Entscheidungsstichwort (Thema)
Lohn- und Gehaltssicherung für ältere Arbeitnehmer
Orientierungssatz
1. Lohnsicherung bei Arbeitsplatzwechsel durch Übergang vom Akkord- zum Zeitlohn gemäß § 3 des Tarifvertrages zur Sicherung älterer Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie im Bundesgebiet vom 13.5.1980.
2. Tariflohnerhöhung und Ausgleichsbetrag für Alterssicherung.
3. Vergleiche BAG Urteil vom 6.2.1985 4 AZR 155/83.
Normenkette
TVG § 1
Verfahrensgang
LAG Hamm (Entscheidung vom 18.08.1983; Aktenzeichen 9 Sa 438/83) |
ArbG Herford (Entscheidung vom 13.01.1983; Aktenzeichen 1 Ca 721/82) |
Tatbestand
Die am 3. Dezember 1925 geborene Klägerin ist seit 1960 im Bekleidungswerk der Beklagten als Näherin beschäftigt. Beide Parteien sind Mitglieder der tarifschließenden Verbände der Bekleidungsindustrie.
Die Klägerin war bis 31. Oktober 1980 im Akkordlohn tätig. Aufgrund ärztlicher Empfehlung wurde sie ab 1. November 1980 unter Hinweis auf den Tarifvertrag zur Sicherung älterer Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie im Bundesgebiet vom 13. Mai 1980 (TVSich Bekleidungsindustrie) im Zeitlohn weiterbeschäftigt. In den letzten sechs voll abgerechneten Akkordmonaten erzielte die Klägerin einen Akkordstundenverdienst von 14,24 DM. Der ab 1. November 1980 für sie geltende tarifliche Zeitlohn der Lohngruppe IV betrug demgegenüber 8,43 DM pro Stunde. Tatsächlich zahlte die Beklagte an die Klägerin jedoch 95 % ihres früheren Akkordstundenverdienstes von 14,24 DM; das waren 13,53 DM je Stunde. Hierbei bezeichnete die Beklagte den auf den tariflichen Zeitlohn (8,43 DM) aufgestockten Betrag in Höhe von 5,10 DM als "persönliche freiwillige Zulage".
Durch den Lohntarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie in Westfalen vom 26. Mai 1981 wurden die Tariflöhne ab 1. Juni 1981 um 4,9 % erhöht. Demgemäß stieg in der Lohngruppe IV der Zeitlohn von bisher 8,43 DM auf 8,84 DM je Stunde. Die Beklagte zahlte nunmehr an die Klägerin den neuen Zeitlohn von 8,84 DM je Stunde und zusätzlich weiterhin den als "freiwillige Zulage" bezeichneten Betrag von 5,10 DM je Stunde. Dies ergab für die Klägerin einen tatsächlichen Stundenlohn von 13,94 DM.
Mit der vorliegenden Klage macht die Klägerin geltend, die 4,9 %-ige Lohnerhöhung von 1981 müsse auf ihren Effektivlohn in Höhe von 13,53 DM gezahlt werden. Deshalb stehe ihr ein neuer Stundenlohn von 14,18 DM zu. Daraus ergibt sich für den Klagezeitraum von Juni 1981 bis April 1982 ein Differenzbetrag zwischen gezahlter und von der Klägerin in Anspruch genommener Vergütung in der rechnerisch unstreitigen Höhe von 451,62 DM.
Die Klägerin meint, Arbeitnehmer, die verdienstgesichert auf ihrem bisherigen Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden, dürften bei tariflichen Lohnerhöhungen nicht schlechter gestellt werden als die übrigen Arbeitnehmer ihrer bisherigen, gleichgebliebenen Lohngruppe. Andernfalls würde der Lebensstandard des verdienstgesicherten Arbeitnehmers im Laufe der Zeit - verglichen mit den anderen Arbeitnehmern - absinken. Aus § 3 Ziff. 4 TVSich Bekleidungsindustrie sei zu entnehmen, daß die verdienstgesicherten Arbeitnehmer in dem Umfang an Tariflohnerhöhungen teilnehmen sollten wie ihre vergleichbaren Arbeitskollegen.
