale
Orientierungssatz
Dient eine Überstundenpauschale regelmäßig nur dazu, Einzelnachweise über die Mehrarbeit entbehrlich zu machen, so ist die Überstundenpauschale ebenso wie das Grundgehalt Entgelt für die vertragsmäßigen Leistungen des Arbeitnehmers und damit ruhegeldfähig.
Normenkette
BGB §§ 133, 157; BetrAVG § 1
Verfahrensgang
LAG Hamburg (Entscheidung vom 08.02.1985; Aktenzeichen 8 Sa 16/85) |
ArbG Hamburg (Entscheidung vom 13.09.1984; Aktenzeichen 8 Ca 134/84) |
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob eine Überstundenpauschale bei der Berechnung der Betriebsrente der Klägerin zu berücksichtigen ist. Die Klägerin war seit 1957, zuletzt als Chefsekretärin, bei der Beklagten beschäftigt. Sie schied am 31. Dezember 1982 aufgrund betriebsbedingter Kündigung gegen Zahlung einer Abfindung aus.
Die Beklagte gewährt Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. In dem Pensionsvertrag der Parteien vom 15./17. Dezember 1969 ist bestimmt, daß die Rentenhöhe sich nach dem "vor Beginn der Rentenzahlung zuletzt bezogenen Brutto-Monatsgehalt" richtet. Am 20. März 1974 schlossen die Parteien einen neuen Arbeitsvertrag. In § 2 dieses Vertrages heißt es:
"Bezüge
2.1 Als Vergütung für die Tätigkeit erhält der Mitar-
beiter bzw. die Mitarbeiterin ein monatliches
Grundgehalt von DM 2.990,-- brutto ...
Mit dem Grundgehalt wird die Tätigkeit bzw. das
Aufgabengebiet nach § 1 einschließlich enventuell
anfallender bzw. notwendiger Über- und/oder Mehr-
arbeit abgegolten.
2.2 Das Grundgehalt erfährt eine Anhebung, sobald
die Tarifpartner für die im Tarif-Gehalt be-
findlichen Mitarbeiter einen neuen Vertrag ab-
geschlossen haben. Die Anhebung erfolgt im Grund-
satz nicht prozentual, muß aber mindestens den
Brutto-Erhöhungsbetrag ausmachen, welchen die
höchste Tarifgruppe enthält.
2.3 Zusätzlich zu dem Grundgehalt nach 2.1 werden,
sofern ein Jahresbonus an die Betriebsangehö-
rigen gezahlt wird, folgende Sonderleistungen
erbracht:
a) Weihnachtsgratifikation in Höhe eines
Monatsgehalts
b) Abschlußgratifikation in Höhe von 1 1/2
Monatsgehältern.
Die unter a) und b) genannten Gratifikationen
werden pro rata temporis gezahlt."
Unter "Besondere Vereinbarungen" wurde in § 11 letzter Absatz folgende Abrede getroffen:
"Zu dem Grundgehalt nach § 2 wird eine Überstunden-
pauschale in Höhe von DM 225,-- monatlich gezahlt."
Das Grundgehalt wurde in der Folgezeit mehrfach erhöht; es betrug zuletzt 5.448,-- DM. Die Überstundenpauschale blieb dagegen unverändert. Die Weihnachts- und Abschlußgratifikationen wurden jeweils nach dem Grundgehalt berechnet. Bei der Berechnung des betrieblichen Ruhegeldes ging die Beklagte ebenfalls von dem Grundgehalt aus. Sie vertrat die Auffassung, die Überstundenpauschale sei nicht ruhegeldfähig.