Die Klägerin hat demgemäß beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klä-
gerin 451,62 DM brutto nebst 4 % Zinsen
seit dem 18. Mai 1982 zu zahlen,
2. festzustellen, daß die Beklagte verpflich-
tet ist, der Klägerin 160,5 % des Ak-
kordrichtsatzes der Tarifgruppe IV zu
zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie vertritt die Auffassung, ein Anwachsen des Effektivlohns werde durch den hier anzuwendenden § 3 Ziff. 1 TVSich Bekleidungsindustrie nicht garantiert. Der festgestellte Garantiebetrag verändere sich bei künftigen Lohnerhöhungen nicht. Da sich § 3 Ziff. 4 TVSich Bekleidungsindustrie ausdrücklich auf die übrigen Arbeitnehmer der neuen Lohngruppe des altersgesicherten Arbeitnehmers beziehe, ergebe sich nur ein Bezug zu den Ziff. 2 und 3 des § 3 TVSich Bekleidungsindustrie, die Versetzungen beträfen. Die Vorschrift des § 3 Ziff. 4 TVSich Bekleidungsindustrie beziehe sich im übrigen nur auf die Entwicklung des erarbeiteten Lohns und nicht auf den verdienstgesicherten Garantiebetrag. Eine tariflich vorgeschriebene prozentuale Erhöhung des Garantiebetrags stelle sich ferner als unzulässige Effektivklausel dar.
Das Arbeitsgericht hat dem Zahlungsantrag stattgegeben und im übrigen die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat nur die Beklagte Berufung eingelegt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage in vollem Umfang. Die Klägerin beantragt Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile und zur Abweisung der Klage in vollem Umfang.
Die Klägerin kann von der Beklagten mit der in der Revisionsinstanz noch anhängigen Leistungsklage nicht die Zahlung von 451,62 DM brutto verlangen. Denn ihr steht kein höherer Alterssicherungsbetrag zu, als ihr die Beklagte gezahlt hat.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Verbandszugehörigkeit der Tarifvertrag zur Sicherung älterer Arbeitnehmer der Bekleidungsindustrie im Bundesgebiet vom 13. Mai 1980 (TVSich Bekleidungsindustrie) mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Satz 1 TVG). Danach kann die Klageforderung nur auf folgende Vorschriften des TVSich Bekleidungsindustrie gestützt werden:
§ 3
Lohn- und Gehaltssicherung
--------------------------
1. Gewerbliche Arbeitnehmer, die das 55. Le-
bensjahr vollendet haben und dem Betrieb
mindestens 10 Jahre ununterbrochen angehö-
ren und an ihrem Arbeitsplatz verbleiben,
haben Anspruch auf mindestens 95 Prozent
ihres in den letzten sechs voll abgerech-
neten Monaten erzielten Durchschnittsstun-
denverdienstes (ohne Zuschläge für Mehrar-
beit, Nachtarbeit, Feiertagsarbeit u.ä.).
2. Gewerbliche Arbeitnehmer, die das 55. Le-
bensjahr vollendet haben und dem Betrieb
mindestens 10 Jahre ununterbrochen angehö-
ren und die durch Änderungskündigung ver-
setzt werden, haben Anspruch auf den Dif-
ferenzbetrag, der sich aus dem Durch-
schnittsstundenverdienst der in ihrer neu-
en Tätigkeitsgruppe beschäftigten Arbeit-
nehmer und 95 Prozent des persönlichen
Durchschnittsstundenverdienstes (ohne Zu-
schläge) der letzten sechs voll abgerech-
neten Monate vor der Versetzung ergibt.
Dieser so festgesetzte Ausgleichsbetrag
(Stundenlohndifferenz x tarifliche Ar-
beitszeit) ist jeden Monat auszuzahlen,
soweit Anspruch auf Lohnzahlung besteht
und 95 Prozent des persönlichen Durch-
schnittsstundenverdienstes nach Abs. 1
nicht überschritten werden.
3. ...
4. Bei künftigen Lohn- bzw. Gehaltserhöhungen
darf der betroffene Arbeitnehmer hinsicht-
lich des Erhöhungsbetrages nicht schlech-
ter gestellt werden als die übrigen Ar-
beitnehmer seiner neuen Lohn- bzw. Gehalts-
gruppe.
Entgegen der Auffassung der Beklagten ist der Verdienst der Klägerin nicht nach § 3 Ziff. 1, sondern nach § 3 Ziff. 2 und 4 TVSich Bekleidungsindustrie gesichert. Denn der Wechsel der Klägerin vom Akkordlohn zum Zeitlohn stellt eine Versetzung im tariflichen Sinne dar. Mangels anderweitiger Anhaltspunkte im Tarifvertrag ist davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien des TVSich Bekleidungsindustrie den Begriff des Arbeitsplatzes in seiner allgemeinen arbeitsrechtlichen Bedeutung unter besonderer Berücksichtigung der Verhältnisse bei einem älteren Arbeitnehmer verstehen. Danach ist der Begriff des Arbeitsplatzes räumlich und funktionell zu sehen und wird durch Art, Ort und Umfang der Tätigkeit bestimmt. Demgemäß liegt beim Übergang vom Leistungslohn zum Zeitlohn ein Arbeitsplatzwechsel und damit eine Versetzung vor (BAG Urteil vom 30. November 1983 - 4 AZR 374/81 -, SAE 1984, 343). An dieser Auffassung hält der Senat auch gegenüber der Kritik von Färber (SAE 1984, 346) fest.
Färber meint, beim Übergang vom Akkordlohn zum Zeitlohn liege deshalb kein Arbeitsplatzwechsel vor, weil keine neue Arbeitsaufgabe übertragen, sondern nur ein Wechsel der Entlohnungsart vorgenommen werde. Dem kann nicht zugestimmt werden. Es trifft zwar zu, daß der Wechsel vom Leistungslohn zum Zeitlohn auch einen Wechsel der Entlohnungsart bedeutet und der Wechsel der Entlohnungsart allein noch nicht gleichzusetzen ist mit dem Wechsel der Arbeitsaufgabe bzw. Art der Arbeit. So ist etwa der Übergang vom Stundenlohn zum Monatslohn ein Wechsel der Entlohnungsart, ohne daß darin eine Änderung der Arbeitsaufgabe oder der Art der Arbeit gesehen werden kann. Beim Wechsel vom Leistungslohn zum Zeitlohn ist dies jedoch anders. Hier liegt nicht nur eine Änderung der Entlohnungsart vor oder eine bloße Änderung der Umstände, unter denen die Arbeit zu leisten ist, sondern auch eine Änderung der Art der Arbeit selbst. Die Entlohnungsart Leistungslohn bedeutet, daß der Arbeitnehmer die Höhe seiner Vergütung durch Geschwindigkeit und Intensität seiner Arbeitsleistung selbst bestimmen kann. Damit ist der Arbeitnehmer von vornherein - im Gegensatz zum Zeitlöhner - einem besonderen psychischen und physischen Druck ausgesetzt. Darüber hinaus ist er in aller Regel darum bemüht, seine Arbeitskraft in besonderem Maße einzusetzen, um einen möglichst hohen Verdienst zu erzielen. Zumindest bringt es die Entlohnungsart Leistungslohn generell mit sich, daß sich der Arbeitnehmer bei seiner Arbeit in besonderem Maße anstrengt. Der Arbeitnehmer ist einem besonderen Leistungsdruck ausgesetzt.
Zur Art der Arbeitsleistung und damit auch zur Arbeitsaufgabe gehört es, unter welchen psychischen und physischen Voraussetzungen der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung zu erbringen hat. Der von einem Leistungslohn ausgehende psychische Druck und die damit in aller Regel verbundene besondere physische Anstrengung des Arbeitnehmers sind beim Zeitlohn nicht oder in weit geringerem Maße vorhanden. Das zeigt sich schon daran, daß viele Arbeitnehmer infolge ihrer körperlichen Konstitution, die auch altersbedingt sein kann, der Arbeit im Leistungslohn nicht gewachsen sind. Auch der Klägerin des vorliegenden Rechtsstreits ist vom Arzt empfohlen worden, nicht mehr im Leistungslohn zu arbeiten. Damit erweist sich aber der Übergang vom Leistungslohn zum Zeitlohn und umgekehrt als Wechsel der Arbeitsaufgabe und der Art der Arbeit. Das trifft jedenfalls für ältere Arbeitnehmer und demgemäß für den Versetzungsbegriff des vorliegenden Tarifvertrags zur Sicherung älterer Arbeitnehmer zu. Hierbei ist es unerheblich, ob der Wechsel vom Akkordlohn zum Zeitlohn als Versetzung im Sinne des Betriebsverfassungsgesetzes anzusehen ist (verneinend: Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl. 1982, § 99 Rz 80); denn für den Bereich des Betriebsverfassungsgesetzes enthält § 95 Abs. 3 BetrVG eine Legaldefinition, die aber nicht ohne weiteres auf andere Rechtsbereiche übertragen werden kann. Im vorliegenden Fall ist vielmehr vom arbeitsvertraglichen Versetzungsbegriff auszugehen. Danach ist Versetzung die Änderung des Aufgabenbereichs nach Art, Ort und Umfang der Tätigkeit (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 5. Aufl. 1983, § 45 IV 4, S. 202 f.).