Die Klägerin hält dies für falsch. Sie macht geltend, die Überstundenpauschale müsse in die Ruhegeldberechnung einbezogen werden, so daß sie - rechnerisch unstreitig - eine um 102,-- DM höhere Altersrente zu bekommen habe. Zur Begründung verweist sie auf den aus Anlaß ihrer Kündigung geführten Rechtsstreit, in dem das Landesarbeitsgericht Hamburg die Überstundenpauschale bei der Ermittlung der Kündigungsabfindung berücksichtigte (Urteil vom 19. Mai 1983 - 7 Sa 61/83 -). Sie trägt weiter vor, "Brutto-Monatsgehalt" im Sinne des Pensionsvertrags sei die Summe der laufenden monatlichen Bezüge. Das betriebliche Ruhegeld diene dazu, ihren zuletzt erreichten Lebensstandard nach dem Ausscheiden aus dem aktiven Arbeitsleben sicherzustellen. Die Pauschale habe sie stets unabhängig von den tatsächlich geleisteten Überstunden erhalten. Bei der Beklagten sei im Grundgehalt normalerweise schon ein Aufschlag für Über- und Mehrarbeit enthalten. Sie sei wahrscheinlich die einzige Sekretärin im Vorstandsbereich gewesen, die abweichend von dieser Regel eine zusätzliche Überstundenpauschale erhalten habe. Sie habe seinerzeit um eine Gehaltserhöhung gebeten, die ihr dann mit Rücksicht auf ihre besondere zeitliche Belastung in Form der Überstundenpauschale zugebilligt worden sei. Die Beklagte habe damit vermeiden wollen, daß sich andere Mitarbeiter auf die Erhöhung ihres Gehalts hätten berufen können, um eine vergleichbare Erhöhung zu erreichen.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie
1. DM 1.428,--,
2. ab 1. März 1984 eine um DM 102,-- höhere
Pension, vorbehaltlich von Anpassungen und
Änderungen der Betriebspension,
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, der im Pensionsvertrag verwendete Begriff "Brutto-Monatsgehalt" sei identisch mit dem des "Grundgehalts" im Arbeitsvertrag. Die Pauschale sei zusätzlich zum Gehalt gezahlt worden, was sich aus der Gestaltung des Vertragstextes deutlich ersehen lasse. Deswegen seien auch die Sonderzahlungen ständig nur entsprechend dem Grundgehalt gezahlt worden. Die vom eigentlichen Arbeitsentgelt unterschiedene Überstundenpauschale habe die Klägerin nur erhalten, weil sie mehr als andere Mitarbeiter Überstunden habe leisten müssen. Der Unterschied zum Gehalt ergebe sich auch daraus, daß die Pauschale nie angehoben worden sei.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat sie abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Wiederherstellung des arbeitsgerichtlichen Urteils; lediglich aus Gründen der Klarstellung war die Entscheidungsformel neu zu fassen.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, die umstrittene Überstundenpauschale gehöre nicht zum "Brutto-Monatsgehalt" i.S. des § 2 des Pensionsvertrags. Bei der Auslegung dieses Begriffs müsse auf den Arbeitsvertrag zurückgegriffen werden. Es erscheine vernünftig, die Regelungen insgesamt als ein einheitliches Vertragswerk anzusehen und dabei die Deutung vorzuziehen, die das Vertragswerk ungeachtet der Verwendung unterschiedlicher Begriffe als widerspruchsfrei erscheinen lasse. Daher seien "Grundgehalt" und "Monatsgehalt" als identische Begriffe zu verstehen. Aus § 11 des Arbeitsvertrages sei nichts Gegenteiliges herzuleiten, weil es sich hierbei um eine Klausel handele, die individuellen Besonderheiten Rechnung trage. Die Auffassung der Klägerin, daß sich in der Pension das monatliche Aktiveneinkommen, also auch die Überstundenpauschale fortsetzen solle, müsse unberücksichtigt bleiben, weil dies in dem Pensionsvertrag keinen erkennbaren Ausdruck gefunden habe. Die Überstundenpauschale sei nicht Teil des Grundgehalts und folglich auch nicht ruhegeldfähig. Das werde bestätigt durch die jahrelange Übung, die Sonderleistungen nur nach dem Grundgehalt zu berechnen. Wenn die Klägerin dem erstmals nach acht Jahren widersprochen habe, so setze sie sich in Widerspruch zu ihrem früheren Verhalten.
Die Revision rügt, das Berufungsgericht habe nicht alle für die Auslegung wesentlichen Umstände beachtet. Die Überstundenpauschale sei eine verdeckte Gehaltsanhebung gewesen und die Abkopplung der Pauschale von den regelmäßigen Gehaltserhöhungen habe die Klägerin nur hingenommen, um das Arbeitsverhältnis nicht zu belasten; für ihre Altersversorgung sei das unbeachtlich.
2. Die Auslegung des Berufungsgerichts vermag nicht zu überzeugen; sie verstößt gegen Auslegungsgrundsätze der §§ 133, 157 BGB.
a) Das Berufungsgericht geht von der Prämisse aus, zur Auslegung des Begriffs "Brutto-Monatsgehalt" i.S. des Pensionsvertrags vom Dezember 1969 müßten die im Arbeitsvertrag vom März 1974 verwendeten Begriffe herangezogen werden, um Widersprüche oder doppeldeutige Ergebnisse zu vermeiden. Damit verkennt das Berufungsgericht, daß die unterschiedlichen Begriffe in den verschiedenen Zusammenhängen unterschiedlichen Zwecken dienen. Bei der Vertragsauslegung ist der Regelungszweck entscheidend.