Die Voraussetzungen für eine Verdienstsicherung bei Versetzungen nach § 3 Ziff. 2 TVSich Bekleidungsindustrie werden von der Klägerin erfüllt. Die Klägerin hat im Klagezeitraum das 55. Lebensjahr vollendet und gehörte dem Betrieb mindestens zehn Jahre ununterbrochen an. Nach dem Wortlaut der tariflichen Regelung setzt zwar eine Verdienstsicherung nach § 3 Ziff. 2 TVSich Bekleidungsindustrie voraus, daß die Versetzung durch Änderungskündigung durchgeführt wurde, was hier nicht zutrifft. Über den Wortlaut der tariflichen Regelung hinaus werden von § 3 Ziff. 2 TVSich Bekleidungsindustrie jedoch auch Versetzungen erfaßt, die nicht durch Änderungskündigung herbeigeführt werden. Dies folgt aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang, der bei der Tarifauslegung maßgeblich mit zu berücksichtigen ist (BAG Urteil vom 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Für gewerbliche Arbeitnehmer regelt § 3 in Ziff. 1 die Verdienstsicherung beim Verbleiben auf dem bisherigen Arbeitsplatz und Ziff. 2 die Verdienstsicherung bei einer Versetzung aufgrund Änderungskündigung. Nach dem systematischen Zusammenhang von Ziff. 1 und Ziff. 2 ist davon auszugehen, daß die Tarifvertragsparteien den gewerblichen Arbeitnehmern mit mindestens zehnjähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit nach Vollendung des 55. Lebensjahres am bisherigen und auch an einem neuen Arbeitsplatz nach einer Versetzung durch Änderungskündigung eine Verdienstsicherung gewähren wollten. Ungeschützt sind danach zwar Arbeitnehmer, die kraft des Direktionsrechts des Arbeitgebers oder im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber versetzt werden. Im allgemeinen reicht das Direktionsrecht des Arbeitgebers jedoch nicht so weit, daß er einen Arbeitnehmer auf einen Arbeitsplatz mit schlechteren Arbeitsbedingungen, insbesondere niedrigerer Vergütung, versetzen kann, auch wenn im Einzelfall stets die arbeitsvertragliche Regelung maßgebend ist (vgl. Neumann, AR- Blattei, Versetzung des Arbeitnehmers I unter B I). Die Versetzung von Arbeitnehmern kraft Direktionsrechts bringt daher in der Regel keine Verdienstminderung mit sich, so daß die Tarifvertragsparteien den Fall einer Verdienstminderung durch Versetzung kraft Direktionsrechts offenbar nicht bedacht haben. Auch eine einvernehmliche Versetzung, die zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führt, ist nicht alltäglich und daher von den Tarifvertragsparteien ersichtlich nicht bedacht. Aus dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung ergibt sich aber, daß die Tarifvertragsparteien mit ihrer Verdienstsicherung in § 3 TVSich Bekleidungsindustrie einen lückenlosen Verdienstschutz der älteren Arbeitnehmer am bisherigen und auf neuen Arbeitsplätzen erreichen wollten. Für diese Auslegung spricht insbesondere auch, daß die Tarifvertragsparteien für alle Arbeitnehmer mit mindestens zehnjähriger ununterbrochener Betriebszugehörigkeit nach Vollendung des 55. Lebensjahres einen besonderen Kündigungsschutz nach § 2 TVSich Bekleidungsindustrie gegen ordentliche Kündigungen normiert haben. Deshalb ist es folgerichtig, daß diesem Personenkreis auch Verdienstsicherung nach § 3 TVSich Bekleidungsindustrie eingeräumt wird.
Soweit diese Arbeitnehmer auf einen anderen Arbeitsplatz nicht durch Änderungskündigung, sondern kraft Direktionsrechts des Arbeitgebers oder im Einvernehmen mit dem Arbeitgeber versetzt werden, besteht eine unbewußte Tariflücke. Diese Tariflücke ist nach dem Gesamtzusammenhang der tariflichen Regelung dadurch auszufüllen, daß auch Versetzungen, die nicht durch Änderungskündigungen herbeigeführt werden, zum Verdienstschutz nach § 3 TVSich Bekleidungsindustrie führen. Damit wird die vorliegend einvernehmlich durchgeführte Versetzung der Klägerin von § 3 Ziff. 2 TVSich Bekleidungsindustrie erfaßt. Entgegen der Auffassung der Revision liegt darin kein unzulässiger Eingriff in die Tarifautonomie; denn für die Schließung der vorliegenden unbewußten Tariflücke kommt nur eine einzige sinnvolle Lösung in Betracht (vgl. BAG 36, 218, 225 = AP Nr. 19 zu § 611 BGB Lehrer, Dozenten). Hierbei ist zu beachten, daß in allen Fällen eine Versetzung gegen den Willen des Arbeitgebers nicht möglich ist.
Obwohl die Klägerin die Voraussetzungen für eine Verdienstsicherung nach § 3 Ziff. 2 TVSich Bekleidungsindustrie erfüllt, kann sie aus dieser Vorschrift keinen Anspruch auf eine weitergehende Lohnerhöhung herleiten, als sie ihr die Beklagte gewährt hat. Nach § 3 Ziff. 2 TVSich Bekleidungsindustrie hat die Klägerin Anspruch auf den Differenzbetrag, der sich aus dem Durchschnittsstundenverdienst der in ihrer neuen Tätigkeitsgruppe beschäftigten Arbeitnehmer und 95 % des persönlichen Durchschnittsverdienstes (ohne Zuschläge) der letzten sechs voll abgerechneten Monate vor der Versetzung ergibt. Dieser Differenzbetrag betrug bei Beginn der Verdienstsicherung der Klägerin unstreitig 5,10 DM je Stunde. Nur auf diesen so festgesetzten Ausgleichsbetrag hat die Klägerin nach § 3 Ziff. 2 TVSich Bekleidungsindustrie neben ihrem Tariflohn Anspruch. Hierbei ist der Ausgleichsbetrag jeden Monat auszuzahlen, soweit Anspruch auf Lohnzahlung besteht und 95 % des früheren persönlichen Durchschnittsverdienstes (der letzten sechs voll abgerechneten Monate vor der Versetzung) nicht überschritten werden. Da mit der Tariflohnerhöhung 1981 zuzüglich der Ausgleichszulage von 5,10 DM 95 % des früheren persönlichen Durchschnittsverdienstes der Klägerin sogar überschritten wurden, kann die Klägerin nach § 3 Ziff. 2 TVSich Bekleidungsindustrie jedenfalls keinen höheren Ausgleichsbetrag verlangen, als die Beklagte ihr bisher in Höhe von 5,10 DM je Stunde gewährt hat.
Einen Anspruch auf Erhöhung des von der Beklagten gezahlten Ausgleichsbetrags und damit des Effektivlohns entsprechend der tariflichen Lohnerhöhung für die Zeit ab 1. Juni 1981 in Höhe von 4,9 % kann die Klägerin auch nicht aus § 3 Ziff. 4 TVSich Bekleidungsindustrie herleiten. Nach dieser Vorschrift darf der Arbeitnehmer nach Eintritt der Verdienstsicherung bei künftigen Lohn- bzw. Gehaltserhöhungen hinsichtlich des Erhöhungsbetrags nicht schlechter gestellt werden als die übrigen Arbeitnehmer seiner neuen Lohn- bzw. Gehaltsgruppe. Die übrigen Arbeitnehmer der neuen Lohngruppe der Klägerin sind diejenigen Arbeitnehmer, die nach der Lohngruppe IV für Zeitlöhner vergütet werden. Der Tariflohn für die Zeitlöhner ist mit Wirkung vom 1. Juni 1981 um 0,41 DM auf 8,84 DM erhöht worden. Auf diesen Erhöhungsbetrag unter Beibehaltung ihrer bisherigen Ausgleichszulage hat die Klägerin nach § 3 Ziff. 4 TVSich Bekleidungsindustrie Anspruch. Diesen Erhöhungsbetrag hat die Beklagte aber auch gezahlt. Wenn die Klägerin darüber hinaus auch eine Erhöhung des Ausgleichsbetrags nach § 3 Ziff. 2 TVSich Bekleidungsindustrie um den Prozentsatz der Tariflohnerhöhung begehrt, findet sich hierfür im TVSich Bekleidungsindustrie keine Anspruchsgrundlage.