Zu Recht hat das Berufungsgericht seinen Ausführungen den Hinweis vorangestellt, daß bei der Auslegung von Verträgen nicht am Wortlaut zu haften, sondern der wirkliche Wille der Parteien zu erforschen ist. Es hat diese Prüfung aber nicht angestellt: Der Klägerin war eine sog. halbdynamische Versorgung zugesagt. Die Betriebsrente sollte an die letzten Aktivenbezüge anknüpfen. Damit sollte sich - selbstverständlich - der ruhegeldfähige Teil dieser Bezüge in der Betriebsrente fortsetzen; einer besonderen Betonung dieses Regelungsziels bedurfte es nicht. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts hat eine solche Regelung auch nichts mit dem Bezug der Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung zu tun. Das Berufungsgericht ist ersichtlich von der irrigen Vorstellung ausgegangen, die Klägerin verlange eine Gesamtversorgung, bei der eine betriebliche Altersversorgung zusammen mit der Sozialversicherungsrente einen bestimmten Versorgungsgrad sicherstellen soll. Eine solche Gesamtversorgungszusage liegt aber hier unstreitig nicht vor.
b) Auch die Wortinterpretation des Berufungsgerichts ist nicht überzeugend. Im Arbeitsvertrag und im Pensionsvertrag sind keine identischen Begriffe verwendet worden. Die Parteien sprechen einerseits vom "Monatsgehalt", andererseits vom "Grundgehalt". Die unterschiedliche Wortwahl könnte sogar dagegen sprechen, den Begriffen völlig gleiche Bedeutung beizumessen. Vor allem aber hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt, daß der Auslegungsstreit eine "besondere Vereinbarung" im Arbeitsvertrag betrifft, die sich von dem übrigen Formulartext abhebt und mit den Begriffsbildungen des Formularvertrages nicht ohne weiteres erfaßt werden kann.
c) Damit entfällt die Grundlage für die weitere Argumentation der Beklagten: Die Nichtanhebung der Überstundenpauschale besagt nichts über deren Ruhegeldfähigkeit. Da die Tatbestandsmerkmale des Pensionsvertrages nicht notwendigerweise mit denen der arbeitsvertraglichen Vergütungsregelung übereinstimmten, mußte die Klägerin die Berechnung ihrer Vergütung nicht auf die Bemessung der Versorgungsleistungen beziehen. Wenn es die Klägerin hinnahm, daß die Überstundenpauschale nicht mit dem Grundgehalt angehoben und nicht bei den Sonderzahlungen berücksichtigt wurde, billigte sie damit noch nicht, daß auch bei der Berechnung ihres Ruhegeldes die Überstundenpauschale unberücksichtigt bleiben dürfe. Für ein solches, sehr viel weiter reichendes Zugeständnis fehlen Anhaltspunkte im Vortrag der Parteien.
3. Der Senat kann den Pensionsvertrag der Parteien selbst auslegen. Die von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen reichen dazu aus.
a) Da der Klägerin eine gehaltsabhängige halbdynamische Versorgungszusage erteilt war, ist von dem Normalfall auszugehen, daß alle regelmäßigen Leistungen bei der Berechnung der Betriebsrente erfaßt sein sollten, die nicht ausgenommen wurden. Der Pensionsvertrag enthält lediglich insofern eine Einschränkung, als nur die monatlichen Zahlungen maßgebend waren, also die Sonderzahlungen und Gratifikationen außer Betracht bleiben sollten. Für eine Ausklammerung der Überstundenpauschale spricht hingegen nichts. Diese gehörte zum monatlichen Arbeitsentgelt, das die Klägerin zuletzt erreichte und war mitbestimmend für ihren Lebensstandard im anschließenden Ruhestand.
b) Die Überstundenpauschale war ebenso wie das Grundgehalt Entgelt für die vertragsmäßigen Leistungen der Klägerin. Die Parteien sind davon ausgegangen, daß die Klägerin mehr in Anspruch genommen wurde als ihre vergleichbaren Kolleginnen. Was bei diesen ausweislich des § 2 des Arbeitsvertrags als Vergütung für Mehrarbeit in das Gehalt einbezogen wurde und damit ruhegeldfähig war, wurde bei der Klägerin gesondert ausgewiesen. Eine solche Pauschalierung dient regelmäßig nur dazu, Einzelnachweise über die Mehrarbeit entbehrlich zu machen.
c) Insgesamt sind die Anhaltspunkte für die Ruhegeldfähigkeit der Pauschale so stark, daß ein abweichender Vertragswille deutlich hätte hervortreten müssen. Zumindest muß sich die Beklagte danach einen eventuell noch verbleibenden Zweifel zurechnen lassen, da sie den Formularvertrag verfaßt und verwendet hat (vgl. BAG Urteil vom 25. Januar 1979 - 3 AZR 1096/77 - AP Nr. 2 zu § 1 BetrAVG, zu II 1 b der Gründe; BAG 44, 176, 182 = AP Nr. 2 zu § 2 BetrAVG, zu II 3 der Gründe mit Anmerkung von Blomeyer).
Dr. Dieterich Schaub Griebeling
Dr. Bächle Schoden
Fundstellen
Haufe-Index 438647 |
BetrAV 1987, 193-195 (ST1-2) |
NZA 1987, 312-313 (ST1-2) |