Das Landesarbeitsgericht leitet ohne nähere Begründung eine Erhöhung des Ausgleichsbetrags um 4,9 % aus § 2 Ziff. 1 des Lohntarifvertrags vom 26. Mai 1981 her. Dort heißt es: "Die Tariflohnsätze erhöhen sich ab 1. 6. 1981 um 4,9 %". Damit sind jedoch nur die Lohnsätze gemeint, die sich aus der Anlage I zum Lohntarifvertrag ergeben. Dies folgt aus § 2 Ziff. 1 Abs. 2 Lohntarifvertrag, in dem es heißt: "Die ab 1. 6. 1981 geltenden Lohnsätze ergeben sich aus Anlage I (Lohngruppen und Lohnsätze) zu diesem Tarifvertrag". In dieser Anlage I ist der Ausgleichsbetrag nach § 3 Ziff. 2 TVSich Bekleidungsindustrie nicht aufgeführt. Dieser Ausgleichsbetrag als zusätzliche Vergütung kann auch nicht unter dem allgemeinen Begriff der "Tariflohnsätze" erfaßt werden. Sondervergütungen wie z. B. Urlaubsentgelt, Weihnachtsgratifikation und auch der hier in Betracht kommende Ausgleichsbetrag nach § 3 Ziff. 2 TVSich Bekleidungsindustrie fallen üblicherweise nicht unter den Begriff der Tariflohnsätze. Damit fehlt es für eine Erhöhung des Ausgleichsbetrags um 4,9 % für die Zeit ab 1. Juni 1981 an einer Anspruchsgrundlage.
Dieses Ergebnis wird durch den tariflichen Gesamtzusammenhang und den Sinn und Zweck der Regelung in § 3 Ziff. 4 TVSich Bekleidungsindustrie gedeckt. Danach soll der verdienstgesicherte Arbeitnehmer an den Lohn- und Gehaltserhöhungen der Arbeitskollegen teilnehmen, die in seiner neuen Vergütungsgruppe beschäftigt sind. Damit machen die Tarifvertragsparteien deutlich, daß sie eine Teilnahme des Arbeitnehmers an den Lohn- und Gehaltserhöhungen der Arbeitskollegen seiner früheren Lohn- oder Gehaltsgruppe ausschließen wollen und insoweit eine Verschlechterung des Lebensstandards des verdienstgesicherten Arbeitnehmers gegenüber diesen früheren Arbeitskollegen in Kauf nehmen. Dies bedeutet zugleich, daß der Ausgleichsbetrag nicht dynamisiert werden soll. Mit Recht weist die Revision darauf hin, daß Tarifvertragsparteien, die auch eine Dynamisierung des Ausgleichsbetrags vorschreiben wollen, dies durch eine entsprechende Regelung festlegen können und auch in anderen Tarifvertragsbereichen schon festgelegt haben. So heißt es etwa in dem Tarifvertrag über Verdienstsicherung und Kündigungsschutz für leistungsgeminderte ältere Arbeitnehmer in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie des Landes Hessen zu § 5 Ziff. 3 Abs. 2: "Tarifliche Ecklohn- und Eckgehaltsanhebungen erhöhen die Verdienstausgleichszulage entsprechend". Eine solche Regelung haben die Tarifvertragsparteien im vorliegenden Tarifvertrag gerade nicht getroffen. Sie haben vielmehr die Lohn- und Gehaltserhöhungen des verdienstgesicherten Arbeitnehmers auf den Erhöhungsbetrag seiner neuen Lohn- oder Gehaltsgruppe beschränkt.
Auf die weiteren Einwendungen der Revision kommt es nicht an. Insbesondere kann offenbleiben, ob § 3 Ziff. 4 TVSich Bekleidungsindustrie auch in den Fällen des § 3 Ziff. 1 TVSich Bekleidungsindustrie Anwendung findet; denn im vorliegenden Fall liegen die Voraussetzungen des § 3 Ziff. 2 TVSich Bekleidungsindustrie vor, auf den sich auch nach Auffassung der Beklagten § 3 Ziff. 4 TVSich Bekleidungsindustrie bezieht.
Die Klägerin hat als unterlegene Partei gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Dr. Neumann Dr. Feller Dr. Etzel
Koerner Dr. Apfel
Fundstellen